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„Paläontologie ist eine ruhige Arbeit“

Astronomie|Physik Erde|Umwelt

„Paläontologie ist eine ruhige Arbeit“
Seit 2000 graben der Karlsruher Paläontologe Eberhard Frey und der Heidelberger Geologe Wolfgang Stinnesbeck in der mexikanischen Wüste nach Saurierknochen. Im September startet „bild der wissenschaft“ mit den Wissenschaftlerneine Forschungsexkursion. Was die Leser in Mexiko erwartet und was nach landläufiger Meinung eben nicht, erklärt Wolfgang Stinnesbeck im Interview.

Wie oft waren Sie schon in Mexiko, Herr Prof. Stinnesbeck?

Ich habe von 1987 bis 1996 zehn Jahre in Mexiko gelebt. Im Anschluss daran war ich jedes Jahr mindestens drei Mal in Mexiko.

Und wie oft waren Sie mit Ihren Studenten dort?

Seit 2000 habe ich jedes Jahr eine Gruppe mitgenommen. Jetzt in Heidelberg ist eine Mexiko-Exkursion sogar ein fester Bestandteil im Masterstudiengang. Alle kommen begeistert zurück. Im März fliege ich wieder mit acht Leuten dorthin. Auf unserer geologischen Exkursion führen wir uns vor Augen, wie sich das Land erdgeschichtlich zu dem entwickelt hat, was es heute ist: Warum wir dort die Sierra Madre mit 3500 Meter hohen Bergen haben. Warum es dort – am damaligen südlichen Ende des nordamerikanischen Kontinents – so viele Dinosaurier gab.

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Gibt es unter den Studenten Vorbehalte wegen der Sicherheit?

Bei den Vorbereitungen kommen immer wieder entsprechende Fragen. Hinterher stellen dann alle übereinstimmend fest, sie hätten sich die Sicherheitslage nicht so entspannt vorgestellt. Die Menschen in Saltillo und der wüstenhaften Umgebung sind zurückhaltend und uns gegenüber stets sehr freundlich. Touristen kommen nur selten dort hin.

Hatten Sie selbst einmal eine gefährliche Begegnung?

Nie. Kritischen Situationen ereignen sich fast nur nachts und in größeren Städten. Zu der Zeit bin ich dort nicht unterwegs – schon gar nicht mit meinen Studenten oder der Lesergruppe. In der Chihuahua-Wüste, wo unsere Dinosaurier liegen, gibt es nichts zu holen. Touristisch ist diese Region völlig verkannt. Der zweite Teil unserer bdw-Leserreise geht nach Yukatan in die Riviera Maya, die jedes Jahr mindestens zehn Millionen Menschen besuchen. Auch dort gibt es keine Bandenkriminalität.

Sie sind von Hause aus Geologe. Wie kamen Sie zur Paläontologie, zur Wissenschaft der Lebewesen vergangener Epochen?

Während meines Geologie-Studiums in Bonn ordnete ich im Rahmen eines hilfswissenschaftlichen Jobs paläontologische Sammlungen. Anschließend begleitete ich paläontologische Vorlesungen als Tutor. Später bin ich privat nach Südamerika gereist, wo es mir aber nicht gefiel. So landete ich wieder in Bonn bei meinem Doktorvater. Wie es so ist: Der bot mir prompt eine Doktorarbeit in Südamerika an, die ich natürlich annahm – und ich lernte Spanisch. In Chile, genauer gesagt: in Concepcion habe ich mich gleich wohlgefühlt. Im Anschluss an meine Promotion forschte ich über das Aussterben der Ammoniten in Brasilien. Durch Zufall hatte ich Kontakt mit Wissenschaftlern aus Linares im Nordosten Mexikos. Mit meinen Vorkenntnissen war ich dann auf einmal der deutsche Ansprechpartner eines deutsch-mexikanischen Forschungsförderungsprojekts zum Aufbau eines Instituts.

(Foto: picture alliance/dpa) Sie arbeiten sehr eng mit dem Dinosaurierforscher Eberhard Frey zusammen, dem anderen wissenschaftlichen Begleiter der bdw-Leserreise im kommenden September. Wie kamen Sie mit Prof. Frey zusammen?

„Dino“-Frey habe ich 1999 kennengelernt. Ich wurde zu einem Vortrag ins Naturkundemuseum Karlsruhe eingeladen, in dem er arbeitet. Bei einem anschließenden Gespräch erzählt ich ihm, dass ich in Mexiko viel fossiles Reptilienmaterial gesammelt hätte, ohne es selbst bestimmen zu können. Ich fragte „Dino“, ob er mit nach Mexiko kommen und mir bei der Bestimmung helfen wolle. Schon im Jahr darauf sind wir zusammen nach Linares gereist, wo ich ihm mein Material gezeigt habe. Den ersten fossilen Fund, den wir uns angeschaut haben – einen Gesteinsblock mit mehreren großen Knochen, von denen man bis dahin annahm, es handele sich um Dinosaurierknochen – hat er nach fünf Minuten als etwas ganz anderes erkannt – als Teil eines Meeresreptils.

Den ehemals 15 bis 18 Meter langen Pliosaurier haben wir inzwischen vollständig ausgegraben. Es handelt sich um den größten bekannten Pliosaurier überhaupt. In den vergangenen 15 Jahren haben Eberhard Frey und ich an einer Reihe von Projekten geforscht, bei denen uns die Deutsche Forschungsgemeinschaft und das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung finanzierte. Unsere Ausbildungen ergänzen sich hervorragend und machen aus uns ein starkes Team. Dino ist Wirbeltierpaläontologe und Biologe. Meine Spezialität sind wirbellose Fossilien – Schnecken, Muscheln, Ammoniten und andere Invertebraten. Mit ihnen lässt sich das Alter von geologischen Schichten exakt festlegen und man kann Aussagen über die Umwelt- und Klimabedingungen vor vielen Millionen Jahren machen.

