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Auf dem Holzweg?

Allgemein

Auf dem Holzweg?
Ab 2008 müssen die Industrieländer – laut Kyoto- Protokoll – ihren Ausstoß von Treibhausgasen erheblich verringern. Doch einen Teil davon können sie mit ihren Wäldern, Wiesen oder Äckern verrechnen, die Kohlendioxid (CO2) speichern. Ein politischer Trick – oder eine wissenschaftlich sinnvolle Methode?

„Russland, Japan und Kanada haben ihre Verhandlungsposition voll ausgenutzt“, ärgert sich Dr. Rolf Sartorius vom Umweltbundesamt in Berlin. 2001 holten sich diese Länder einen üppigen Nachlass bei den Verpflichtungen, die sie im Rahmen des Kyoto-Protokolls übernehmen sollten. Rund 30 Millionen Tonnen Kohlenstoff mehr als im Vertrag vorgesehen dürfen sie in die Luft blasen, weil sie große Wälder haben.

Ziel des 1997 in Kyoto beschlossenen Zusatzabkommens zur Klimarahmenkonvention ist die weltweite Reduktion von klimaschädlichen Treibhausgasen. Konkret verpflichteten sich 38 Industrie- und ehemalige Ostblockländer – die so genannten Annex I-Staaten –, zwischen 2008 und 2012 ihren Ausstoß sechs wichtiger Treibhausgase im jährlichen Durchschnitt um 5,2 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 zu verringern. Norwegen, Neuseeland, Australien, Russland, Kanada, Island, Japan und vor allem die USA hatten gleich für eine Verwässerung gesorgt: Die Menge an Kohlendioxid (CO2), die in Wäldern, Wiesen und Äckern verschwindet, kann in die Bilanz eingehen. „Senken“ werden diese natürlichen CO2- Puffer genannt. Die meisten dieser Länder haben große Waldvorkommen. Gewünschter Effekt: Je mehr Senken ein Staat verrechnen kann, desto weniger muss er sich um Reduktionen von Emissionen aus Schornstein und Auspuffrohren bemühen.

Wie Ironie wirkt es, dass die Hauptinitiatoren der Senken-Idee, die USA, unter ihrem neuen Präsidenten Bush erklärten, den Vertrag nicht ratifizieren zu wollen. Dadurch drohte das Abkommen zu scheitern. Denn damit es in Kraft treten kann, müssen sich so viele Staaten daran beteiligen, dass sie zusammen mindestens 55 Prozent der gesamten CO2-Emissionen aus den Industrieländern des Jahres 1990 stellen. Da die USA aber allein 36 Prozent dieser Emissionen in die Luft pusten, mussten andere große Abgasproduzenten wie Japan, Kanada und Russland mitmachen.

Russland hat bis heute das Kyoto- Protokoll nicht unterschrieben und pokert weiter. „Für Russland waren zunächst 13 Millionen Tonnen Kohlenstoff jährlich angesetzt“, sagt Dr. Bernhard Schlamadinger vom Joanneum Research-Institut in Graz. Doch Moskau wollte mehr. Auf der sechsten Vertragsstaatenkonferenz im Juli 2001 in Bonn bekam es über Nacht 17 Millionen. Und im November 2001 gab es in Marrakesch nochmals einen ordentlichen Nachschlag: Russland erhielt insgesamt 33 Millionen Tonnen Kohlenstoff-Emissionen jährlich als Gutschrift für die Bewirtschaftung seiner Wälder.

