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Seltsame Radioblitze aus dem All

Astronomie|Physik Erde|Umwelt

Seltsame Radioblitze aus dem All
Wenige Millisekunden dauernde Energiegewitter in kosmischen Distanzen stellen die Astrophysiker vor ein Rätsel.

Etwa alle zehn Sekunden geschieht irgendwo in der Unermesslichkeit des Weltalls etwas Seltsames: Ein kosmisches Ereignis setzt unbeschreibliche Mengen Energie frei und erzeugt ein gewaltiges Radiowellen-Signal. Nur Bruchteile einer Sekunde dauert der Ausbruch, dann ist er wieder vorbei.

Insgesamt zehn dieser merkwürdigen Radioblitze haben Astronomen seit 2007 in ihren Daten entdeckt. Zuerst waren sie unsicher, ob es sich nicht um Störgeräusche von der Erde oder sogar um Datenfehler handelt. Denn zunächst tauchten die Signale nur in Aufzeichnungen des Parkes-Teleskops in Australien auf. Doch dann entdeckte ein Team um Laura Spitler vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn ein weiteres Exemplar in den Daten des Arecibo-Teleskops auf Puerto Rico.

„Aller Wahrscheinlichkeit nach kommen die Radioblitze aus den Tiefen des Alls“, sagt Heino Falcke, Radioastronom an der niederländischen Universität Nijmegen. Aus der Beobachtungszeit und der Zahl der Himmelsausschnitte, die sie durchsuchen mussten, um die zehn Signale zu finden, haben die Forscher hochgerechnet, dass pro Tag etwa 10 000 Radioblitze am Himmel aufleuchten.

Einmalige Ereignisse

Doch was da draußen im Kosmos geschieht, ist ihnen schleierhaft. Die Blitze ähneln zwar den Signalen, die schnell rotierende Neutronensterne – die Pulsare – in schöner Regelmäßigkeit alle paar Augenblicke abstrahlen. Aber die Radioblitze sind einmalige Ereignisse. Und während die bekannten Pulsare aus der Milchstraße oder deren engster Nachbarschaft senden, kommen die Radioblitze offenbar aus großen kosmischen Entfernungen.

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Aus der Form des Signals lässt sich schließen, dass sie ihren Ursprung drei bis zehn Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt haben – weit jenseits der Distanzen, aus denen man die Botschaften von Pulsaren noch erlauschen kann. Die Energie, die erforderlich ist, um die extrem kurzen, aber gewaltigen Ausbrüche elektromagnetischer Strahlung zu erzeugen, ist immens. Sie entspricht fast dem, was bei einer durchschnittlichen Supernova-Explosion freigesetzt wird.

Die Quelle muss also ein massereiches kosmisches Objekt sein, das sich innerhalb von Millisekunden drastisch verändert. „Wir haben es mit einem exotischen Phänomen zu tun“, meint Heino Falcke. Aller Wahrscheinlichkeit nach sei seine Zunft einer fundamentalen Entdeckung auf der Spur: „Wir sind in einer ähnlichen Situation wie bei den Gammablitzen vor 30 Jahren.“

Damals hatten Astrophysiker rätselhafte Ausbrüche energiereicher Gammastrahlung entdeckt, deren Herkunft lange unklar blieb. 1997 gelang es erstmals, einen Gammablitz so schnell zu lokalisieren, dass man auch das Nachglühen des Ausbruchs in anderen Wellenlängen des Lichts beobachten konnte. Heute weiß man, dass besonders brachiale Sternexplosionen, sogenannte Hypernovae, und vermutlich auch verschmelzende Neutronensterne oder Schwarze Löcher Gammablitze verursachen.

Bei der Vereinigung zweier Neutronensterne könnten ebenfalls Radioblitze entstehen. Eine weitere Möglichkeit sind verdampfende Schwarze Löcher. Laura Spitler, die Entdeckerin des jüngsten Radioblitzes, vermutet, dass die Blitze bei ungewöhnlich starken Ausbrüchen von Neutronensternen entstehen – Ereignissen, die bislang nicht beobachtet wurden, weil sie bei bestimmten Pulsaren vielleicht nur einmal pro Jahrhundert auftreten. Und Heino Falcke hat zusammen mit seinem Kollegen Luciano Rezzolla von der Universität Frankfurt am Main ein Modell entwickelt, wonach die Blitze der Todesschrei von besonders schweren instabilen Neutronensternen sind.

Solche Himmelskörper, die die Forscher Blitzare getauft haben, könnten bei Supernova-Explosionen von schwergewichtigen Sonnen entstehen, die normalerweise zur Geburt eines Schwarzen Lochs führen. Doch dem Modell der Astrophysiker zufolge kann sich der Kollaps verzögern, wenn sich die Sternleiche extrem schnell um die eigene Achse dreht. Als Zwischenstadium bildet sich ein überschwerer rotierender Neutronenstern. Weil er allmählich Energie verliert, kollabiert er nach einer Weile doch zum Schwarzen Loch. Dabei wird laut den Berechnungen der Forscher ein kurzes starkes Radiosignal erzeugt – ein Radioblitz.

Monatelange Suche

Um zwischen den verschiedenen Möglichkeiten zu unterscheiden, müssen die Wissenschaftler noch weitere Radioblitze beobachten – wenn möglich in Echtzeit. Denn dann könnten sie andere Teleskope sofort auf die gleiche Stelle im Weltall richten und herausfinden, ob auch die Radioeruptionen von einem Nachglühen begleitet werden, zum Beispiel in Form von sichtbarem Licht oder Röntgenstrahlung.

Bislang war die Suche nach den seltsamen Signalen äußerst langwierig: Laura Spitler hat monatelang immense Datenberge per Hand durchforstet, bis sie ihren Blitz endlich entdeckte. Doch da die Forscher nun wissen, wonach sie suchen müssen, können sie die Datenanalyse automatisieren. „In ein paar Jahren werden wir mit einer neuen Generation von Radioteleskopen einige Hundert Radioblitze pro Tag entdecken“, ist Heino Falcke überzeugt.

Dann können die Forscher vielleicht auch feststellen, aus welchen Galaxien die Ausbrüche kommen. Das ist bislang unmöglich, weil Radioteleskope eine schlechte räumliche Auflösung haben. Selbst die größten Observatorien wie Arecibo oder Effelsberg in der Eifel haben nur eine Handvoll Bildpunkte, können also Signale aus unterschiedlichen Richtungen nicht gut voneinander trennen. Die „Pixel“ bilden zwar jeweils nur einen winzigen Ausschnitt des Himmels ab. Doch der ist immer noch so groß, dass sich darin Tausende von Galaxien befinden, von denen jede als Ursprungsort infrage kommt.

Falls sich die kosmische Herkunft der Radioblitze bestätigt, haben die Astronomen neue Pläne: Anhand der Signale wollen sie das unglaublich dünne Medium zwischen den Galaxien erforschen. Erstmals könnten sie dann genau messen, ob dieser nahezu leere Raum von Magnetfeldern durchzogen wird – und wie hoch die Dichte der Elektronen ist. •

von Ute Kehse

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