Was werden Sie mit der bdw-Gruppe unternehmen?

Wir werden gemeinsam prospektieren. In der Gegend von „General Cepeda“, wo wir hinreisen werden, findet sich eine der höchsten Konzentrationen von Dinosaurierknochen und anderen Fossilien weltweit. Man stolpert quasi über Knochen. Jeder Teilnehmer kann einen Fund machen, von Dinos, von Flugsauriern oder anderen einstmaligen Großlebewesen.

Könnten die bdw-Teilnehmer denn etwas finden, das Ihnen als Profi bisher entgangen ist?

Absolut. Bei unserer jüngsten Exkursion haben zwei meiner Studenten Zähne gefunden, die sich eindeutig Tyrannosaurier-Vorläufern zuordnen lassen.

Ist diese Arbeit strapaziös?

Wir werden es nicht übertreiben. Paläontologie ist eigentlich eine ruhige Arbeit. Wir werden uns sehr langsam im Gelände vorwärtsbewegen, da wir die Augen ja dauern auf den Boden richten müssen. Und wir werden uns auf den Boden legen, um kleinere Fossilien einzusammeln. Die Temperaturen werden im September um 30 Grad Celsius liegen. Da es keinen Schatten gibt, brauchen wir eine gute Kopfbedeckung, und wir werden viel Wasser dabei haben.

Sie und Prof. Frey werden versuchen, einen Empfang der bdw-Gruppe beim Gouverneur des Bundesstaates Coahuila zu arrangieren. Das heißt: Ihre Arbeit wird dort von der Politik geschätzt. Auf was fußt diese Wertschätzung?

Die Paläontologie spielt für die Entwicklung des Bundesstaates Coahuila eine wichtige Rolle. Das Museo del Desierto in Saltillo ist das größte Naturkundemuseum in Mexiko – und ein Besuchermagnet für die weitere Umgebung. Die Dinosaurierfunde sind ein Alleinstellungsmerkmal des Bundesstaats dar. Das geht so weit, dass alle Autos Nummernschildern mit einem Dinosaurieremblem haben. Auf mexikanischen Briefmarken sind Motive von Sauriern zu sehen, die wir gefunden haben. Und: Der Gouverneur von Coahuila war 2012 in Heidelberg und Karlsruhe, um eine wissenschaftliche Arbeitsgrundlage vom Museo del Desierto und unseren Institutionen zu verlängern.

In der zweiten Hälfte der bild der wissenschaft-Reise sind wir auf Yucatan unterwegs. Wir besuchen neben bedeutenden Maya-Relikten einige weitere Forschungsstätten, an denen Sie arbeiten. Worum geht es dort?

Das ist ein völlig anderes Forschungsprojekt. Dabei geht es um die jüngste geologische Geschichte – konkret um die Veränderungen in der Tierwelt an der Wende Pleistozän/Holozän – also Eiszeit/Jetztzeit. In den Höhlen dort haben wir schon zehn menschliche Skelette aus diesem Zeitraum gefunden. Gerade untersuchen wir einen Stalagmiten, der auf einem menschlichen Knochen gewachsen ist. Den Stalagmiten können wir genau datieren. Die Schicht, die direkt auf dem Knochen aufliegt, ist 11.500 Jahre alt. Damit wäre das dort der älteste Menschenrest in ganz Amerika! Dieses Ergebnis ist bisher noch nicht veröffentlicht. Wir haben uns das bis zum Frühsommer aber vorgenommen.

Ein wissenschaftlicher Knüller?

Das könnte es in der Tat werden!

Kommt unsere Gruppe an die Fundstelle direkt heran?

Sie liegt unter Wasser und kann nur von erfahrenen Tauchern besucht werden. Dazu gehöre selbst ich nicht. Aber wir kommen immerhin bis zu den Höhleneingängen, den sogenannten Cenotes. Und wir werden unsere Funde vorstellen: Während der Eiszeit lebten auf Yucatan Elefanten, Säbelzahnkatzen, Riesengürteltiere, Kamele, Pferde. Das alles weist auf eine Steppe hin. Der heutige Urwald hat sich erst später entwickelt, beginnend vor 9000 Jahren. Dino Frey und ich werden den Reiseteilnehmern die frühzeitliche Entwicklung plastisch vor Augen führen. Ich bin mir sicher: Das meiste von dem, was die bdw-Gruppe auf unserer Exkursion erleben wird, bleibt den normalen Mexiko-Touristen völlig verborgen.

Das Gespräch führte Wolfgang Hess.

Wolfgang Stinnesbeck ist seit 2008 Professor für Biostratigrafie und Paläoökologie am Institut für Geowissenschaften der Universität Heidelberg. Der gebürtige Troisdorfer (*1955) studierte und promovierte an der Universität Bonn. Von 1987 bis 1996 baute er die Paläontologie am Erdwissenschaftlichen Institut in Linares im mexikanischen Bundesstaat Nuevo Leon auf. Von 1996 bis 2007 war Stinnesbeck Professor für Historische Geologie an der TH Karlsruhe. Zusammen mit Prof. Eberhard „Dino“ Frey ist er wissenschaftlicher Begleiter der bdw-Leserreise im September 2016.

 

Informationen zur Reiseroute, den Leistungen und Preisen finden Sie hier

 

© wissenschaft.de – Wolfgang Hess
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