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Das Problem ist: Für diese Zahl gibt es keine wissenschaftliche Basis. Dabei ist der Poker um Russlands Wälder nur die Spitze des Eisbergs beim Streit, wie und in welchem Umfang die Vertragsstaaten des Kyoto-Abkommens CO2-Senken verrechnen können. Ein Streit, der mit „wissenschaftlichen Fakten“ ausgetragen wird, bei denen die Fehlerbalken der Schätzwerte oft größer sind als die Werte selbst. Und der nicht nur durch die Reihen der Politiker, sondern auch quer durch das Lager der Wissenschaftler verläuft. „Es war ein Geburtsfehler von Kyoto, die Senken überhaupt hineinzunehmen“, erklärt Dr. Annette Freibauer vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena. Sie ist die wissenschaftliche Koordinatorin des europäischen Verbundprojekts CarboEurope, in dem mehr als 250 Wissenschaftler aus 21 Ländern nach globalen Kohlenstoff-Flüssen fahnden. „Wie sie gemessen werden sollen, weiß keiner.“ Obwohl ein fein ziseliertes Regelwerk zum Kyoto-Protokoll die Details bestimmt, gibt es noch etliche Probleme:

• Eine exakte Bestimmung der Kohlenstoffmengen, die in Wäldern, Äckern und Wiesen der Welt verschwinden, ist derzeit nicht möglich.

• Vegetation ist ein labiler Kohlenstoff-Speicher. Keiner weiß, wie der Bewuchs auf mögliche Klima-Veränderungen reagieren wird, und ob zusätzliche Aufforstungen nicht in wenigen Jahrzehnten bei Waldbränden ihr CO2 als Rauch freisetzen.

• Die tropischen Regenwälder, die besonders wichtige Kohlenstoff-Speicher sind, erhalten durch das Abkommen bislang keinen Schutz.

Generell vergütet das Abkommen Senken nicht pauschal. Vor allem auf Druck der Europäischen Union wurden Begrenzungen festgelegt. Die Industrieländer sollen nur für Senken belohnt werden, die sie zusätzlich angelegt haben. Dafür müssen sie den Kohlenstoff-Umsatz auf allen Flächen bilanzieren, die sie seit 1990 dauerhaft abgeholzt oder neu aufgeforstet haben. Positiver Effekt: Kyoto gibt damit einen Anreiz für Aufforstungen und bestraft Abholzungen.

Wenn durch gezieltes Management die Kohlenstoff-Speicherung in den vor 1990 bestehenden Wäldern und auf landwirtschaftlichen Flächen erhöht wird, kann dies ebenfalls verrechnet werden. Vergrößert ein Staat zum Beispiel in Wäldern die Bestandsdichte – pflanzt er also mehr Bäume pro Fläche oder werden Altersklassenwälder in vielschichtige, naturnahe Mischwälder überführt –, so bekommt er dafür eine CO2-Gutschrift.

Gutschriften für CO2 gibt es obendrein für Waldbau- und Aufforstungsprojekte in anderen Staaten:

• In unbegrenzter Höhe, wenn die Bäume in anderen Industrieländern gepflanzt werden.

• Maximal in Höhe von einem Prozent der eigenen Emissionen des Jahres 1990, wenn es Projekte in Entwicklungsländern sind – so genannte Clean Development (CDM)-Projekte. Diese Obergrenzen bewahren einen Rest der ursprünglichen Kernidee des Protokolls: Die Staaten müssen wenigstens einen Teil ihrer Emissionen zurückschrauben und können nicht alles mit Senken verrechnen. Das Umweltbundesamt schätzt, dass die Industrieländer nur etwa zwei Drit-tel ihrer Reduktionsverpflichtungen mit Senken decken könnten. „Das Schlimmste konnten wir durch die Obergrenzen verhindern“, freut sich UBA-Mann Sar-torius. Das Abkommen wäre sonst wertlos gewesen: Wie die meisten anderen Industriestaaten hätte die EU das Reduktionsziel allein dank ihrer Wälder locker erreicht.

