Neue Experimente zur Wechselwirkung von Neutrinos mit Atomkernen haben zu Ergebnissen geführt, die sich nicht mit dem Standardmodell der Elementarteilchenphysik erklären lassen. Dies stellt theoretische Elementarteilchenphysiker vor ein Rätsel und lässt einige Forscher gar eine neue Fundamentalkraft am Werk vermuten.
Das Team von Sam Zeller von der Northwestern Universität in Illinois in den Vereinigten Staaten benutzte einen Teilchenbeschleuniger am Fermilab bei Chicago, um Myon-Neutrinos auf Eisenatomkerne zu schießen. Einige der Neutrinos wandelten sich dabei in Myonen um, schwere Verwandte der Elektronen. Die Untersuchung von mehr als drei Millionen derartiger Kollisionen hat nun zu dem Ergebnis geführt, dass der Prozentsatz der Neutrinos, die sich nicht zu Myonen umwandeln, um ein Prozent von den Vorhersagen des Standardmodells der Elementarteilchenphysik abweicht. Eine derartige Diskrepanz zwischen Theorie und Experiment ist in der Elementarteilchenphysik durchaus signifikant.
Nach der bisherigen Lehrmeinung wechselwirken Neutrinos mit den Quarks der Atomkerne über die sogenannte elektroschwache Kraft, die unter anderem auch für den sogennaten Betazerfall von Atomkernen verantwortlich ist. Das Experiment der Physiker der Northwestern Universität zeige nun auf, dass diese These vielleicht revidiert werden müsste, so Jens Erler, ein theoretischer Physiker von der Universität Pennsylvania. Vielmehr sei hier vielleicht eine neue Elementarkraft, eine „extra-schwache Kraft“, am Werk. Obwohl Fachkollegen einen derartigen Schluss für verfrüht halten, werden neue Experimente über die Wechselwirkung von Neutrinos mit Materie gewiss noch eine Vielzahl an Überraschungen für Theoretiker bereit halten.
Stefan Maier