Als die britischen Seefahrer begannen, ihre neuen Kolonien in Übersee näher zu erkunden, stellten sie schnell fest, dass vor allem im Golf von Mexiko und vor der Küste von Florida einige aus Europa unbekannte Gefahren lauerten: Korallenriffe. Für die Schiffe und ihre Besatzungen bedeuteten diese Untiefen eine tödliche Gefahr. In den 1770er Jahren unternahm die britische Marine daher große Anstrengungen, um diese Gewässer möglichst präzise zu kartieren. „Diese Karten enthalten oft substanzielle Mengen an ökologischen Informationen, weil gerade die Korallen ein bedeutendes Risiko für die Navigation repräsentierten“, erklären Loren McClenachan vom Colby College in Maine und ihre Kollegen. „Die besten dieser britischen Seekarten beschreiben die Tiefe, Form und Farbe der Unterwasserkorallen und unterscheiden sie klar von anderen harten Hindernissen wie bloßen Felsen.“ Den Forschern bieten diese historischen Seekarten dadurch eine einzigartige Möglichkeit, die Verbreitung der Korallenriffe früher und heute zu vergleichen. „Denn georeferenzierte Daten aus vergangenen Jahrhunderten zu den Riffen sind extrem rar“, sagen die Forscher.
Für ihre Studie werteten McClenachan und ihre Kollegen Ausdehnung und Position von 143 Korallenriffen aus, die in zwei Seekarten der Meeresregion um Florida eingezeichnet waren. „Diese Daten repräsentieren eine historische Referenz der Korallenverbreitung in einem Gebiet, das von Key Largo bis zu den Marquesas Keys reicht“, erklären sie. Die Daten der nautischen Karten verglichen die Forscher mit drei aktuellen biologischen Kartierungen des gleichen Gebiets.
Drastischer Schwund
Dabei zeigten sich deutliche Unterschiede: Im Laufe der letzten 240 Jahre hat sich die Zahl und Größe der Korallenriffe vor Florida mehr als halbiert. „Mehr als die Hälfte der historischen Korallenbeobachtungen fanden an Stellen statt, wo es heute keine Korallen mehr gibt“, berichten die Forscher. „Stattdessen wächst dort heute meist Seegras oder es gibt nur kahlen Meeresgrund.“ In heutigen Erhebungen sind diese Gebiete nicht einmal mehr als Korallenhabitat gekennzeichnet, so spurlos sind die Riffe dort teilweise verschwunden. Besonders drastisch ist der Korallenverlust dabei in unmittelbarer Küstennähe, wie die Wissenschaftler berichten. In der Florida Bay, dem Meeresgebiet zwischen der Südspitze von Florida und den vorgelagerten Inseln, sind heute nur noch gut zwölf Prozent der einstigen Korallenriffe erhalten.
„Das Ausmaß der Veränderungen ist weit größer als irgendjemand vermutet hätte“, betont Koautor John Pandolfi von der University of
Queensland in Brisbane. Warum die Riffe innerhalb von wenig mehr als zwei Jahrhunderten so drastisch zurückgegangen sind, ist bisher nur in Teilen klar. Die Forscher vermuten, dass die Zerstörung von Mangroven entlang der Küste und die Degradierung der Feuchtgebiete im Süden Floridas ein Grund sein könnte. Vor allem in den 1930er bis 1950er Jahren führte dies dazu, dass große Mengen an nährstoffreichem Schlamm ins Meer gespült wurde. Diese Schwemme an organischem Material könnte die Korallenriffe förmlich erstickt haben. Aber auch die Ausbaggerung von Fahrrinnen für den Schiffsverkehr könnte viele der alten Riffe zerstört haben. Für die Meeresökologie hatte dies schwerwiegende Folgen: „Der Verlust der küstennahen Riffe spricht dafür, dass sich die Meeresökosysteme in den Florida Keys in großem Maßstab verändert haben“, sagen McClenachan und ihre Kollegen. „Mit den Riffen verschwand der Lebensraum vieler Organismen, darunter der vielen Fische, die die Korallenriffe als Kinderstube nutzen.“