Wenn wir Situationen erleben, Menschen, Gegenstände oder Räume kennenlernen, speichert unser Gehirn Aspekte dieser Erfahrungen ab, damit wir sie später wieder aus dem Gedächtnis abrufen können. Es gibt Menschen, die auf diesem Gebiet besondere Fähigkeiten besitzen: Sie können sich an winzige Details in ihrer Vergangenheit erinnern, beispielsweise, was für ein Wochentag an einem bestimmten Datum war und was an diesem Tag geschah. Diese Begabung wird als „highly superior autobiographical memory“ (HSAM) bezeichnet und lässt sich durch bestimmte Tests nachweisen.
Die Forscher um Lawrence Patihis von der University of California wollten nun wissen, ob die detailreiche Erinnerungskraft dieser Menschen sie davor bewahrt, dass sich falsche Erinnerungen in ihrem Kopf festsetzten. Bei Personen mit durchschnittlichen Fähigkeiten auf diesem Gebiet lassen sich falsche Erinnerungen durch bestimmte Tricks bei Aufgaben gezielt erzeugen. Die Forscher haben für ihre Studie deshalb die Anfälligkeit für solche Manipulationen von 20 Probanden mit HSAM und 38 „normalen“ Studienteilnehmern verglichen.
Zu Fehlaussagen verleitet
Bei einem der Tests bekamen die Probanden Listen mit 15 Wörtern zur Ansicht. Die Begriffe besaßen einen logischen Zusammenhang: Beispielsweise „Tisch“, „Licht“, „Schirm“, „Ständer“… Diese Kombination erzeugte eine Assoziation zu dem Wort „Lampe“ – das allerdings gezielt nicht auf der Liste stand. In einer anschließenden Befragung sollten die Teilnehmer nun sagen, an welche Wörter sie sich erinnern konnten. Eine der Antworten war oft „Lampe“, obwohl keiner dieses Wort gesehen hatte. Es handelte sich also um eine falsche Erinnerung durch Assoziation.
In einem weiteren Experiment sahen die Testteilnehmer eine Bilderfolge eines Raubüberfalls. 40 Minuten später folgte eine Beschreibung der Tat durch Sätze. Diese stimmten teilweise nicht mit den Bildern überein. Wiederum 20 Minuten später wurden die Probanden nach Details der Tat befragt. Dabei offenbarte sich ebenfalls, dass sich bei manchen falsche Erinnerungen durch die unstimmigen Informationen gebildet hatten.
Beim dritten Test nutzten die Forscher das berüchtigte Datum 11. September 2001. Sie gaben den Probanden einen Text zu lesen, der suggerierte, es hätte Videoaufnahmen zum Absturz des Flugzeugs United-Airlines-Flug 93 im Rahmen der Terroranschläge gegeben. „Das Video vom Absturz ist in den Medien oft aufgetaucht…“, hieß es darin. Doch ein solches Video existiert in Wirklichkeit nicht. Anschließend wurden die Probanden befragt, ob sie das Video gesehen hätten. Einige „erinnerten“ sich auch tatsächlich daran. Die Forscher hatten ihnen durch diesen Trick also erneut eine falsche Erinnerung verpasst.
Doch nun zum eigentlich Knackpunkt der Studie: dem Vergleich der Ergebnisse bei den Probanden mit dem Hyper-Erinnerungsvermögen mit denen der Teilnehmer mit durchschnittlichen Gedächtnisfähigkeiten. Es zeigte sich: Es gab keine signifikanten Unterschiede, wie stark sich die beiden Gruppen zu Falscherinnerungen verleiten ließen. Beispielsweise konnten sich die Probanden mit HSAM bei dem Wörter-Test zwar an mehr richtige Begriffe erinnern, den falschen Begriff „Lampe“ nannten aber genauso viele von ihnen wie bei der Kontrollgruppe.
Die Forscher kommen zu dem Fazit: Die Ergebnisse legen nahe, dass kaum Jemand gegen die Bildung von trügerischen Erinnerungen immun ist, die durch falsche Verknüpfungen und Assoziationen entstehen können. Offenbar liegen diesem Phänomen Prinzipien zugrunde, die nichts mit der Fähigkeit zu detailreichem Erinnerungsvermögen zu tun haben. Das habe praktische Relevanz: Demnach könnten beispielsweise bei Gerichtsfällen auch Aussagen von Augenzeugen fragwürdig sein, die ansonsten durch ihren Detailblick zu glänzen scheinen.