Die Diät seiner Eltern brachte ihn auf die Idee: Als der Schüler Simon Kaschock-Marenda seine Eltern Süßstoff in ihren Kaffee schütten sah, überlegte er sich ein kleines Experiment für seine Wissenschafts-AG. Er fragte seinen Vater, den Biologen Daniel Marenda von der Drexel University in Philadelphia, ob er dafür die Wirkung von Zucker und verschiedenen Süßstoffen auf Fruchtfliegen testen dürfe. Der Vater erlaubte es und brachte ihm aus dem Universitätslabor ein paar Fruchtfliegen mit. „Nach sechs Tagen kam mein Sohn zu mir und sagte: ‚Dad, alle Fliegen in meinen Truvia-Behältern sind tot'“, erzählt Marenda. Erstaunt ob dieser potenten Wirkung dieses in den USA inzwischen am zweithäufigsten verkauften Süßstoffes, wiederholten Vater und Sohn die Versuche – wieder mit dem gleichen Ergebnis: Alle Fruchtfliegen, die von diesem Süßstoff gefressen hatten, starben. Zuckerlösung oder einer der anderen Süßstoffe zeigten dagegen keinerlei negativen Effekte.
Der in den USA unter dem Markennamen Truvia verkaufte Süßstoff wird in Teilen aus einem Extrakt der Steviapflanze gewonnen und gilt daher als „natürlicher Süßstoff“. Chemisch betrachtet besteht er vor allem aus dem Zuckeralkohol Erythrit und dem Stevia-Glykosid Rebaudiosid sowie Aromastoffen. Für den Menschen ist er gut verträglich und sorgt sogar für weniger Verdauungsprobleme wie andere Süßstoffe. Einer der Inhaltsstoffe von Truvia schien den Fruchtfliegen aber offensichtlich nicht zu bekommen – aber welcher? Um das herauszufinden, beschloss Marenda, diesen Süßstoff und seine Wirkung gemeinsam mit Kollegen im Labor der Universität weiter zu untersuchen. Die Forscher mischten dafür Fruchtfliegen eine jeweils gleiche Menge an Zucker, Truvia, dem ebenfalls aus Stevia gewonnenen Süßstoff PureVia oder aber den reinen Inhaltsstoff Erythrit ins Futter. Bei allen Fliegengruppen kontrollierten sie, ob sich Anzeichen für negative Wirkungen zeigten und wie lange sie lebten.
Tod nach Süßstoff-Mahlzeit
Das Ergebnis war erneut eindeutig: Fliegen, die Truvia oder Erythrit bekommen hatten, waren nach wenigen Tagen tot, kurz vorher zeigten sie bereits Lähmungserscheinungen und Bewegungsanomalien, wie die Forscher berichten. Alle anderen Fliegengruppen blieben völlig gesund – auch die, die den zweiten Stevia-basierten Süßstoff erhalten hatten. „Das deutete darauf hin, dass der Stevia-Extrakt nicht die giftige Komponente des Truvia-Süßstoffs sein konnte“, erklärt Marenda. „Stattdessen stellten wir fest, dass das Erythrit eine ziemlich potente insektizide Wirkung auf die Fliegen hat.“ Je höher die Erythrit-Dosis, desto stärker war die Giftwirkung. Und noch etwas zeigten die Versuche: Hatten die Fliegen die Wahl, entweder Zucker oder Truvia zu fressen, bevorzugten sie paradoxerweise den für sie giftigen Süßstoff.
Nach Ansicht der Forscher könnte sich der Zuckeralkohol Erythrit daher bestens als schonendes, nicht gesundheitsschädliches Insektizid eignen. „Wir werden aber deshalb nicht losgehen und alles mit Erythrit einsprühen“, sagt Koautor Sean O’Donnell. Für einen Einsatz als Spritzmittel sei Erythrit wahrscheinlich weniger gut geeignet – wohl aber im Haushalt oder anderen Orten, wo ein solcher Köder mit Insektizidwirkung nützlich wäre. Bis es soweit ist, müssen die Forscher aber noch testen, ob das Erythrit auch auf Küchenschaben, Bettwanzen, Ameisen und andere im Haushalt lästige Insekten wirkt. Zur Sicherheit haben sie aber schon mal ein Patent für ein Erythrit-basiertes Insektizid beantragt.
Quelle:
- Daniel Marenda (Drexel University, Philadelphia) et al., PLOS ONE, doi: 10.1371/journal.pone.0098949