Das vor allem als Schwangerschaftshormon bekannte Progesteron könnte in Zukunft Einzug in die Notaufnahmen halten: Früh genug verabreicht, scheint es die Folgen von Kopfverletzungen lindern zu können. Darauf deuten sowohl Labortests als auch die Ergebnisse einer ersten klinischen Studie mit 100 Probanden hin. Eine größere Studie mit über 1.100 Teilnehmern soll bereits im März dieses Jahres beginnen. Sollten sich die ersten Erfolge bestätigen lassen, könnte die neue Therapie vergleichsweise schnell in der Praxis eingeführt werden ? schließlich ist Progesteron ein körpereigenes Hormon und wird zudem bereits seit Jahren als Medikament beispielsweise gegen Endometriose eingesetzt.
Die Vermutung, das auch als Gelbkörperhormon bezeichnete Progesteron könnte das Gehirn vor Verletzungen schützen, stammt ursprünglich von Donald Stein, Mediziner an der Emory-Universität: Er registrierte, dass Frauen besser auf Behandlungen nach Kopfverletzungen und Schlaganfällen ansprechen als Männer und sich auch insgesamt besser erholen. In Laborstudien konnte daraufhin Progesteron als Schlüsselfaktor identifiziert werden. Dieses Hormon wird zwar hauptsächlich von Frauen während der zweiten Zyklushälfte in den Eierstöcken und in der Schwangerschaft in der Plazenta gebildet, kommt jedoch in geringeren Konzentrationen auch in anderen Körperbereichen vor ? sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Im Gehirn, erläutern die Forscher, seien sogar besonders viele Andockstellen für den Botenstoff vorhanden.
„Wir erkannten, dass Progesteron bei Hirnverletzungen grundsätzlich genau das tut, was es auch während der Entwicklung des Fötus macht ? es schützt Zellen und Gewebe“, formulierte Stein einmal den Zusammenhang. Demnach sollte die Verabreichung von Progesteron die schweren Folgen, die häufig nach einer Kopfverletzung auftreten, lindern können, so die Arbeitshypothese der Forscher. Mittlerweile haben sie dieses Konzept auch testen und, zumindest zum Teil, belegen können: In einer drei Jahre andauernden Studie mit insgesamt 100 Probanden konnten sie nicht nur zeigen, dass eine Progesteronbehandlung nach einer Kopfverletzung keine schweren Nebenwirkungen hat. Die Therapie verringerte auch den Anteil der tödlichen Ausgänge um 50 Prozent und reduzierte die Folgeschäden, die die Probanden mit milderen Formen davontrugen.
In der neuen Studie soll das Hormon ergänzend zur klassischen Therapie eingesetzt werden, erläuterte David Wright von der Emory-Universität in Atlanta auf dem AAAS-Meeting in San Diego. Die Studie ist angelegt auf eine Dauer von drei bis fünf Jahren und soll an insgesamt 17 Kliniken durchgeführt werden. Eine effektivere Behandlung von Kopfverletzungen sei dringend erforderlich, betonte Wright ? es gebe täglich Tausende von Betroffenen, und trotzdem sei man immer noch ziemlich ratlos, wie Behinderungen und andere Folgeschäden vermieden werden könnten.
David Wright (Emory-Universität, Atlanta) et al.: Jahrestreffen der amerikanischen Wissenschaftsgesellschaft AAAS, San Diego ddp/wissenschaft.de – Ilka Lehnen-Beyel