Geim und Novoselov gelang zur Überraschung vieler im Jahr 2004 jedoch das Unmögliche ? und zwar mit Hilfe eines Stückchens Graphit und eines Klebestreifens. Wird dieser auf das Graphit geklebt, bleibt beim Abziehen eine Schicht des Materials daran haften, die allerdings noch aus vielen Graphenlagen besteht. Wiederholt man diesen Vorgang jedoch zehn- bis zwanzigmal, erhält man sehr viel dünnere Flöckchen, darunter auch einige, die tatsächlich nur eine Atomlage dick sind. Um diese allerdings identifizieren zu können, bedurfte es eines weiteren Tricks: Die beiden Forscher hefteten die verschiedenen Graphit-Flöckchen auf ein Silizium-Substrat und konnten sie so mikroskopisch untersuchen und charakterisieren.
Die Untersuchung zeigte: Graphen ist ein absolut neuartiges Material, ein perfekter zweidimensionaler Kristall mit einer regelmäßigen Wabenstruktur. Das ist auf die starken Bindungen zwischen den Kohlenstoffatomen zurückzuführen, die gleichzeitig jedoch flexibel genug sind, um 20 Prozent gestreckt werden zu können. Damit ist Graphen gleichzeitig das dünnste wie auch das stärkste bekannte Material ? transparent und trotzdem so dicht, dass nicht einmal winzige Heliumatome hindurchgelangen können. Zudem hat es weitere sehr ungewöhnliche Eigenschaften, konnten die Wissenschaftler nachweisen: Es ist trotz seiner Flexibilität ein sehr guter elektrischer Leiter, ähnlich wie Kupfer, und leitet Wärme besser als jedes andere bekannte Material.
Zum Teil ist das darauf zurückzuführen, dass sich die Elektronen im Graphen so verhalten, als hätten sie keine Masse. Sie bewegen sich daher ähnlich wie das masselose Photon mit einer konstanten Geschwindigkeit, hier eine Million Meter pro Sekunde, durch die Schichten. Auch in anderen Beziehungen folgt das Material eher den Gesetzen der Quantenmechanik und ist daher ein faszinierendes Untersuchungsobjekt für theoretische Physiker.
Seit der Beschreibung von Graphen im Jahr 2004 sind weitere Möglichkeiten beschrieben worden, die Kohlenstofffolien herzustellen. Während Geim und Novoselov zu Beginn lediglich mikroskopisch kleine Graphenfragmente erzeugen konnten, gelang es mittlerweile, Folien von mehr als 70 Zentimetern Breite zu synthetisieren. Zudem hat die Familie der zweidimensionalen Materialien Zuwachs bekommen, etwa durch einlagiges Bornitrid oder Molybdändisulfid. Damit eröffnen sich völlig neue Anwendungsmöglichkeiten, von denen einige bereits im Labor getestet wurden ? auch wenn der größte Teil noch rein theoretisch ist.
Im Fokus steht dabei vor allem die Leitfähigkeit des Materials. Graphentransistoren könnten in Zukunft beispielsweise die herkömmlichen Siliziumbauteile in Computerchips ersetzen, weil sie kleiner und leistungsfähiger gebaut werden können. Auch papierdünne transparente Monitore aus Graphen wären denkbar, ebenso wie durchsichtige Touchscreens, Beleuchtungselemente und Solarzellen. Die Kohlenstofffolien haben zudem das Potenzial, selbst kleinste Verunreinigungen zu detektieren und könnten sich daher als Sensormaterial etablieren. Selbst das Zufügen von Graphen zu herkömmlichen Kunststoffen wäre eine Option: Derartige Werkstoffe wären beispielsweise thermisch stabiler, mechanisch robuster und könnten möglicherweise sogar Strom leiten.
Was davon Wirklichkeit wird, können auch die beiden frischgekürten Preisträger noch nicht abschätzen. Beide arbeiten, mittlerweile an der Universität Manchester, jedoch weiter an Graphen und anderen Wundermaterialien ? ebenso wie bereits seit vielen Jahren. Der Nobelpreis ist übrigens nicht die erste Würdigung ihrer Arbeit, auch wenn zumindest eine andere nicht ganz so ernst gemeint war: 2000 erhielt Andre Geim den satirischen Ig-Nobelpreis ? für die Entdeckung, dass man mit Hilfe eines Magnetfeldes Frösche zum Schweben bringen kann.