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Wie der Preis die Forscher verändert. Manche Wissenschaftler haben sich nach der Auszeichnung auf einem neuen Gebiet versucht – mit zweifelhaftem Erfolg.

Als Barbara McClintock 1983 in hohem Alter den Nobelpreis für „Physiologie oder Medizin“ bekam, wurde sie gefragt, was sie denn mit dem vielen Geld mache. Die große Frau der Genetik antwortete, daß sie sich eine neue Brille kaufen werde. Mehr brauche sie zur Zeit nicht.

So bescheiden geht nicht jeder Nobelpreisträger mit dem plötzlichen Ruhm um. Natürlich: Kein Laureat kann sich dem Medienrummel entziehen, der nach der Bekanntgabe über die Preisträger hereinbricht. Und bei den alljährlichen Übergabe-Festlichkeiten am 10. Dezember (Todestag Alfred Nobels: 10. Dezember 1896) müssen sich die Laureaten daran gewöhnen, daß stets eine Fanfare erklingt, wenn sie einen offiziellen Raum betreten.

Was die Aufmerksamkeit angeht, so kann es passieren, daß fortan „jeder Piepser zum Trompetensolo wird“, wie es Einstein einmal ausgedrückt hat. Schließlich zählt das Wort des Nobelpreisträgers mehr als das eines gewöhnlichen Sterblichen – auch zu Themen, von denen er oder sie genausowenig wie viele andere verstehen. Das stattliche Preisgeld – 1997 ist der ungeteilte Preis immerhin mit umgerechnet gut 1,7 Millionen Mark dotiert – wird nicht selten zum Kauf eines Hauses oder für eine große Reise ausgegeben. Manche Nobelpreisträger haben das Geld aber auch gespendet: Delbrück etwa hat es amnesty international vermacht. Mindestens einmal – bei Albert Einstein – mußte die Preissumme aber auch für die Finanzierung einer Scheidung herhalten.

Die meisten Wissenschaftler blieben auch nach ihrem großen wissenschaftlichen Erfolg bei ihrem angestammten Fachgebiet, doch manche fühlten sich durch den Nobelpreis zu Neuem berufen. So der in London geborene William Shockley, der das Grundprinzip des Transistors entwickelt hat. Nach dem Nobelpreis für Physik, den er 1956 gemeinsam mit Walter Brattain und John Bardeen entgegennahm, gründete er sein eigenes Semiconductor Laboratory in Kalifornien – was an sich schon bemerkenswert ist.

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Aber berühmt beziehungsweise berüchtigt wurde er, als er sich nach 1975 auf ein völlig anderes Terrain begab und nach Korrelationen suchte, die seiner Ansicht nach zwischen dem Intelligenz-Quotienten (IQ) und der Rasse bestehen sollten.

Shockley war aufgefallen – wie anderen auch -, daß bei üblichen Intelligenz-Tests Menschen mit schwarzer Hautfarbe schlechter abschnitten als Menschen mit weißer Hautfarbe. Er betonte, daß die Daten eindeutig und reproduzierbar seien, aber sah nicht ein, daß der Schluß daraus auch lauten konnte, daß herkömmliche IQ-Tests die spezifischen Fähigkeiten der Weißen zu stark betonen.

Was auffällt ist, daß mindestens drei der mit dem Nobelpreis geehrten Naturwissenschaftler ihr Betätigungsfeld bei einfachen Teilchen und Molekülen gegen komplexe Systeme eingetauscht haben. Einer von ihnen ist Leon Cooper (Nobelpreis 1972), der Entdecker der „Cooper-Paare“, denen bei der inzwischen wesentlich ergänzten Theorie der Supraleitung eine entscheidende Rolle zukam. Die Theorie entstammt der Gemeinschaftsarbeit des Trios Leon Cooper, John Robert Schrieffer und John Bardeen, der schon beim Transistor mitgewirkt hatte und als einziger Wissenschaftler zweimal den Physikpreis bekam.

Nach dem Nobelpreis verspürte Leon Cooper plötzlich ein neues Interesse und wechselte sein Fachgebiet fundamental. Statt mit Elektronen beschäftigte er sich nun mit Neuronen – also Nervenzellen. Und statt Elektronen-Paare modellierte er neuronale Netzwerke und lernende Systeme, freilich ohne irgendein greifbares Ergebnis.

Ähnlich verhielt sich der Brite Brian Josephson, der sich zuerst ebenfalls mit Supraleitung beschäftigt hatte und dabei einen heute nach ihm benannten Tunneleffekt entdeckte, der 1973 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wur-de. Heute befaßt sich Josephson ebenfalls mit vermeintlich tiefen Fragen der Intelligenz, und er denkt darüber hinaus über den evolutionären Ursprung der Religion nach (Josephson-Portrait ab S. 64).

Manche Forscher verleitet der Nobelpreis offenbar dazu, sich auch bei „großen Themen“ für zuständig zu halten. Gerald Edelman, der 1972 – im selben Jahr wie Cooper – in Stockholm den Nobelpreis für Medizin und Physiologie bekam, ist ein weiteres Beispiel: Gewürdigt wurden damals Edelmans Arbeiten (bild der wissenschaft 2/1996, „Ein Biologe will seinen zweiten Nobelpreis“) über die Struktur von Antikörpern, deren mehr als 1300 Bausteine er in jahrelanger Kleinarbeit vollständig analysiert hatte. Nach seinen biochemischen Erfolgen stieg Edelman in die Neurowissenschaften ein und behauptet heute, eine Revolution dieses Feldes in die Wege geleitet zu haben, an deren Ende wir verstehen werden, „wie der Geist funktioniert, was unsere Natur steuert und wie wir die Welt erkennen“. Eingesessene Neurobiologen halten Edelmans Thesen indes für obskur.

Auch Donald Glaser beakkerte nach seinem Nobelpreis 1960 ein neues Feld. Nach der Auszeichnung für die von ihm erfundene Blasenkammer – mit deren Hilfe subatomare Teilchen aufgezeichnet werden – wandte sich der amerikanische Physiker molekularbiologischen Themen zu. Auch Manfred Eigen, der 1967 den Chemie-Nobelpreis für Arbeiten über extrem schnelle Molekülumwandlungen bekam, hat sich danach mit einem anderen Problem beschäftigt: der biologischen Evolution.

In einem Fall hat der Nobelpreis freilich erst eine Laufbahn ermöglicht. Marie Curie war 1903, als ihr zum ersten Mal der Nobelpreis (für Physik) überreicht wurde, lediglich eine unbezahlte Hilfskraft. Sie arbeitete in einer Bretterbaracke, die von ihr und ihrem mitausgezeichneten Mann in Paris als Laboratorium benutzt wurde.

Erst der Nobelpreis verhalf der gebürtigen Polin zu einer Stellung und zu einer Professur an der Sorbonne – mit dem Ergebnis, daß sie 1911 nochmals nach Stockholm reisen durfte, um nun den Nobelpreis für Chemie entgegenzunehmen.

Ernst Peter Fischer

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