In seinem berühmten Paradoxon gab der österreichische Physiker Erwin Schrödinger vor rund 75 Jahren das vielleicht beste Beispiel für die Diskrepanz zwischen Quantenwelt und makroskopischer Welt. In der Quantenwelt könne eine Katze zugleich tot und lebendig sein, in unserer makroskopischen Welt nur eines von beiden. Die Schnittstelle beider Welten haben die Nobelpreisträger Haroche und Wineland genauer untersucht. Denn an dieser Schnittstelle müssen Physiker und Materialforscher arbeiten, um in Zukunft mit Quanten zu rechnen und beispielsweise einen Quantencomputer zu bauen.
Beide Forscher gingen in ihren Experimenten ähnlich vor. David Wineland fängt einzelne geladene Atome – Ionen – in einer Falle und kontrolliert und vermisst sie mit Licht. Der Franzose Haroche macht es genau umgekehrt: Er fängt einzelne Lichtteilchen, Photonen, ein und manipuliert und vermisst sie mit Atomen.
Der 68-jährige David Wineland leitet am National Institut of Standards and Technology in Boulder, Colorado, die Arbeitsgruppe für Fallenphysik. Dort entwickeln die Forscher beispielsweise die vom deutschen Physiker Wolfgang Paul (Physik-Nobelpreis 1989) erfundene Paul-Falle weiter. In solchen Fallen fangen die Forscher mit elektrischen Feldern einzelne geladene Ionen ein, um sie zu untersuchen. Mit einem System von Laserstrahlen kühlen Wineland und seine Kollegen zunächst die Beryllium-Ionen auf knapp über den absoluten Temperaturnullpunkt ab. Dann befinden sich die Ionen im sogenannten Grundzustand. Dann startet Wineland das Finetuning: Mit einem gezielten Laserpuls regt er das Ion genau mittig zwischen Grundzustand und angeregtem Zustand an. Nun muss sich das Ion entscheiden, ob es in den Grundzustand zurückfällt oder in den angeregten Zustand übergeht. Quantenphysikalisch entspricht dies der Superposition beider Zustände. Derart präpariert können die Physiker nun dieses entscheidende Merkmal der Quantenphysik, genau untersuchen.
Der ebenfalls 68-jährige Quantenphysiker Serge Haroche untersucht in seinem Labor an der Ecole Normale Superieure in Paris Mikrowellen, die er zwischen zwei Spiegeln hin- und herlaufen lässt. Die Spiegel sind nur drei Zentimeter auseinander und von solch guter Qualität, dass ein einzelnes Mikrowellenphoton darin 40.000 Kilometer zurücklegt, bevor es verloren geht oder absorbiert wird. Die Lebensdauer des Mikrowellenteilchens ist mit einer Zehntelsekunde so lang, dass sich viele Experimente damit machen lassen. Haroche sendet spezielle Atome durch die Mikrowelle. Nach dem Durchtritt kann Haroche aus der quantenphysikalischen Signatur des Atoms auf die Mikrowellen zurückschließen, ohne letztere selbst beeinflusst zu haben – ein Messvorgang, den Physiker bislang ausschlossen. Damit lässt sich die Entwicklung eines Quantensystems Schritt für Schritt verfolgen, betont das Nobelpreiskomitee in seiner Würdigung.
Mit ihren Experimenten legen beide Forscher die experimentellen Grundlagen für einen Quantencomputer. Dieser steht nämlich vor zwei Herausforderungen. Erstens müssen die einzelnen Bits des Quantencomputers, etwa die Ionen als sogenannte Qubits, von der störenden Umgebung bestens isoliert sein. Und zweitens muss es Mechanismen geben, um die Qubits zu präparieren und Rechenergebnisse auszulesen. Mit ihrer Ionenfalle hat das Team um Wineland zudem noch eine äußerst präzise Uhr gebaut, die selbst aktuelle Atomuhren weit in den Schatten stellt. Ein Ion in der Falle fungiert dabei als Taktgeber, ein weiteres Ion liest diese Information aus. Eine Präzisionsuhr nach diesem Konzept hätte eine Ungenauigkeit vom Urknall bis heute, über mehr als 13 Milliarden Jahre, von nur fünf Sekunden.