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Diamantspitzen und Riesenatome

Astronomie|Physik Technik|Digitales

Diamantspitzen und Riesenatome
Auf zwei ganz unterschiedlichen Wegen untersuchen zwei Physiker der Universität Stuttgart die sogenannte Quantennatur der Materie: Sie manipulieren den atomaren Aufbau des Diamanten und studieren das Verhalten von Riesenatomen beim Einfall von Licht. Damit wollen sie das Fundament für den Bau eines Quantencomputers liefern. Auch viele andere Anwendungen könnten aus diesem grundlegenden Verständnis der Materie entstehen. Die Experimentalphysiker Jörg Wrachtrup und Tilman Pfau erhalten dafür jeweils 2,5 Millionen Euro als Forschungsförderung vom Europäischen Forschungsrat (ERC).

Das Team um Jörg Wrachtrup schießt in nur Millimeter dicke Diamantplättchen Stickstoffatome. Das Stichstoffatom schlägt ein Kohlenstoffatom aus dem Gitterverbund heraus. Der Kohlenstoff diffundiert weg. Am Fremdatom bleibt eine weitere Fehlstelle kleben – ein Gitterloch. Der Diamant färbt sich dann pink ein. Gemeinsam binden Stickstoff und Gitterloch ein Elektron, das die Physiker in seiner Ausrichtung – dem Spin – manipulieren wollen. Solch ein Spin – vergleichbar einer winzigen Kompassnadel – mit seiner Ausrichtung nach oben oder unter entspräche einem Bit des Quantencomputers.

Die Fehlstellen sind nun durch das Diamantgitter gut abgeschirmt und lassen sich wie einzelne Atome kontrollieren. Die Forscher wollen die Spins verschiedener, beieinander liegender Fehlstellen nun koppeln. Im Projekt des ERC haben sie ein Array mit 2×5 Bits im Visier. Das ist noch wenig, aber ambitioniert: „Mit der Zahl der Bits steigt der Kontrollaufwand“, sagt Wrachtrup. Ideal wäre die Kopplung von zwanzig bis dreißig Bits, dann ginge manche Rechnung schneller als auf einem Supercomputer.

Der 48-jährige Physikprofessor Wrachtrup tauscht sich gern mit Kollegen aus Biologie und Medizin aus. Daher gehen andere Anwendung in die medizinische Richtung: Auf ein Diamantarray mit Elektronenspins könnten biologische Materialien platziert werden, etwa eine Nervenzelle. Die elektromagnetischen Impulse und Reaktionen in der Zellen könnten dann über die Sensorunterlage beobachtet werden.

Derzeit beschäftigen sich die Experimentalphysiker um Wrachtrup auch mit der Vereinzelung der Spins: Ein einziger Spin im Diamantkorn könnte auf der Spitze eines Kraftmikroskop ebenfalls der Diagnostik dienen. In einem Versuch haben die Physiker die Diamanten sogar zermahlen und an den Fadenwurm C. Elegans als Kontrastmittel verfüttert. Nach Auskunft von Wrachtrup „vererbt“ der Wurm die Diamant an die nächste Generation: Auch in deren Zellen fanden die Forscher ihre winzigen Diamantenkörnchen mit den eingebauten Spins wieder.

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Riesenatome mit Gefühl füreinander

Der 45-jährige Tilman Pfau beschäftigt sich mit sogenannten Rydbergatomen. Das sind hochangeregte Atome, bei denen sich das äußerste Elektron in einem vom Kern weit entfernten Orbital bewegt. Das Elektron ist nur ganz schwach gebunden, doch die Rydbergatome offenbarten Pfau und seinem Team ganz neue Eigenschaften. Zum einen fanden sie einen neuen Typ chemischer Bindung: Ein hochangeregtes Rydbergatom des Elements Rubidium kann mit einem weiteren Rubidiumatom im Grundzustand ein Molekül bilden. „Das ist interessant für die Chemiker“, sagt Pfau. Bislang kannten Wissenschaftler nur die kovalente Atombindung, die Ionenbindung und die Van-der-Waals-Bindung bei Molekülen.

Spektakulär war auch das Entdecken der sogenannten Rydbergblockade: Nicht alle Rubidumatome lassen sich mit Laserblitzen in Rydbergatome verwandeln. In einem Gas wird trotz intensivem Beschuss nur etwa jedes 10.000ste Atom angeregt. Die meisten Teilchen zwischen den Rydbergatomen bleiben im Grundzustand. Das Besondere: Über die Distanz von vielleicht fünf Mikrometern „spüren“ sich die angeregten Rydbergatome. „Das ist vergleichbar mit einer Unterhaltung zwischen zwei Menschen über 100 Kilometer“, sagt Pfau. Präpariert man ein Rydbergatom nun als Quantenbit, so ?erlaubt es die Wechselwirkung, mit den Quantenbits zu rechnen?, erklärt Robert Löw, Physiker in der Arbeitsgruppe von Tilman Pfau. Im Prinzip arbeitet das ähnlich einem Transistor in einem klassischen Computer.

Bislang reichen die Experimentieranlagen von Pfaus Arbeitsgruppe über zwei Stockwerke: Die Gase mit Rydbergatomen sind in Vakuumanlagen eingesperrt und bis knapp an den absoluten Temperaturnullpunkt gekühlt. Im neuen Forschungsvorhaben will Pfau die Rydbergs in kleine Glasmikrozellen einsperren und bei Raumtemperaturen untersuchen.

Mit den sogenannten ERC Advanced Grants zeichnet der Europäische Forschungsrat (ERC) gestandene Forscher und deren Teams aus. Er umfasst 2,5 Millionen Euro, verteilt über fünf Jahre. In der aktuellen dritten Ausschreibungsrunde vergab der ERC 266 Grants und damit rund 600 Millionen Euro an europäische Forschergruppen. Nach Deutschland gingen 45 Grants. Damit liegen deutsche Forscher auf Platz zwei dieser Förderlinie hinter den britischen Kollegen mit 53 Grants.

Weitere Informationen: Arbeitsgruppe von Tilman PfauArbeitsgruppe von Jörg WrachtrupWebsite des Europäischen Forschungsrats Martin Schäfer (unterstützt durch das Kompetenznetz Optische Technologien in Baden-Württemberg, Photonics BW)
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