Jährlich quellen derzeit an die 6,3 Milliarden Tonnen Kohlenstoff in Form von CO2 aus Schornsteinen und Auspuffrohren in die Atmosphäre. Hinzu kommen weitere 1,6 Milliarden Tonnen durch Brandrodung vor allem in den Tropen. Wie Gasmessungen belegen, verbleiben davon aber nur rund 3,3 Milliarden Tonnen in der Luft. Denn anders als bei einem ausgeglichenen globalen C-Zyklus lösen die Ozeane derzeit jedes Jahr weitere 2,3 Milliarden Kohlenstoff zusätzlich im Wasser. Und Wälder, Savannen und Weiden schlucken noch einmal etwa 2,3 Milliarden. Nur ansatzweise ist allerdings bislang klar, wie diese zusätzliche Kohlenstoff-Bindung stattfindet. Viele Forscher setzen auf die Methode des Inverse Modelling (IM), um die CO2-Bilanzen von Kontinenten oder Ländern abzuschätzen. Dabei werden Computer mit den Konzentrationen von Gasen in einigen Tausend Meter Höhe zusammen mit den meteorologischen Daten über die Wind- und Luftströmungen gefüttert. Die Rechner kalkulieren daraus Herkunft und Verbleib der Gase. Wird zusätzlich der Anteil unterschiedlicher Isotope des Kohlenstoffs bestimmt, erlaubt das Rückschlüsse, ob der Kohlenstoff aus dem Meer, der Verbrennung von Kohle oder Öl oder vielleicht aus brennender Vegetation stammt.

Solche Inverse-Modelling-Rechnungen sprechen dafür, dass vor allem Waldflächen in nördlichen Breiten und große Ozeanflächen auf der Südhalbkugel die größten zusätzlichen Speicher sind. Die tropischen Regenwälder scheinen dagegen in der Summe nicht mehr CO2 zu schlucken als sie frei setzen. „In den Tropen“, so Annette Freibauer, „wird so viel Wald abgeholzt oder verbrannt, dass netto nichts für eine zusätzliche Speicherung übrig bleibt.“

Doch für genauere Aussagen reicht die Methode nicht. Nach den letzten IM-Zahlen aus Freibauers CarboEurope-Projekt schluckt die Vegetation Kontinentaleuropas bis zum Ural derzeit jährlich netto 290 Millionen Tonnen der von Menschen produzierten 6 Milliarden Tonnen Kohlenstoff. Der Messfehler ist allerdings riesig: Vielleicht sind es sogar 470 Millionen Tonnen oder auch nur 110. Alle anderen – landbasierten – Methoden wie die Waldinventur führen ebenfalls zu keinen präziseren Zahlen. Viele Länder, auch die Bundesrepublik, bestimmen den Zuwachs an Biomasse in Wäldern, indem alle fünf oder zehn Jahre der Durchmesser von Referenzbäumen auf den Zuwachs an Biomasse in einem Bestand zurückgerechnet wird. Landbasierte Methoden kommen für Kontinentaleuropa nur auf 119 zusätzlich gespeicherte Millionen Tonnen Kohlenstoff. Der methodische Fehler ist hier allerdings noch gewaltiger als bei IM-Rechnungen: Es könnten sogar 398 Millionen sein. Andererseits ist nach dieser Kalkulation nicht auszuschließen, dass die Wälder sogar Kohlenstoff zusätzlich freisetzen, und zwar jährlich mehr als 160 Millionen Tonnen. „ Niemand“, resümiert Freibauer, „kann aufgrund der riesigen Fehlerspanne zuverlässig sagen, ob die Vegetation in Kontinentaleuropa nun eine Kohlenstoff-Senke oder eine -Quelle ist.“

Waldinventuren sind dennoch eine wesentliche Grundlage für die Kalkulationen im Rahmen von Kyoto. Satellitenaufnahmen sollen obendrein zur Kontrolle von Aufforstungen und Abholzungen dienen. Schlamadinger: „Außerdem müssen die Staaten nicht nur Bäume, sondern auch Böden, Totholz und Streu erfassen – die Methoden dafür gibt es oder sie werden derzeit entwickelt.“

Viele der Formeln, nach denen die Bestandszuwächse im Forst berechnet werden, seien allerdings wissenschaftlich veraltet, moniert Freibauer. „Für junge Aufforstungen gibt es gar keine Formeln.“ Und bei Böden sei es derzeit noch nicht möglich, die Kohlenstoff-Bindung oder -Freisetzung zuverlässig zu kalkulieren. „Wir haben lange angenommen“, so Freibauer, „dass die hierzulande schon seit Jahrhunderten durch Waldrodung entstandenen Ackerböden längst kein Kohlendioxid mehr abgeben.“ Eine große Überraschung war vor kurzem, als CarboEurope-Messungen zeigten, dass europäische Böden immer noch eine starke Quelle von Kohlendioxid sind.

