Ob Kohlenwasserstoffe, Alkohole, Aldehyde oder organische Säuren: Flüchtige organische Verbindungen (VOC) erreichen praktisch ständig unsere Nase. Denn diese Stoffe sind überall. Sie gelangen im Zuge von Stoffwechselprozessen und Fäulnisvorgängen in die Luft, entweichen aus den Farben an unserer Wand, entstehen beim Rauchen und Autofahren oder beim Rösten von Kaffee. Etwa die Hälfte aller flüchtigen organischen Verbindungen in der nördlichen Hemisphäre stammt aus natürlichen, die andere Hälfte aus menschengemachten Quellen. In den Städten ist der Mensch noch für einen weitaus größeren Anteil dieser Stoffe verantwortlich. Doch wie groß ist das Ausmaß der von Verkehr, Restaurants, Lösungsmitteln und dem Rauchen verursachten Emissionen in den Ballungsgebieten genau? Und was sind die wichtigsten Quellen?
Relevant ist diese Frage, weil sich flüchtige organische Verbindungen unter anderem auf die Bildung von Ozon und Feinstaub – und somit auf das Klima – auswirken können. Trotzdem fehlte es bislang an harten Fakten zu diesem Thema, quantitative Aussagen waren höchstens vage möglich. Um diese Wissenslücke zu schließen, haben Thomas Karl von der Universität Innsbruck und seine Kollegen nun erstmals einen chemischen Fingerabdruck von urbanen VOC-Emissionsquellen erstellt. Von Juli bis Oktober 2015 maßen die Forscher am Unicampus nahe der Innsbrucker Innenstadt laufend eine Vielzahl von flüchtigen organischen Verbindungen und registrierten dabei selbst kleinste Mengen der gasförmigen Stoffe. Mithilfe eines Verfahrens, das die Konzentration von Gasen in Abhängigkeit von der Strömungsrichtung ermittelt, konnten sie aus diesen Messdaten dann auf einzelne Emissionsquellen schließen.
Eine stinknormale Stadt
Das Ergebnis: Wie nicht anders zu erwarten, reichte das Spektrum der Emissionsquellen von der Bäckerei bis hin zur Klinik. Weil viele flüchtige organische Verbindungen Duftstoffe sind, prägt dieses Spektrum auch den Geruch der Stadt. „Innsbruck ist in dieser Hinsicht eine stinknormale Stadt“, konstatiert Karl. Einige Überraschungen hielt die Auswertung der Daten aber dann doch bereit: Erstaunt waren Karl und seine Kollegen beispielsweise darüber, wie viele Verbindungen aus Kosmetika und Waschmitteln sie bei ihren Messungen nachweisen konnten. „Wir fanden in unseren Daten deutliche Hinweise auf Silikonöle, die in sehr vielen Kosmetik- und Reinigungsartikeln enthalten sind“, sagt der Wissenschaftler. „Dass diese Silikonöle in der städtischen Luft so deutliche Spuren hinterlassen, hat uns überrascht.“
Bei Stoffen aus Farben und Lacken konnte das Team die Auswirkungen der EU-Gesetzgebung an ihren Messungen ablesen: Seit rund 15 Jahren reguliert die Europäische Union flüchtige organische Verbindungen aus organischen Lösungsmitteln. Viele der oft giftigen Lösungsmittel wurden in der Zwischenzeit durch umweltfreundlichere, wasserlösliche Stoffe ersetzt. Aus diesem Grund sind in den Messdaten kaum noch Kohlenwasserstoffe wie Benzol und Toluol zu finden. „Dafür tauchen die wasserlöslichen Stoffe häufig in der Luft auf. Diese sind weniger reaktiv, was sich auch positiv auf die Bildung von bodennahem Ozon auswirken kann“, konstatiert Karl. Manche der heute eingesetzten Komponenten bilden ihm zufolge allerdings sekundäre organische Aerosole und tragen damit zur Feinstaubbildung bei. Wie hoch deren Anteil am städtischen Feinstaub ist, muss aber erst noch ermittelt werden.
Deutlich unterschätzt
Noch interessanter als die Zusammensetzung der Emissionen ist jedoch womöglich deren Menge. So zeigen die Messdaten, dass der Einfluss der flüchtigen organischen Verbindungen global gesehen bisher wohl deutlich unterschätzt wird. „Ist der für Innsbruck ermittelte Wert auch für asiatische Städte repräsentativ – was eher optimistisch geschätzt ist, dann wären die VOC-Emissionen mindestens doppelt so hoch wie angenommen“, betont Karl. Da dadurch mehr Feinstaub in der Atmosphäre vorhanden wäre und dieser wiederum Auswirkungen auf die Wolkenbildung hat, müssten die regionalen und globalen Klimamodelle nun entsprechend angepasst werden.