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Der Mund ist kleiner als die Augen

Erde|Umwelt Gesellschaft|Psychologie

Der Mund ist kleiner als die Augen
Hungern erhöht das Geschmackserlebnis, so die Behauptung von Verfechtern des Fastens. Deutsche Wissenschaftler können diesen Eindruck nun erstmals statistisch bestätigen: Für jemanden, der Hunger hat, fühlen sich Objekte im Mund größer an.

Ist der Magen leer, sind die Augen gerne mal größer als selbiger. ?Soll heißen, wenn ich lange nichts gegessen habe, bin ich gieriger und möchte möglichst viel essen?, erklärt Sascha Topolinski von der Universität Würzburg. Der Wahrnehmungspsychologe hat gemeinsam mit Philippe Türk Pereira von der Psychiatrie Schloss Werneck die gängige Redensart auf den Prüfstand gestellt. Denn das Forscher-Duo vermutete, dass der Mund in hungrigem Zustand ? im Gegensatz zu den Augen ? Größen nicht unter-, sondern eher überschätzt.

Im ersten von vier Experimenten ließen Topolinski und Türk Pereira 30 Probanden die Länge von Strohhalmen schätzen. Die Studienteilnehmer bekamen die etwa drei Zentimeter lange Plastikröhrchen jedoch nicht zu sehen, sondern durften sie lediglich mit den Händen befühlen oder im Mund mit der Zunge ertasten. Diejenigen, die mindestens drei Stunden vor dem Experiment gefastet hatten, schätzten die Röhrchen im Schnitt 0,4 Zentimeter länger ein als Probanden, die kurz zuvor etwas gegessen hatten. ?Dabei spielte es keine Rolle, ob die Teilnehmer ankreuzen sollten, als wie lang sie die Trinkhalme einschätzten, oder ob sie sie grafisch darstellen sollten?, berichtet Sascha Topolinski.

Den gleichen Versuch wiederholten die Forscher mit 3,8 Zentimeter langen Kaubonbons. Die Zuckerschicht der Süßigkeiten sorgte dafür, dass der Geschmack das Urteil nicht störte. Wieder zeigte sich: Teilnehmer mit leerem Magen schätzen die Kaubonbons 0,3 Zentimeter länger.

Ertasteten die Probanden die Länge dagegen mit der Hand, ergab sich bei beiden Versuchen kein Unterschied zwischen satten und hungrigen Probanden.

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Der Gaumen gewöhnt sich an den Reiz

Im nächsten Schritt schätzen 60 Studienteilnehmer unterschiedlich lange Strohhalme ein, die entweder ein, zwei oder drei Zentimetern lang waren ? mit dem gleichen Ergebnis wie in den ersten beiden Experimenten: Hungrige überschätzten die Länge. ?Das ist, wie wenn man aus einem dunklen Zimmer ins Freie tritt und sich die Augen erst einmal ans Tageslicht gewöhnen müssen?, illustriert Topolinski. Nach mehreren Runden ließ der Effekt jedoch nach und die Hungrigen schätzen die Halme gleich lang ein wie die Satten.

Um dieses Ergebnis zu verifizieren, führten die beiden Wissenschaftler eine Variante des dritten Experiments durch: Die Hälfte der hungrigen Probanden bekam kurz vor dem Test einen Kaugummi zu kauen, was den Appetit nachweislich noch steigert. Trotzdem schätzten sie die Größe der Strohhalme genauso ein wie ihre satten Kollegen. ?Es handelt sich also um einen ganz banalen Zusammenhang: Der Kaugummi stimuliert die Mundschleimhaut. Bekommt sie dann das Röhrchen zu spüren, ist sie bereits an Stimulation gewöhnt?, erläutert Topolinski.

Die Psychologen glauben sogar, dass sich unsere Esskultur mit mehreren Gängen an das Mundgefühl angepasst hat: Zuerst eine Suppe oder Salat, um den Gaumen auf härtere, größere oder auch geschmacklich intensivere Speisen wie Fleisch einzustimmen.

Bemerkenswert: ?Der Effekt tritt schon nach drei Stunden ein, also bei einem gewöhnlichen Abstand zwischen zwei Mahlzeiten?, erläutert Topolinski. ?Die Verfechter des Fastens haben also tatsächlich Recht ? Hungern intensiviert die Wahrnehmung von Mahlzeiten.?

Sascha Topolinski und Philippe Türk Pereira (Universität Würzburg, Psychiatrie Schloss Werneck). Perception, doi: 10.1068/P6903 © wissenschaft.de ? Marion Martin
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