Hauptziel von CarboEurope ist es, bessere Methoden für die Bestimmung der Kohlenstoff-Flüsse zwischen Land, Wasser und Luft zu finden. Möglich werden soll ein „Total C Counting“, das es erlaubt, alle Kohlenstoff-Flüsse in einem Areal zu messen und zu bilanzieren. Ein wichtiges Arbeitsgerät der Forscher sind dabei die so genannten Eddy-Flux-Türme. An etwa 80 Standorten in der EU messen diese zum Teil 100 Meter hohen Türme kontinuierlich den Kohlenstoff-Fluss aus der Vegetation und wieder hinein. Ein flächendeckendes Kontrollnetz aus diesen bis zu 100000 Euro teuren Türmen, die jeweils einen Umkreis von einem Kilometer erfassen, wäre allerdings zu kostspielig. Sie sollen vielmehr punktuell arbeiten und Referenzwerte liefern. Freibauer: „Das könnte uns einen Maßstab an die Hand geben, mit dem wir ab 2008 die Berichte der Länder über ihre Senken prüfen können.“ Trotzdem werden die Kontrolleure von Kyoto-Senken sich in der Praxis oft pragmatisch mit Stichproben und Hochrechnungen zufrieden geben müssen.

Dabei birgt die Zukunft noch ein ganz anderes Problem: Senken werden nicht immer Senken bleiben. Heute sorgen Aufforstung, natürliche Wiederbewal- dung, Düngung und waldbauliche Tricks dafür, dass die Vegetation weltweit mehr CO2 aufnimmt als früher. 12 bis 15 Prozent aller Kohlenstoff-Emissionen aus den Schornsteinen seien in den nächsten 50 Jahren vielleicht noch zusätzlich in Wäldern zu speichern, meint Schlamadinger. Später werden Wiederbewaldung und ähnliche Maßnahmen an ein Limit stoßen: Es wird keine freien Flächen zum Aufforsten mehr geben, die Bäume werden alt, wachsen deshalb langsamer und verbrauchen weniger CO2, zum Teil sterben sie ab und produzieren beim Zerfall CO2.

Dass derzeit überhaupt mehr Kohlenstoff in die Vegetation eingelagert wird als früher, hat je nach Region unterschiedliche Gründe. So führt im Osten der USA vor allem die Wiederbewaldung aufgegebener landwirtschaftlicher Flächen dazu, dass mehr CO2 gebunden wird. Nach Hochrechnungen könnten die USA bis 2100 noch 25 Milliarden Tonnen Kohlenstoff zusätzlich auf die Scholle bringen. Danach müsste dieser Prozess erheblich an Tempo verlieren.

In Nordamerika, Europa und Asien legen die Wälder derzeit an Biomasse zu, weil ihnen die gestiegenen Durchschnittstemperaturen behagen und ihnen die erhöhten CO2-Mengen in der Luft zusätzlichen Dünger bescheren. Für diesen Düngeeffekt wurde im Rahmen von Kyoto ein Abschlag von 85 Prozent eingeführt. So binden Deutschlands Wälder nach Hochrechnungen derzeit jährlich an die 9,4 Millionen Tonnen Kohlenstoff zusätzlich. Aber nur 15 Prozent, 1,24 Millionen Tonnen pro Jahr, darf sich die Bundesrepublik für „aktive“ Waldbaumaßnahmen maximal anrechnen lassen. Das ist de facto ein Geschenk, denn die Staaten müssen dafür kaum echte Maßnahmen im Wald nachweisen.

Bis 2008 muss jeder Staat entscheiden, ob er von seinen CO2-Senken im Forst und in der Landwirtschaft überhaupt Gebrauch machen will. Das Bundesumweltministerium ist dagegen, und die Entscheidung des federführenden Verbraucherministeriums steht noch aus, erklärt Rolf Sartorius.

