Wer intensiv das Gesicht alter Menschen betrachtet, schätzt danach ein 30-jähriges Gegenüber deutlich jünger ein als sonst. Dieser Effekt tritt unabhängig vom Geschlecht und vom Alter des Betrachters auf, haben zwei Psychologen der Universität Jena entdeckt. Stefan Schweinberger und Holger Wiese folgern aus ihren Ergebnissen, dass man die subjektive Wahrnehmung eines Gesichts sehr leicht verändern kann. Wie lange dieser Effekt anhält, ist allerdings noch unklar.
Die Forscher hatten für ihr Experiment je eine Gruppe von Studenten und Senioren am Computer die Gesichter von Personen konzentriert betrachten lassen. Um zu möglichst unverfälschten Befunden zu kommen, bedienten sich Schweinberger und Wiese einer Datenbank mit Gesichtern, die völlig ungeschminkt waren und aus denen störende Elemente mit einem Bildbearbeitungsprogramm entfernt wurden. Das Ergebnis: Hatten die Probanden zuvor vor allem Gesichter einer ganz bestimmten Altersgruppe angeschaut, lagen sie beim Schätzen des Alters von anderen Menschen grundsätzlich daneben. Wenn den Testpersonen Gesichter alter Menschen und danach Bilder von Gesichtern mittleren Alters gezeigt wurden, hielten sie letztere für deutlich jünger, als sie eigentlich waren. Umgekehrt verhielt es sich genauso: Wenn zuerst jüngere Gesichter auf dem Bildschirm erschienen, wurden die mittelalten Köpfe deutlich älter eingeschätzt.
Ein zweites Ergebnis der Studie war, dass dieser Effekt der falschen Alterswahrnehmung noch ausgeprägter ist, wenn die nacheinander gezeigten Gesichter von Personen des gleichen Geschlechts stammten. Damit ist klar, dass die Wahrnehmung von Alter und Geschlecht in Gesichtern zusammenhängt – ein Befund, der manchen bisherigen Forschungsergebnissen widerspricht.
Dass die beiden Wissenschaftler ihren Untersuchungen durchaus auch humorvoll gegenüberstehen, zeigt, dass sie Playboy-Gründer Hugh Hefner empfehlen, sich mit älteren Herren und nicht dauernd mit jungen Frauen zu umgeben. Denn die Schönheiten ließen den 84-Jährigen anderen gegenüber noch älter aussehen, als er ohnehin schon ist. Bleibt die Frage, ob der Effekt auch auftritt, wenn man sein eigenes Spiegelbild betrachtet. „Das haben wir noch nicht untersucht“, sagt Schweinberger. „Allerdings ist das unser nächstes Projekt.“ Interessant sei dies vor allem, um Störungen der Selbstwahrnehmung zu erforschen. Allerdings spreche bereits jetzt einiges dafür, dass die Repräsentation des eigenen Gesichts etwas anders funktioniert als die fremder Gesichter.
Mitteilung der Universität Jena Originalarbeit der Forscher: Stefan Schweinberger (Universität Jena) et al.: Vision Research, Bd. 50, S. 2570 dapd/wissenschaft.de ? Hans Groth