Bei früheren Verfahren sei bislang nur die Verkehrsspitze – die Stunde, in der der meiste Verkehr herrscht – betrachtet worden, erläutert Projektleiterin Anja Beckmann. Auf dieser Basis sei über Baustellen entschieden worden. “Wir hingegen beziehen einen längeren Zeitraum in unsere Betrachtungen mit ein.” Dafür wurde vorhandenes Datenmaterial über Verkehrsbelastungen ausgewertet, eigene Messungen an Baustellen im gesamten Bundesgebiet kamen hinzu, und es wurden Fachleute verschiedener Behörden zu Rate gezogen. Derzeit wird das Programm auf einen möglichen Einsatz im Autobahnamt im westfälischen Hamm getestet.
Mit dem Verfahren sollen Behörden, die die Bauarbeiten koordinieren, zwischen betriebswirtschaftlichen Baukosten und den Kosten von Zeitverzögerungen für die Volkswirtschaft abwägen können. Die Baumaßnahmen ließen sich nach der Auswertung des Programmes so einrichten, dass sie die geringsten Kosten verursachen. Dabei geht es um enorme Summen: Nach einer Studie des Autoherstellers BMW liegt der volkswirtschaftliche Gesamtschaden aller Staus bei bis zu 15 Milliarden Mark jährlich.
“Vor allem Tagesbaustellen gehören zu den hauptsächlichen Stauverursachern”, so Beckmann. Der Begriff der Tagesbaustelle sei dabei etwas irreführend: Tatsächlich fielen alle Baumaßnahmen darunter, die weniger als 14 Tage dauern. Auf diese Tagesbaustellen, von denen jährlich rund 30.000 registriert werden, haben sich die Kasseler Wissenschaftler bei ihrer Entwicklung konzentriert.
Natürlich könne das neue Stauprogramm keine Wunder vollbringen. “Die Prognose ist die bestmögliche Annahme der Realität”, so die Projektleiterin. Ein Stau hänge von vielen Faktoren ab, beispielsweise der Witterung, der Verkehrsführung und auch von den verschiedenen Fahrzeugarten, die auf einer Strecke unterwegs seien. “Manchmal kann schon ein einzelner Fahrer einen Stau auslösen”. Dennoch seien die Stauprognosen etwas genauer als die Wettervorhersagen, sagt Professor Heinz Zackor, Leiter des Fachgebietes Verkehrstechnik.
“Die Einführung eines solchen Verfahrens ist durchaus sinnvoll”, sagt die Sprecherin des ADAC in München, Angela Schwalm. Sie sei allerdings skeptisch, ob das Verfahren wirklich funktioniert. Oft hätten Autofahrer das Gefühl, dass Baustellen unkoordiniert eingerichtet werden. Der Baustellenexperte des hessischen Landesamtes für Straßen- und Verkehrswesen, Reiner Kehrrein, erklärt hingegen, die zuständigen Autobahnmeistereien kennten die Verkehrsbelastungen gut. Sie könnten bereits abschätzen, ob es zu einer Behinderung komme oder nicht.