Es gibt in der Tat einen Haken: Ein Staat bleibt nach den Regeln des Kyoto-Protokolls auf Dauer für einmal in die Kalkulation eingebrachte Wald- und Ackerflächen verantwortlich. Sie werden auch in zukünftigen Verpflichtungsperioden berücksichtigt. Langfristig rechneten sich CO2-Speicherung und Abgabe in Wirtschaftswäldern aber auf null, meint Dr. Klaus Böswald, Forstwirt und Chef der Frankfurter Unternehmensberatung Antaeus: „Auf die Dauer gesehen lohnt es sich nicht, bestehende Wälder in die Kalkulation mit aufzunehmen.“ Noch sind viele hiesige Wälder jung, weil sie nach dem Zweiten Weltkrieg neu gepflanzt wurden und deshalb ordentlich CO2 schlucken. In 50 Jahren, sagt Böswald, seien diese Wälder so weit gewachsen, dass sie nicht mehr eine Senke, sondern eine Quelle von Kohlenstoff darstellten. Wird dann mehr Holz eingeschlagen oder vermodert gleich im Wald, hätte Deutschland eine weitere CO2-Quelle im Land. „Eigentlich müssten die Förster dann sogar Ausgleichszahlungen für ihre CO2-produzierenden Wälder leisten“, spottet Böswald.

Manche Szenarien postulieren global schon in 50 Jahren eine fatale Gegenreaktion der Erdvegetation auf weiter steigende Temperaturen. Einige Forscher haben mittels Computersimulationen untersucht, welche Rückkopplungen zwischen steigenden Temperaturen und den globalen Kohlendioxid-Strömen entstehen könnten. Das Ergebnis ist erschreckend: Ein Team um Peter Cox vom Hadley Center for Climate Prediction in Großbritannien ermittelte, dass bei ungebremsten CO2-Emissionen sich die Erdtemperatur bis zum Jahr 2100 nicht – wie vom IPCC geschätzt – um maximal 5,5, sondern um 8 Grad Celsius erhöhen könnte. Schon ab dem Jahr 2050, so zeigt die Simulation, könnte die Erdvegetation von einer Kohlenstoff-Senke zur -Quelle mutieren. Ein besonders übler Auswuchs dieses Szenarios: Trockenheit und Hitze führen zum großflächigen Kollaps des tropischen Regenwalds in Amazonien.

„Ja und?“, kommentiert Karl Peter Hasenkamp. „Das ist noch lange kein Argument gegen den Wald als Senke, sondern heißt nur, dass wir alles tun müssen, um möglichst viel CO2 im Wald zu binden.“ Seit 1992 sammelt sein Düsseldorfer Verein PrimaKlima Spenden, um aufzuforsten – bis heute sind schon 28 Quadratkilometer neu bepflanzt.

„Die Regierung wird unsere Bäume brauchen“, ist Hasenkamp überzeugt. Wenn die Wirtschaft erst mal wieder brummen würde, sei auch für Deutschland das Reduktionsziel von Kyoto schwierig zu erreichen.

Während die große Mehrheit der hiesigen Umweltgruppen von Anfang an strikt gegen die Anrechnung von Senken war, um das Kyoto-Ziel nicht weiter zu verwässern, gab es schon 1999 einen Appell von 250 Forstwissenschaftlern an die Bundesregierung, sich dafür stark zu machen. Peter Burschel, emeritierter Professor für Forstwirtschaft der TU München, argumentiert: „Beides ist nötig: Die Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger müssen drastisch sinken, gleichzeitig sollten wir auf die finanziellen Anreize, die das Abkommen für Waldschutz und Forstwirtschaft bietet, nicht verzichten, um möglichst viel CO2 in Wäldern und Holzprodukten zu speichern.“

Fast noch wichtiger als Aufforsten wären allerdings Projekte zur Rettung der letzten Primärwälder. Ein Abholzen der verbliebenen Wälder der Erde würde weitere 400 Milliarden Tonnen Kohlenstoff in die Atmosphäre bringen, etwa die Hälfte davon in den Tropen. Globales Aufforsten könnte nach Schätzung des IPCC bis zu 120 Milliarden Tonnen Kohlenstoff zusätzlich binden.

