Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Afrikanische Zeugen der Evolution

Erde|Umwelt

Afrikanische Zeugen der Evolution
An ostafrikanischen Buntbarschen lässt sich die Entwicklung des Lebens bestens studieren, wie der in Basel arbeitende Biologe Walter Salzburger belegt.

Wer im Internet die Sponsorenseite Ihres Instituts anschaut, hat den Eindruck, dass das evolutionäre Verhalten der Buntbarsche ein sehr wichtiges Forschungsfeld ist, Herr Prof. Salzburger.

Meine Arbeitsgruppe wird in der Tat gut gefördert. Der Europäische Forschungsrat (European Research Council, ERC) förderte ein erstes Projekt über fünf Jahre. Jetzt unterstützt der ERC bereits unser zweites Projekt mit einem Volumen von zwei Millionen Euro über fünf Jahre. Dazu kommen weitere Förderungsprogramme mit einem Gesamtvolumen von einer halben Million Euro für die nächsten beiden Jahre. Das zeigt: Unsere Grundlagenforschung stößt auf großes Interesse.

Was ist das Ziel Ihrer Arbeiten?

Wir wollen am Beispiel von Buntbarschen erkennen, wie biologische Vielfalt entsteht. Eine direkte Anwendung unserer Forschungserkenntnisse sehe ich nicht. Dennoch ist unser Ansatz ein positiver Gegenpol zur verbreiteten wissenschaftlichen Fragestellung, die sich damit auseinandersetzt, wie die Vielfalt des Lebens – sprich die Biodiversität – unter dem Einfluss des Menschen dramatisch abnimmt.

Anzeige

Was ist spannend an Buntbarschen?

Sie sind extrem vielfältig, sowohl was die Artenzahl als auch ihr Erscheinungsbild betrifft: Körperform, Maulform, Farbe. Sie sind ein wunderbares Modellsystem, um Prozessen auf den Grund zu gehen, die die Evolution ausmachen. Wir können an ostafrikanischen Buntbarschen hervorragend Anpassungen an das Umfeld studieren. Und wir registrieren dabei immer wieder Erfindungen der Natur, die zur Bildung neuer Buntbarscharten beitragen.

Buntbarsche sind demnach so etwas wie die Turbo-Organismen der Evolution?

Noch vor dem wissenschaftlichen Zeitalter der Genetik und Genomik erkannten die Kollegen, dass die Bildung von Arten bei den Buntbarschen extrem schnell gehen muss. Die ostafrikanischen Seen, in denen wir sie studieren – Tanganjikasee, Viktoriasee, Malawisee – sind geologisch gesehen sehr jung. Der Tanganjikasee ist höchstens zwölf Millionen Jahre alt. Und trotzdem gibt es in ihm etwa 250 Arten Buntbarsche. Die anderen Seen sind noch jünger – und sogar noch artenreicher. Dieses Buntbarschrätsel zu entschlüsseln, beschäftigt inzwischen eine Vielzahl von Biologen. Eine relativ frische Erkenntnis ist dabei, dass neue Mutationen bei dieser Artenexplosion eine weit geringere Rolle spielen als die Genregulation. Letztere ist der Schlüssel dazu, ob ein von einem Gen vorbestimmtes Protein gebildet wird, zu welcher Zeit und in welcher Menge.

Wodurch unterscheiden sich die einzelnen Arten?

Da gibt es beispielsweise Arten, die ich als helfende Buntbarsche bezeichnen möchte: Eltern rekrutierten ihren Nachwuchs, um deren jüngere Geschwister zu betreuen. Weiterhin unterscheiden sich Arten durch unterschiedliche Nestbildung – oder durch ihr Brutpflegeverhalten. Ein schöner Beleg für die Funktionalität von Evolution ist übrigens, dass in Seen, die keinen Gewässeraustausch miteinander haben, ähnliche Buntbarscharten entstanden sind.

Welches Ihrer Forschungsergebnisse hat Sie am stärksten überrascht?

