Aus den an der Erdoberfläche aufgefangenen Erdbebenwellen können die Geologen Rückschlüsse auf die Lage der Grenzen zwischen den Schichten und auf die Dichte der Schichten ziehen. Dabei sind aber Informationen über die beiden Erdkernschichten am schwierigsten zu erlangen. Außerdem liefern die Erdbebenwellen in erster Linie zuverlässige Werte über die Dichtedifferenzen zwischen zwei Schichten, nicht aber über die absoluten Dichtewerte.
Nach einer theoretischen Rechnung von Lindner und seinen Kollegen ist das bei dem von ihnen vorgeschlagenen Verfahren genau umgekehrt: Aus der Messung von Neutrinos, die die Erde durchdrungen haben, kann man die mittlere absolute Dichte der durchdrungenen Schichten gut berechnen, nicht aber lokale Dichteschwankungen. Außerdem erlaubt der Vorschlag der Münchner Physiker bei entsprechender Anordnung der Neutrinodetektoren eine Vermessung des Erdkerns.
Bei diesem Rückschluss machen sich die Münchner Forscher die erst kürzlich bestätigte Theorie der Neutrino-Oszillationen zunutze: Demnach wandeln sich die drei Neutrino-Sorten Elektron-, Mü- und Tau-Neutrino fortwährend ineinander um. Der Clou dabei: Die Umwandlungsrate wird von der Dichte des durchdrungenen Mediums beeinflusst, was die Bestimmung der Dichte der Erdschichten möglich macht.
Für dieses Verfahren kommen nach der Berechnung von Lindners Team nicht die von der Sonne abgestrahlten Neutrinos in Frage, sondern nur die energiereicheren Neutrinos, die eine kollabierende Supernova mit mindestens achtfacher Sonnenmasse in den ersten zehn Sekunden ihres Kollapses aussendet. Aufgefangen werden können die Neutrinos von den schon existierenden Neutrinodetektoren wie beispielsweise dem japanischen Super-Kamiokande.