Auch hier greift Kyoto zu kurz. Während das Abkommen das Abfackeln der Wälder in Industrieländern bestrafen will – die CO2-Verluste müssen in der Emissionsbilanz des Folgejahres nach einem Waldbrand bilanziert werden –, gibt es für Wälder in den Tropen keinen Schutz. Brasilien, Thailand oder Kongo haben – wie alle anderen Entwicklungsländer – derzeit keine Verpflichtung übernommen, Treibhausgase zu verringern und damit auch keinen Anreiz, Waldverluste zu minimieren. „Schutz muss sich rechnen, sonst gibt es keinen“, warnt Peter Burschel. Die letzten Urwälder seien nur zu retten, wenn ihr Erhalt ökonomisch einen Wert bekäme. Das Kyoto-Protokoll müsse dringend erweitert werden. Langfristig die einzige Lösung: Alle Vertragsstaaten des Abkommens müssen zu Reduktionsminderungen verpflichtet werden, bei denen auch das Abholzen von Wäldern negativ verbucht wird.

Nach heutigem Stand honoriert Kyoto in den Tropen nur Aufforstungen wie bei Clean-Development-Projekten (CDM). Für diese Leistungen können sich die Staaten CO2-Einspar-Zertifikate ausstellen. Mit solchen Papieren lässt sich Geld verdienen, denn ab 2008 dürfen sie verkauft werden. Die Käufer können sie dann mit eigenen CO2-Emissionen verrechnen.

Eine Besonderheit von CDM: Es zählen alle CO2-Einsparungen ab dem Jahr 2000. Das heißt, es lohnt sich heute schon, in solche Projekte zu investieren, um damit CO2-Zertifikate zu erwerben, mit denen sich später handeln lässt.

Die ersten Aufforstungen für Kyoto laufen. Die Weltbank hat seit dem Jahr 2000 bei 7 Regierungen und 18 Firmen – darunter auch der RWE und der Deutschen Bank – 180 Millionen US-Dollar in einem speziellen Fond gesammelt, dem Prototype Carbon Fund (PCF). Unter den zwei Dutzend bereits gestarteten Projekten ist eine Eukalyptusplantage in Brasilien, die Holzkohle für die dortige Stahlindustrie gewinnen soll. Sie deckt ihren Energiebedarf derzeit noch oft mit Holzkohle, die aus Primärwäldern stammt. CDM-Projekte könnten also helfen, tropische Regenwälder zu retten.

Eine weitere paradoxe Regelung im Kyoto-Protokoll erlaubt, dass im schlimmsten Fall solche Plantagen für Holzkohle auf eigens dafür abgeholzten Urwaldflächen errichtet würden. „Eine Lücke, die wir auf der nächsten Vertragsstaatenkonferenz unbedingt schließen müssen“, betont die MPI-Forscherin Annette Freibauer. „Nur mit der Rendite aus den Kyoto-Zertifikaten lohnen sich Investitionen zum Waldschutz und zur nachhaltigen Nutzung von Tropenwäldern zwar nicht“, meint Klaus Böswald, dessen Firma ein Waldprojekt auf 250000 Hektar Fläche im Norden Argentiniens plant, „aber sie bringen den finanziellen Anreiz, um Ökoprojekte für Investoren interessant zu machen: zum Beispiel nachhaltige Holznutzung auf einer Teilfläche und Urwaldschutz auf einer anderen, nebst Ökotourismus.“

Vielleicht sind Forstprojekte sogar eine bessere Investition, als Experten wie Böswald meinen. Zwar sind die Prognosen für den Marktpreis von CO2-Zertifikaten seit dem Ausstieg der USA aus dem Abkommen erst mal in den Keller gerutscht – denn damit ist der größte Interessent aus dem Rennen. In Europa kauft derzeit vor allem die holländische Regierung Vorzugsrechte auf CO2-Zertifikate – zu fünf Euro die Tonne CO2. Dass es bei dem Preis bleibt, ist aber alles andere als ausgemacht. „Beim nächsten Wachstumsschub für die Weltwirtschaft könnten CO2-Zertifikate richtig Geld bringen“, meint Rolf Sartorius. Immer vorausgesetzt, das Kyoto-Abkommen tritt in Kraft.

