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Älteste Tierspur ist ein Flop

Allgemein

Älteste Tierspur ist ein Flop
„Vor 25 Jahren sorgte Vermifora antiqua als älteste Tierspur der Welt für Furore. Tatsächlich ist das „Fosssil“ jedoch durch Bewegungen von Gesteinspaketen entstanden.“

Es beginnt mit einem Haken. Dann folgen ein Kringel und zwei Knicke. Mit mehreren Schlingen in Form einer Brezel endet das 25 Zentimeter lange Gebilde. Als amerikanische Forscher 1976 in North Carolina auf einer alten Sandsteinschicht diese Spur entdeckten, stand für sie fest, daß sie das älteste Zeugnis tierischen Lebens auf der Erde gefunden hatten. Ein Wurm soll sie im Präkambrium, vor 620 Millionen Jahren, in den Meeresboden gefressen haben. Der Fund machte unter dem Namen Vermiforma antiqua Furore. Tatsächlich handelt es sich dabei jedoch gar nicht um ein Fossil. Vielmehr haben Bewegungen einzelner Gesteinspakete ihre Spuren auf dem Sandstein hinterlassen. Zu diesem Ergebnis kamen der Paläontologe Adolf Seilacher und der Tektoniker Martin Meschede aus Tübingen sowie Edward Bolton von der Yale University (USA). Seilacher beschäftigt sich schon seit längerer Zeit kritisch mit Wurmspuren. Als er am Smithsonian Institute in Washington erstmals eine Gesteinsplatte mit mehreren Spuren zu Gesicht bekam, wurde er stutzig. Nicht nur, daß alle fast gleich aussahen – verdächtig war auch ihre identische Ausrichtung auf der Sandsteinplatte. Bisher hatte man das so erklärt, daß sich die spurenerzeugenden Organismen nach einem artspezifischen Grabprogramm durch das Sediment gefressen und dabei ein einheitliches Muster erzeugt hätten. Dieses Muster ließ Seilacher keine Ruhe. „Erst ein Fleischerhaken, dann ein Knick und eine Brezel – das gibt keinen Sinn“, sagt er. Denn solche Muster zeugen vom Verhalten der Tiere. Und das folgt einfachen, sich wiederholenden Programmen. Die Spuren auf der Platte lassen jedoch keine Wiederholung erkennen. „Da hätte also mehrmals ein neues Programm gestartet werden müssen“, meint Seilacher, „und das ist viel zu kompliziert.“ Zusammen mit seinen Kollegen fand er eine andere Erklärung. In den Sandsteinplatten ist die Bewegung einzelner Gesteinsflächen gegeneinander protokolliert – durch Sandkörner oder größere Partikel, die zwischen den Flächen mitgezerrt wurden und dabei Schleifspuren hinterließen. Zu solchen Bewegungen kommt es, wenn Sedimentschichten unter seitlichem Druck zu Gebirgszügen aufgefaltet werden. Am Fundort von Vermiforma antiqua fanden solche Prozesse statt, als die Appalachen entstanden. Seilacher und Meschede stellten diese Bewegungen im Experiment nach. Dazu rollten sie eine Knetkugel zwischen zwei Plexiglasscheiben so hin und her, daß die weiche Knetmasse auf beiden Glasflächen eine Spur in Form von Vermiforma antiqua hinterließ. Dann wiederholten sie den Vorgang gleichzeitig mit mehreren Kugeln, erzeugten also einen ganzen Satz gleichartiger Spuren, die jeweils auf der gegenüberliegenden Glasfläche ihr Spiegelbild hatten. Rätselhaft blieb zunächst, warum zwar alle Abdrücke auf der Gesteinsplatte mit einem Haken beginnen, die Knicke und Brezeln dagegen unterschiedlich ausgeprägt sind. Die Lösung lieferte der amerikanische Geologe Edward Bolton. Er simulierte die Spur eines Partikels zwischen zwei sich bewegenden Platten am Computer. Dabei ging er nicht von einer Kugel, sondern von einem unregelmäßigen Korn aus. Es macht die Bewegung nicht einfach mit, sondern bleibt auch einmal hängen und rutscht dann wieder ruckartig weiter – je nachdem, wie groß die Reibung ist. Bolton änderte die Reibung laufend per Zufallsgenerator und erzeugte so eine Reihe unterschiedlicher Muster. Sie wiesen ähnliche Variationen auf wie die Spuren im Sandstein. Pikant ist, daß ausgerechnet Seilacher und sein Team seit etwa zwei Jahren die Entdeckung des ältesten Tierfossils für sich in Anspruch nehmen. In einem Sandstein in Indien hatten sie Spuren eines wurmartigen Tieres gefunden. Mit 1,1 Milliarden Jahren wäre es fast doppelt so alt wie Vermiforma antiqua.

Astrid Staesche

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