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Virtuelle Infuenza-Pandemie: Wie sich die Behörden mit einem Simulationsprogramm auf eine Grippewelle vorbereiten

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Virtuelle Infuenza-Pandemie: Wie sich die Behörden mit einem Simulationsprogramm auf eine Grippewelle vorbereiten
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(Bild: Wikipedia)
Was ist zu tun, wenn erstmals Menschen an einer gefährlichen Influenza erkranken? Die Gesundheitsämter müssen sich auf diesen Ernstfall vorbereiten und lassen sich dabei nun auch von einem Computerprogramm helfen. Es verrät, welche Maßnahmen die Ausbreitung der Erkrankung besonders wirksam verhindern. Ende Februar wurde der Simulator den Gesundheitsämtern des Landes Baden-Württemberg übergeben.

Unbewusst ahnt wohl jeder, wie er sich vor Ansteckung schützt: Regelmäßig Hände waschen, von Kranken fern und das Immunsystem fit halten. Doch auf solche Binsenweisheiten können die Gesundheitsämter nicht zählen, wenn sie sich auf eine mögliche Influenza-Pandemie vorbereiten. Zu dieser neuartigen Grippewelle würde es kommen, wenn das Vogelgrippe-Virus so mutiert, dass es von Mensch zu Mensch übertragen wird. Bislang ist das nicht geschehen. Dennoch müssen die Behörden sich für den Notfall rüsten. Pandemiepläne sehen unter anderem vor, im Notfall öffentliche Einrichtungen zu schließen und in Gegenwart von Kranken Mundschutz und Schutzausrüstung zu tragen.

Die Wirksamkeit solcher Maßnahmen ließ sich bislang allerdings nicht prüfen. Doch nun können sie zumindest virtuell in einem Simulationsprogramm getestet werden. Das frei verfügbare Programm InfluSim haben Informatiker um Martin Eichner vom Institut für Medizinische Biometrie der Universität Tübingen entwickelt. Ende Februar haben die Tübinger Forscher den Simulator bei einem Treffen in Stuttgart den baden-württembergischen Gesundheitsämtern und anderen Behördenvertretern vorgestellt.

„Die Stärke des Programms liegt darin, dass es aufzeigt, wie sich eine Epidemie im Laufe der Zeit entwickelt“, erklärt Stefan Brockmann vom Landesgesundheitsamt in Stuttgart. Der Simulator ermittelt, wie viele Erkrankungsfälle, Arztbesuche, Krankenhauseinweisungen und Todesfälle zu erwarten sind. Zugleich lässt sich der Verlauf der Seuche abhängig von Schutzmaßnahmen und der Einnahme von antiviralen Medikamenten darstellen.

Die Berechnungen des Programms beruhen auf Erkenntnissen aus drei früheren Grippe-Pandemien im 20. Jahrhundert. Im Schnitt hat damals jeweils ein Patient etwa zwei Menschen angesteckt. Wie infektiös ein neuer Influenzaerreger sein würde, kann allerdings niemand genau sagen. „Das ist die große Unbekannte“, räumt Eichner ein. InfluSim kann daher nur eine ungefähre Prognose anhand der historischen Erfahrungen abgeben. „Es kann sein, dass die Berechnungen eine zukünftige Pandemie nur unzureichend repräsentieren“, schränkt Brockmann ein.

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Ein Hauptziel der Pandemieplanung sei es, die Zahl der Erkrankten zu minimieren. „Dabei ist es zugleich wichtig, die Krankheitswelle zu verzögern und den Höhepunkt – also den Zeitpunkt mit den meisten Erkrankten – zu vermindern“, erklärt Brockmann. Gelänge es, in den ersten Monaten das Schlimmste abzuwenden, kann man auf einen Impfstoff hoffen. Der könnte etwa ein halbes Jahr nach Ausbruch der Seuche zur Verfügung stehen.

„Wir können mit dem Simulator zeigen, dass sich der Gipfel der Infektion um einige Wochen nach hinten verschieben lässt, wenn alle Erkrankten binnen 48 Stunden mit antiviralen Medikamenten versorgt werden“, sagt Eichner. Eine andere wichtige Maßnahme bestehe darin, die Kontakte zwischen den Menschen und insbesondere mit Kranken zu unterbinden. Im Krankenhaus müssten die Patienten isoliert werden. Ärzte und Krankenschwestern sollten sich mit einem Mundschutz vor den Grippeviren schützen. Würden die Kontakte nur um fünf bis zehn Prozent abnehmen, so errechnete InfluSim, dass sich der Höhepunkt der Influenzawelle nochmals um einen Monat hinausschieben würde. Mit einer Kombination verschiedener Maßnahmen kann die Spitze der Erkrankung sogar ins zweite Halbjahr verschoben werden.

Bei anderen Maßnahmen wartet InfluSim allerdings auch mit Überraschungen auf. Schul- und Kindergartenschließungen entpuppten sich zum Beispiel als gefährlicher Bumerang. „Die Kinder bleiben ja nicht zuhause, wenn die Schule schließt“, erklärt der Entwickler. Die älteren spielen mit anderen Kindern. Die jüngeren werden vermutlich vorrangig von Oma, Opa und Tagesmüttern betreut. Die Kontakte werden dadurch nicht geringer, sondern verschieben sich vor allem zwischen den Generationen. Kinder haben jetzt mehr mit älteren Menschen zu tun. Gerade diese könnten aber besonders empfindlich gegenüber einer Influenza reagieren. „Es würden – je nach Ausmaß der Pandemie – sogar mehr Menschen sterben, wenn sämtliche Schulen und Kindergärten geschlossen würden“, warnt Eichner.

Sind Schulschließungen also unsinnig? Diese von InfluSim aufgeworfene Frage wurde von den Gesundheitsbehörden kontrovers diskutiert. Schließlich kam man darin überein, dass ein solcher Schritt nicht nur aus dem Programm heraus begründet sein darf. Vielmehr könnten auch politische und psychologische Gründe dafür sprechen, die öffentlichen Einrichtungen zu schließen. „Stellen sie sich die aufgebrachten Eltern vor, die sich um ihre Kinder ängstigen, weil die Schule nicht geschlossen wird“, erklärt Eichner: „Die Gefühle der Menschen müssen genauso berücksichtigt werden.“

ddp/wissenschaft.de – Susanne Donner
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