Fliegen mit Lichtsensor
Die Suche nach einer umfassenden Antwort darauf scheiterte bislang aber daran, dass eigentlich niemand weiß, wie viel Licht die Tiere nachts eigentlich tatsächlich abbekommen, erläutern Jesko Partecke und seine Kollegen. In den bisher durchgeführten Studien zum Thema wurden die Vögel meist sehr hohen Lichtintensitäten ausgesetzt, die teilweise sogar die in direkter Nachbarschaft einer Straßenlaterne überschritten.
Deswegen begannen die Biologen ihre neue Studie damit, dass sie einige Amselmännchen im Münchner Stadtgebiet einfingen, sie mit kleinen Lichtsensoren ausstatteten und sie wieder freiließen. Als Vergleich diente eine zweite Amselgruppe, die aus einem ländlichen Gebiet Oberbayerns stammte. Das Ergebnis überraschte die Wissenschaftler zunächst einmal: „Die Intensitäten waren mit 0,2 Lux sehr gering nur ein Dreißigstel dessen, was eine typische Straßenlampe ausstrahlt“, berichtet sich Partecke. Das ist jedoch immer noch deutlich mehr als das, was im Wald lebende Amseln kennen: Sie sind nachts im Schnitt nur einer Beleuchtungsstärke von 0,0006 Lux ausgesetzt.
Als nächstes testeten die Ornithologen, ob diese Lichtintensität tatsächlich einen Einfluss auf das Verhalten oder die Gesundheit von Amseln hatte. Wieder fingen sie dazu Vögel in München und in Oberbayern ein, diesmal jeweils 20 erwachsene Männchen. Einige der Tiere wurden in einem Raum gehalten, in dem die Forscher die gemessenen Lichtverhältnisse in der Stadt simulierten, und einige in einem zweiten, in dem Bedingungen wie in einem Wald herrschten. Immer wieder maß das Team dann Körpergewicht und Körperfett der Amseln sowie die Größe ihrer Hoden und verschiedene Hormonspiegel. Zudem zeichneten die Forscher auf, wann die Vögel morgens zu singen begannen und wann sie in die Mauser kamen.
Deutliche Verschiebung der Reifezeit
Erstaunlicherweise begannen die Hoden der Tiere unter Stadtbedingungen fast einen ganzen Monat früher zu reifen als unter Waldbedingungen, stellten die Biologen fest. Auch ihr Testosteronspiegel stieg früher, und sie begannen morgens knapp eine Stunde früher zu singen. Einen ähnlichen Effekt beobachtete das Team auch gegen Ende der Brutphase: Hier sorgte die hellere Umgebung ebenfalls dafür, dass sich die Keimdrüsen früher zurückbildeten und die Tiere früher in die Mauser kamen. Trotzdem war die Brutphase der Vögel unter Stadtbedingungen insgesamt länger als unter den Bedingungen eines Waldes.
Überraschend für die Forscher war zudem die Beobachtung, dass die in München eingefangenen Tiere stärker auf das gedämpfte Licht reagierten als ihre Artgenossen aus dem Wald: Bei ihnen war die Verschiebung der Fortpflanzungsperiode deutlich größer ausgeprägt. Warum das so ist, können die Wissenschaftler allerdings noch nicht sagen. Das gilt auch für den Effekt an sich. Es seien mehrere Faktoren denkbar, erläutern sie. So ist es möglich, dass das nächtliche Licht die Produktion des Schlafhormons Melatonin reduziert und damit auch alle möglichen anderen Vorgänge im Körper beeinflusst. Es könnte aber auch sein, dass sich der Stoffwechsel der Tiere umstellt und sie mehr Fett einlagern, das ihnen wiederum mehr Energie für die Fortpflanzung liefert.
Anders, aber nicht unbedingt schlecht
Was auch immer der Grund sei, die Studie zeige eindeutig, dass das Leben in der Stadt das Verhalten der Amseln verändert, resümiert die Gruppe. Ob nun zu ihrem Vorteil oder zu ihrem Nachteil, sei aktuell schwer zu beurteilen. Früher mit der Familienplanung anzufangen, könnte den Tieren ermöglichen, mehr Nachwuchs pro Jahr zu produzieren, wäre also ein Vorteil vorausgesetzt, es ist genug Futter für besagten Nachwuchs vorhanden. Andererseits erreichen die Tiere so den Höhepunkt ihrer Fruchtbarkeit möglicherweise genau zu einer Zeit, in der das Wetter alles andere als geeignet für die Aufzucht von Nachwuchs ist. Welcher Faktor überwiegt, sollen nun Feldstudien zeigen.
Das Licht ist übrigens nicht das einzige am Stadtleben, das sich auf das Vogelverhalten auswirkt: Auch der ständige hohe Geräuschpegel beeinflusst die Tiere sie singen in höheren Lagen und lauter als ihre landlebenden Artgenossen. Und auch die höheren Temperaturen in den Städten spielen eine Rolle, denn sie tragen ebenfalls zu einer Verschiebung der Fortpflanzungsphase bei.