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Superglas dank Rillen

Technik|Digitales

Superglas dank Rillen
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Von der Struktur des Perlmutts inspiriert: das neue Superglas (F. Barthelat)
Trotz modernster Technik: In Bezug auf Ingenieursleistungen ist uns die Natur noch immer weit voraus. Nur sie schafft es, Materialien herzustellen, die extrem hart und trotzdem nicht spröde sind. Kanadische Forscher haben daher einfach bei der Natur abgeguckt: Sie übertrugen das Konstruktionsprinzip von Muschelschalen und Zähnen auf Glas und machten dieses mit simpelsten Mitteln 200 Mal stabiler.

Ob Perlmutt aus der Muschelschale oder der Zahnschmelz unserer Zähne: In der Natur finden sich viele Materialien, die gleich mehreren Belastungen standhalten müssen. Als harte Hülle schützen sie vor Stößen und Druck und halten die Form stabil, gleichzeitig sind sie aber elastisch genug, um nicht zu brechen oder zu reißen. Ihre Härte erhalten sie meist durch Mineralien, einige bestehen sogar zu mehr als 95 Prozent daraus. “Bei einem so hohen Mineralgehalt würde man erwarten, dass diese Materialien spröde und brüchig werden, doch stattdessen sind sie extrem widerstandsfähig, stabil, haltbar und tolerant gegenüber Schäden”, erklären Francois Barthelat von der McGill University in Montreal und seine Kollegen. Wie Muschelschale und Co dies erreichen, das beschäftigt Forscher schon seit mehreren Jahrzehnten. Trotz aller Versuche ist es bisher allerdings nicht gelungen, diese Ingenieursleistung der Natur mit synthetischen Materialien zu kopieren.

Auf die Anordnung kommt es an

Barthelat und seine Kollegen haben nun erneut einen Versuch gestartet, das Erfolgsprinzip dieser Naturmaterialien zu ergründen und zu kopieren. Dafür analysierten sie zunächst die Struktur und Bruchfestigkeit von Zahnschmelz und Perlmutt – und entdeckten einige Gemeinsamkeiten dieser auf den ersten Blick sehr verschiedenen Materialien: “Die Natur nutzt drei übergreifende Eigenschaften, um Sprödigkeit in Festigkeit zu verwandeln: Steife, harte Grundbausteine, die durch schwächere Grenzflächen miteinander verbunden sind und die zudem in einer bestimmten Architektur arrangiert sind”, erklären die Forscher.

Im Falle des Perlmutts bestehen die Grundbausteine aus mikroskopisch kleinen Plättchen aus Kalziumkarbonat, die durch “Mörtel” aus Proteinen und Zuckern zusammengehalten werden. Ähnlich wie bei einem Mauerwerk sind die Plättchen zudem so angeordnet, dass sie sich überlappen und Risse so keine freie Bahn bekommen, um sich auszubreiten. Die wellige Verschränkung der Plättchen absorbiert die Energie des Risses und bremst ihn aus, wie die Forscher erklären. Ähnlich sieht es im Zahnschmelz aus: Hier bilden feine, senkrecht zur Oberfläche angeordnete Stäbchen den mineralischen Grundbaustein, Proteine verbinden sie. Weiter innen bilden diese Stäbchen ein verflochtenes Netz, das ebenfalls dazu dient, Risse an der Ausbreitung zu hindern.

Schwachstellen machen stärker

Wie aber lässt sich dieses Prinzip am besten auf künstliche Verbundstoffe übertragen? Barthelat und seine Kollegen versuchten dies mit Glas, einem harten, aber notorisch brüchigen Material. Ihre erste Idee dabei: künstliche Schwachstellen zu schaffen, um die elastischen Grenzschichten von Perlmutt und Zahnschmelz nachzuahmen. Dazu frästen sie mit Hilfe eines Lasers in regelmäßigen Abständen wellenförmige Rillen ins Glas und prüften, wie diese Veränderungen die Bruchfestigkeit des Materials beeinflussten. Das Ergebnis war überraschend: Lagen die Schwachstellen zwischen 80 und 130 Mikrometer auseinander, machten sie das Glas stabiler statt es zu schwächen – und das gleich um den Faktor 100. “Ein Material stärker zu machen, indem man Schwachstellen einfügt, mag paradox erscheinen, aber es ist offenbar eine universelle und wirkungsvolle Strategie in Naturmaterialien”, konstatieren die Wissenschaftler.

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Als nächstes ahmten die Forscher die elastische Komponente des “Mörtels” im Perlmutt nach, indem sie die ausgefrästen Rillen mit einer Polyurethan-Mischung ausgossen. Dieses Polymer bildet lange, elastische Ketten, die im Falle eines Bruchs oder Risses wie Gummibänder die aufklaffenden Ränder zusammenhalten. “Außerdem dient diese Substanz als weiches ‘Kissen’, das die Belastungen in der Kontaktregion zwischen benachbarten Glasflächen dämpft”, so die Wissenschaftler. Diese weitere Anlehnung an das Naturprinzip zahlte sich aus: Das solchermaßen veränderte Glas war deutlich flexibler und 200 Mal stabiler als zuvor. “Dieser von der Natur inspirierte Ansatz, basierend auf sorgfältig strukturierten Grenzflächen, liefert uns einen Weg, künftig Glas, Keramik und andere harte, spröde Materialien stabiler zu machen”, konstatieren Barthelat und seine Kollegen. Raffiniert gewellte Rillen in einem Glas könnten bald mehr sein als bloße Dekoration.

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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