Ein neues Schlafmittel soll für erholsamen Schlaf ohne Betäubungseffekt sorgen: Der Wirkstoff fördert den Traumschlaf, wohingegen gängige Mittel wie Benzodiazepine diese Schlafphase unterdrücken. Damit kann nicht nur die Schlafqualität verbessert werden, sondern auch das Gedächtnis, hoffen die Schweizer Entwickler. Erste Tests an Ratten sind bereits sehr vielversprechend verlaufen ? es gab weder Hinweise auf eine Abhängigkeit noch auf einen Gewöhnungseffekt. Aufgrund des neuartigen Wirkmechanismus könnte das neue Präparat in Zukunft auch gegen Suchtkrankheiten und sogar Übergewicht eingesetzt werden.
Die heute am häufigsten verschriebenen Schlafmittel gehören zur Gruppe der Benzodiazepine. Sie verstärken den Einfluss eines Botenstoffs im Gehirn, der die Nervenaktivität dämpft, und erleichtern so das Ein- und Durchschlafen. Da sich diese Wirkung jedoch auf das gesamte Gehirn erstreckt, haben Schlafmittel häufig Nebenwirkungen wie Bewegungs- und Gedächtnisstörungen. Außerdem unterdrücken sie den so genannten REM-Schlaf, eine
Schlafphase, in der die lebhaftesten Träume stattfinden. Diese Phasen sind für einen erholsamen Schlaf jedoch unentbehrlich: Menschen ohne REM-Schlaf leiden beispielsweise häufig unter Angstzuständen, Konzentrationsschwierigkeiten und sind leicht reizbar. Auch wird während des REM-Schlafs neu Erlerntes fest ins Gedächtnis integriert.
Im Gegensatz dazu fördert das von der Schweizer Pharmafirma Actelion entwickelte neue Mittel namens Orexin-RA-1 diese Traumphasen: Es blockiert die Wirkung einer Gruppe von Hormonen im Gehirn blockiert, der so genannten Orexine. Diese Eiweißbotenstoffe spielen unter anderem bei der seltenen Krankheit Narkolepsie eine Rolle, bei der die Betroffenen auch tagsüber plötzlich und unerwartet in tiefen Schlaf fallen. Durch die Verminderung der Orexin-Wirkung durch das neue Mittel erhöht sich der REM-Anteil im Schlaf, konnten die Entwickler in ihren Tierversuchen bereits zeigen. Die Tiere waren ausgeruhter und auch lernfähiger als Artgenossen, die mit einem anderen Schlafmittel behandelt worden waren.
Orexin-RA-1 könnte nach Ansicht der Forscher auch noch andere positive Effekte haben: Da Orexine auch den Appetit steigern, könnte ein Eingriff in das Orexin-System Übergewichtigen dabei helfen, weniger zu essen. Die Entwickler sehen außerdem Potenzial bei der Behandlung von Suchtkrankheiten, die ebenfalls mit den Orexinen in Zusammenhang gebracht werden. Ob diese Wirkungen jedoch tatsächlich auch beim Menschen erzielt werden können, muss erst noch nachgewiesen werden. Auch besteht nach Ansicht von Experten die Gefahr, dass schwere Nebenwirkungen wie narkoleptische Anfälle auftreten könnten. Erste klinische Tests dazu laufen bereits, berichten die Schweizer. Sie hoffen jedoch, ihre Pille im Jahr 2012 auf den Markt bringen zu können.
Chemistry & Industry, 6. Februar, S. 13 ddp/wissenschaft.de ? Ilka Lehnen-Beyel