Kinder verlassen sich beim Erfassen ihre Umwelt entweder aufs Sehen oder aufs Fühlen, nicht jedoch auf beides zusammen. Erst ab einem Alter von etwa acht Jahren vermögen sie es, die Eindrücke verschiedener Sinne wie Sehen, Tasten, Hören, Riechen und Schmecken gleichzeitig zur Bewertung von Situationen heranzuziehen, haben zwei Forschergruppen herausgefunden. Erst durch das Auswerten mehrerer Sinne können ältere Kinder ähnlich gut wie Erwachsene die Sinnesinformationen miteinander abgleichen, um so ihre Umgebung präziser zu erfassen. Der fehlende Informationsabgleich beispielsweise für räumliche Eindrücke erkläre auch, wieso sich kleinere Kinder leichter verlaufen.
Monica Gori vom italienischen Technologieinstitut in Genua und ihre Kollegen ließen Kinder im Alter zwischen fünf und zehn Jahren sowie Erwachsene die Länge zweier Klötzchen vergleichen. In drei Durchgängen konnten die Probanden die Klötzchen nur sehen, nur ertasten oder mit beiden Sinnen erfassen. Ein Klötzchen war mit 55 Millimetern immer gleich lang, das zweite hatte eine zufällig gewählte Länge zwischen 48 und 62 Millimetern. Erwachsene und Kinder ab acht Jahren schnitten am besten ab, wenn sie beide Sinne nutzen durften. Kinder unter acht Jahren legten indes bei allen Tests die gleiche Erfolgsrate an den Tag ? egal ob ihnen nur Sehen, Tasten oder beide Sinne zur Verfügung standen. Die Forscher schließen daraus, dass Kinder erst ab einem Alter von ungefähr acht Jahren ihre Sinne ähnlich gut wie Erwachsene gemeinsam zur Bewertung ihrer Umgebung zusammenschalten können.
Bestätigt wurde dieser Fund auch von einer britischen Gruppe um Marko Nardini von der Universität von London. Sie ließen Kinder im Alter von vier bis acht Jahren und Erwachsene in einem dunklen Raum eine spielerische Aufgabe erledigen: Die Probanden mussten an einer Stelle eine Spielrakete aufnehmen und sie an anderer Stelle im Raum betanken. Zur Orientierung im Raum gab es nur drei Wegmarken ? einen Mond, einen Stern und ein Blitzsymbol. Zunächst fanden die Erwachsenen deutlich besser zum Startpunkt der Rakete zurück.
Dann manipulierten die Forscher jedoch den Rückweg, indem sie einzelne Sinne verwirrten. So schalteten sie die Wegmarken und damit das Gefühl für die eigene Position im Raum aus, oder sie setzten die Probanden in einen Drehstuhl und verwirrten den Richtungssinn der eigenen Bewegung. Die Erwachsenen fanden dadurch deutlich schlechter zurück und waren kaum noch besser als die Kinder. Bei den Kindern wiederum stellten die Forscher verblüfft fest, dass sich die Sinnesverwirrung kaum auswirkte. Ob sie alle Sinne nutzen konnten oder nur einen: Das Resultat war praktisch gleich. Die Forscher folgern daraus ebenfalls, dass sich Kinder auf die Informationen eines Sinnes beschränken, auch wenn mehrere zur Verfügung stehen.
Nature, Onlinedienst Originalarbeiten der Forscher: Marko Nardini (University of London) et al.: Current Biology, Online-Vorabveröffentlichung, doi: 10.1016/j.cub.2008.04.021 Monica Gori (Italienisches Technologieinstitut, Genua) et al.: Current Biology, in press ddp/wissenschaft.de ? Martin Schäfer