Vor einigen Jahren wollten wir Zusammenhänge zwischen der Nahrungsaufnahme und den Maulformen der Fische darstellen. Dabei haben wir zwei Arten gefunden, die extrem ähnlich aussehen und darüber hinaus auch noch in der gleichen ökologischen Nische im selben See leben. Laut Lehrbuch und nach den Prämissen der Ökologie dürfte es das gar nicht geben. Für mich folgt daraus, dass das gängige Nischenkonzept der Ökologen zumindest nicht in jedem Fall stimmt. Wenn allein im Tanganjikasee 250 verschiedene Arten von Buntbarschen existieren können, müssen sie sich zwangsweise bestimmte ökologische Nischen teilen. 250 verschiedene ökologische Nischen gibt es in so einem See nun wirklich nicht. Dass wir mit unseren Beobachtungen ein Grundprinzip der Ökologie infrage stellen konnten, hat mich schon sehr überrascht.

Wie reagierte die Community der

Ökologen auf das Infragestellen eines Grundprinzips?

Insgesamt ist unsere Studie wohlwollend kommentiert worden. Um die Lehrbücher der Ökologie wirklich umschreiben zu können, müsste man noch sehr viel mehr Experimente in anderen Lebensräumen machen, die unsere Beobachtungen belegen. Das war und ist aber nicht unser Ziel.

Warum entstehen ausgerechnet bei

Buntbarschen so rasch und vielfältig neue Arten?

Wir gehen davon aus, dass irgendetwas im Genom der Buntbarsche für diese Beschleunigung verantwortlich ist. Genauer lässt sich das gegenwärtig noch nicht spezifizieren. Klar ist: Andere Fischfamilien haben sich in den ostafrikanischen Seen deutlich langsamer entwickelt. Bei den Familien der Karpfenartigen oder der Welse haben sich im gleichen Lebensraum neue Arten deutlich langsamer ausgebildet – nur ein zehntel oder gar ein hundertstel so schnell.

Könnte man während eines Forscherlebens eine neue Buntbarschart entstehen sehen?

Das glaube ich tatsächlich. Im Labor entwickelt sich binnen vier Monaten eine neue Generation. In der Wildnis dauert es auch nicht länger als ein halbes Jahr. Anders betrachtet heißt das: Über ein Forscherleben entwickeln sich gut 50 Generationen von Buntbarschen. Und in diesem Zeitraum ist die Ausbildung einer neuen Art durchaus möglich.

Was ist das Hauptkriterium, um eng

verwandte Arten zu unterscheiden?

Das biologische Artkonzept besagt im Wesentlichen, dass es zu keiner Reproduktion zwischen den geteilten Einheiten mehr kommen kann.

Neben den Buntbarschen in ostafrikanischen Seen erforschen Sie die sogenannten Eisfische, die Notothenioide, die im Südpolarmeer rund um die Antarktis leben. Der Gegensatz könnte nicht krasser sein.

Wenn wir Entwicklungspfade der Evolution generell verstehen wollen, sollten wir nicht nur Buntbarsche in Afrika anschauen. Betrachten wir dagegen Barschartige in zwei völlig verschiedenen Ökosystemen, kommen wir den Prinzipien der Evolution deutlich näher. Da bieten sich die Eisfische an. Von ihnen gibt es etwa 150 Arten. Eisfische leben im südpolaren Ozean. Die dortigen Wassermassen vermischen sich durch den Zirkumpolarstrom nur wenig mit dem übrigen Ozean. Deshalb können wir auch diese Region als ein wenig durchlässiges, insel-ähnliches Ökosystem betrachten, so wie die afrikanischen Seen.

Und worin ähneln sich Eisfische und Buntbarsche? Welche Erkenntnisse ergeben sich daraus für die Evolutionsbiologie?

Eisfische und Buntbarsche dominieren ihre jeweiligen Lebensräume in Bezug auf Artenzahlen. Beide haben viele verschiedene Bereiche in ihren Heimatgewässern besiedelt, und in beiden Gruppen scheint die Anpassung an unterschiedliche Nahrungsweisen die Triebfeder für die Entstehung von neuen Arten und somit von biologischer Vielfalt zu sein. Klar ist allerdings auch: Selbst die vielfältigen Eisfische können den Buntbarschen nicht das Wasser reichen, wenn es um die Geschwindigkeit der Evolution geht. •

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Tut|ti  〈n.; – od. –s, – od. –s; Mus.〉 Spiel des ganzen Orchesters; Ggs Solo ( … mehr

Van  〈[væn] m. 6; Kfz〉 großer Personenkraftwagen mit erhöhter Karosserie (u. fünf bis acht Sitzplätzen) [<engl. van … mehr

Kern|fach  〈n. 12u〉 wichtiges Unterrichtsfach, das für alle Schüler verbindlich ist, z. B. Deutsch

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige