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Physik ist sexy – zumindest auf der Bühne

Wissenschaftskabarett

Physik ist sexy – zumindest auf der Bühne
Im alltäglichen Leben würde man der Physik als Disziplin eher nicht das Attribut „sexy“ anheften. Für den Wissenschaftskabarettisten Vince Ebert brachte ein Bühnenprogramm mit diesem Titel den Durchbruch. Im Interview verrät er, wie er aus gesammeltem Wissen neue Gags macht. Außerdem wie er vom Unternehmensberater zum deutschlandweit bekannten Alleinunterhalter wurde. Und was eigentlich ein Montags- von einem Freitagspublikum unterscheidet

Was halten Sie von der Stringtheorie, Herr Ebert?

Das ist jetzt was Schlüpfriges, oder?

Aber nicht doch! Wir wollen eine Antwort vom Diplomphysiker Vince Ebert.

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Ich bin der Auffassung, dass sich große wissenschaftliche Erkenntnisse im Kern einfach erklären lassen. Wäre die Stringtheorie das, würde ich dazu bestimmt etwas sagen können. Ich maße mir keinesfalls an, das zu werten. Doch wenn eine Theorie wie die Superstringtheorie und die damit verbundene Supergravitation so komplex sind und ich elf Dimensionen brauche, um ein Phänomen zu erklären, sind die Wissenschaftler wohl noch nicht wirklich am Ziel.

Sie haben sich eingehend mit Festkörperphysik ­beschäftigt. Nach dem ­Diplom lief es bei Ihnen wie bei vielen anderen Physikern. Sie suchten sich brav einen Arbeitsplatz in der Wirtschaft und begannen bei einem Consultingunternehmen. Warum stellten Sie die Weiche dann um?

Ich sage immer scherzhaft: Als Physiker versteht man von Beratung zwar genauso wenig wie ein BWLer – dafür aber in der Hälfte der Zeit. Drei Jahre lang habe ich als Consultant gearbeitet. Und obwohl ich einen guten Chef hatte, registrierte ich bei mir ein ständiges Unbehagen, in Hierarchien eingebunden zu sein. Wenn ich nicht auf die Bühne gegangen wäre, hätte ich mich bestimmt selbstständig gemacht. Später wechselte ich zu einer Werbeagentur in Frankfurt, die ­einen Halbtagsjob in der strategischen Planung zu besetzen hatte. Mit dem Gehalt konnte ich meine Miete ­bezahlen und in der übrigen Zeit mich auf der Bühne ­verwirklichen. Nach drei Jahren war ich so etabliert, dass ich den Agenturjob an den Nagel hängen konnte.

Sie treten seit 16 Jahren auf der Bühne auf. Wie viele Shows haben Sie denn ­inzwischen hinter sich?

Das weiß ich wirklich nicht. Schlimmer noch: Vor etwa vier Jahren habe ich den Überblick verloren, in welchen Städten ich wie oft schon war. Zum Glück ist es mir jedoch noch nie passiert, dass ich Leute in Bielefeld mit ­einem freundlichen „Hallo Gütersloh“ begrüßt habe.

Achten Sie bei Ihren Veranstaltungen ­darauf, wann die ersten Lacher kommen?

Die kommen sehr häufig an denselben Stellen – was vor allem damit zusammenhängt, dass ich meine Bühnenprogramme sehr detailliert ausarbeite und wie Theaterstücke durchinszeniere.

Heißt das, dass in Hamburg an den gleichen Stellen gelacht wird wie in Stuttgart?

Das ist so. Regionale Unterschiede sind bei meinen ­Programmen nur unterschwellig vorhanden. Größere ­Unterschiede gibt es allerdings zwischen Montags- und ­Freitagspublikum.

Wie das?

Wer am Freitag ins Theater geht, ist gelöster als am Montag, wenn noch fast die ganze Arbeitswo­che vor
ihm liegt. Auch klassische kalte Mehrzweckhallen versprühen weniger Charme für gute Stimmung als ein ­kleines kuschliges Kellertheater. Aber grundsätzlich versuche ich möglichst wenig darüber nachzudenken, warum das Publikum gestern besser drauf war als heute.

Mit dem Wissenschaftskabarettisten ­Vince Ebert ging es stets aufwärts. Verraten Sie uns dennoch einen Tiefpunkt ­Ihrer Karriere?

Der ereignete sich vor wenigen Jahren bei einer klassischen Weihnachtsfeier in einem Autohaus. Gefliester Boden, gekachelte Wände – der unaufdringliche Charme einer pathologischen Abteilung. Kurz gesagt: nichts passte und ich floppte so richtig. Da halfen auch die Tricks nicht, die man im Lauf der Jahre erlernt hat, um die Stimmung aus dem Keller zu bringen. Aber solche ­Erfahrungen gehören eben auch zu einer Bühnenkarriere.

Ihre Erfolge feiern Sie in der Regel damit, physikalisches Wissen unters Kabarettvolk zu bringen.

Ich hatte zunächst nur kleinere physikalische Schnipsel im Programm. Obwohl ich schon viele Shows gespielt hatte, war ich immer noch auf der Suche nach der Unverwechselbarkeit. Dabei wuchsen mir die Termine über den Kopf. In dieser Situation lernte ich eine erfahrene Managerin kennen. Die sah sich mein Programm an und meinte: „Das ist Scheiße. Aber du hast irgendetwas und bist ein lustiger Typ. Wenn du ein Programm über Physik machst, dann nehme ich dich in meine Agentur auf.“ Danach ­habe ich recht schnell mein Programm „Physik ist sexy“ auf die Beine gestellt und praktisch mit der Erstaufführung gemerkt: Das ist es! Mit der Managerin arbeite ich immer noch, seit über zehn Jahren mittlerweile.

Ihr aktuelles Programm heißt „Evolution“, hat also vordergründig wenig mit Physik zu tun.

Das fünfte oder sechste Programm nur über Physik zu machen, wäre dann doch nicht so sexy. Deshalb wildere ich überall in der Wissenschaft. Es geht mir in meinen Programmen immer darum, auf lustige Weise die grundsätzliche Methodik der Wissenschaft zu vermitteln. Evolution eignet sich deshalb so gut, weil es einerseits ein naturwissenschaftliches Thema ist, andererseits aber auch mit unserer menschlichen Entwicklung – mit unserem Leben schlechthin – zu tun hat. Dadurch kann man Themen wie Partnerwahl oder auch Sex einbinden. Natürlich immer auf der streng wissenschaftlichen Ebene!

Wer sich über Ihre Programme informiert, registriert etwas verwundert, dass bei ­Ihnen Eckart von Hirschhausen etliche Jahre Regie geführt hat.

Als ich bei Eckart anfragte, war er mit seinem Medizinprogramm bereits erfolgreich auf Tour. Er hat mit mir sehr viel an meinen Texten und der Ablaufstruktur des Abends gearbeitet. Nach drei Programmen merkte ich, dass ich neue Wege gehen, dass ich Neues lernen möchte. Inzwischen arbeite ich verstärkt am Ausdruck und der Bühnenpräsenz. Deshalb ist jetzt Jim Libby mein Regisseur. Er kommt aus dem schauspielerischen Bereich und weiß, wie ich am besten auf der Bühne wirke. Außerdem ist er Amerikaner – meiner internationalen Karriere steht also nichts mehr im Weg (lacht).

Sie und von Hirschhausen sind Konkurrenten. Warum hat er Ihnen geholfen, besser zu werden?

Wir sind keine Konkurrenten, wir sind befreundet. Und wir haben unterschiedliche Themen. Uns beide verbinden die Lust und der Spaß, den Menschen Wissenschaft näher zu bringen. Und das kann in einem Land mit 81 Millionen Einwohnern ein Einziger nicht schaffen. Wir sind also keine Substitute wie Pepsi und Coca Cola, die sich gegenseitig Kundschaft und Marktanteile wegnehmen. Im Gegenteil: Je besser die Szene aufgestellt ist, desto größer wird das Publikum.

Wie bereiten Sie Ihr Programm vor?

Ich bin ein fleißiger Mensch und lese viel – und zwar querbeet. Grundlage für jedes Programm sind ein bis ­eineinhalb Meter Bücher, die ich altherkömmlich auf ­Papier lese, weil ich mir dann dort auch gleich Notizen machen kann. Durch die Autoren der erstgelesenen ­Bücher stoße ich auf weitere interessante Quellen, die ich mir ebenfalls besorge. Im Grunde unterscheidet sich meine Recherchearbeit also gar nicht so sehr vom wissenschaftlichen Arbeiten. Zunächst denke ich auch nicht an den Witz. Mein Interesse ist es, Phänomene zu verstehen. Gags entstehen dann oftmals dadurch, dass ich Phänomene am Menschen veranschauliche.

Dafür haben Sie bestimmt ein Beispiel parat.

In meinem Evolutionsprogramm erzähle ich über den Tintenfisch Sepia apama, bei dem die schwächeren Männchen ihre Farbe wechseln und vortäuschen, ein Weibchen zu sein, um auf diese Weise an die streng bewachten Weibchen heranzukommen. Dann wechseln sie wieder ihre Farbe und paaren sich mit den Weibchen. Ein Gag dabei heißt: vom Tinten- zum Tuntenfisch. Bei uns Menschen ist dieses Phänomen übrigens ­bekannt als „Kölner Karneval“.

Was können und wollen Sie durch Ihre Auftritte bewirken?

Ich möchte veranschaulichen, dass wir ohne die Errungenschaften der Natur- und Ingenieurwissenschaften sowie der modernen Medizin nicht dort wären, wo
wir sind. Wenn aus der Dusche sofort warmes Wasser kommt, verdanken wir das der Technik. Wenn wir ­Kopfweh mit einer Tablette wegzaubern können, verdanken wir das den Naturwissenschaften. Wenn wir in Deutschland heute 80 Jahre alt oder noch älter werden, verdanken wir das der Medizin und den Naturwissenschaften. Das sind unsere wahren Ressourcen. Wenn das in ­Zweifel gezogen wird, reagiere ich oft unerbittlich und humorlos und muss mich zügeln.

Sind Deutsche wissenschaftsfeindlich?

Die wichtige Rolle der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse wird leider unterschätzt. Unter den 100 einflussreichsten Intellektuellen in Deutschland sind gerade mal zwei Naturwissenschaftler. Die Diskussion über Leben und Tod, Gut und Böse, Arm und Reich wird in diesem Land hauptsächlich von Journalisten, Schriftstellern, Theaterleuten oder Theologen geführt – von Personengruppen, die oft Ängste schüren und Dinge verteufeln, von denen sie mitunter nicht einmal im Ansatz verstehen, was diese bedeuten. Wieso geht man wie selbstverständlich davon aus, ein katholischer Abt könne zur Stammzellforschung Profunderes beitragen als ein Molekularbiologe? Etwa, weil sich Mönche durch Zellteilung vermehren?

Und was nimmt Ihr Publikum mit nach Hause?

Wenn der eine oder die andere etwas über meine Vorstellung nachdenkt, ist das schon das Maximum, das ich erreichen kann. Ich glaube nicht, dass ich mit meiner Darbietung etwas verändere. Wir alle wissen: Leute, die von etwas überzeugt sind, lassen sich nicht einmal von Fakten beeinflussen: Persönliche Anekdoten schlagen die robustesten Doppelblindstudien. Einige Wünsche habe ich dennoch: Dass sich Naturwissenschaftler mehr in politische Diskussionen einmischen – und auch dann nicht frustriert aufgeben, wenn sie mit Argumenten konfrontiert werden, die die naturwissenschaftliche Methodik völlig negieren. Ich wünsche mir auch, dass Wissenschaftler keine Angst mehr vor Kollegen haben, wenn sie ihre Arbeit für die Öffentlichkeit popularisieren. Und dann wünsche ich mir noch, dass wir in Deutschland wieder mehr auf die Chancen einer neuen technologischen Entwicklung blicken als auf die Risiken.

Das Gespräch führte Wolfgang Hess.

Vince Ebert ist einer der bekanntesten Wissenschaftskabarettisten im deutschen
Sprachraum. Er studierte Physik an der Universität Würzburg. Anschließend arbeitete Ebert (*1968, in der Geburtsurkunde steht der Vorname Holger) als Consultant bei einer Unternehmensberatung. Von 1997 bis 2001 war er Planer bei einer Werbeagentur. Seit 1998 ist er mit unterschiedlichen Kabarettprogrammen unterwegs – erst auf Kleinkunstbühnen und im Halbtagsjob, dann seit 2002 fulltime. Im Fernsehen moderiert Ebert bei der ARD „Wissen vor acht“.Mit seinem aktuellen Bühnenprogramm „Evolution“ tourt er noch bis Ende 2015 durch Deutschland. Termine und Veranstaltungsorte finden Sie hier.

Fotos: F. Eidel

© wissenschaft.de
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