KOMPAKT

• Das Problem: Alle Konzepte, das Klimagas CO2 in Wäldern und Wiesen zu „versenken“, beruhen nur auf Schätzungen.

• Die Chance: Das Kyoto-Protokoll könnte einen wertvollen Beitrag zur Wiederaufforstung leisten.

• Die Zukunft: Die Erhaltung der tropischen Urwälder könnte durch eine Erweiterung des Protokolls wirtschaftlich lohnend werden.

Sechs Milliarden zu viel

Rund 730 Milliarden Tonnen Kohlenstoff (C) stecken derzeit nach Schätzungen des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) in der Atmosphäre. 466 Milliarden Tonnen sind in der Landvegetation und 2011 Milliarden Tonnen in den Böden enthalten. Der größte Teil – rund 38 000 Milliarden Tonnen Kohlenstoff – ist in den Meeren überwiegend physikalisch gelöst, ein geringer Teil ist im Plankton gebunden.

Wäre der globale Kohlenstoff-Kreislauf im Gleichgewicht, würden jedes Jahr an die 120 Milliarden Tonnen Kohlenstoff von Landpflanzen durch Photosynthese gebunden. Die Hälfte geriete durch die Atmung der Pflanzen wieder in die Luft, die andere Hälfte würde aufgrund der Atmung von Mikroben, die im Boden abgestorbene Pflanzenreste zersetzen, wieder frei. Weitere 90 Milliarden Tonnen würden jedes Jahr zwischen Ozeanen und Luft ausgetauscht. Doch das System ist aus dem Gleichgewicht geraten: Gegenüber dem Jahr 1800 stecken heute viele Milliarden Tonnen mehr Kohlenstoff in der Atmosphäre, den Ozeanen und der Vegatation.

Diese Werte sind aber nur Schätzungen mit großen Fehlern. Zum Beispiel die europäische Vegetation: Laut Berechnungen schluckt sie überschüssiges CO2 in der Größenordnung von 119 Millionen Tonnen Kohlenstoff jährlich. Allerdings könnte es auch sein, dass sie mit 160 Millionen Tonnen sogar zum Treibhauseffekt beiträgt.

Was will Kyoto

Das Kyoto-Protokoll verpflichtet 38 so genannte Annex I-Staaten, ihren Ausstoß an Klimagasen zu reduzieren. Dazu zählen alle westlichen Industrieländer und die Länder des ehemaligen Ostblocks. In der ersten Verpflichtungsperiode von 2008 bis 2012 müssen sie ihre durchschnittlichen jährlichen Emissionen sechs wichtiger Treibhausgase um 5,2 Prozent unter die Werte von 1990 bringen. Zu den Klimagasen gehören: • Kohlendioxid (CO2),

• Methan (CH4),

• Distickstoffoxid (N2O),

• teilhalogenierte Kohlenwasserstoffe,

• perfluorierte Kohlenwasserstoffe,

• Schwefelhexafluorid.

Um eine einheitliche Bewertungsgrundlage zu haben, werden alle Gase in CO2-Äquivalente umgerechnet. Die Bundesrepublik kam im Jahr 1990 auf direkte CO2-Emissionen von insgesamt 1,014 Milliarden Tonnen, insgesamt aber auf 1,225 Milliarden Tonnen an CO2-Äquivalenten für die Kyoto-Gase. CO2 ist dabei mit einem Anteil von 87 Prozent das mit großem Abstand wichtigste Gas.

Auf alle Unterzeichner von Kyoto umgerechnet, würde die Verringerung um 5,2 Prozent einen jährlichen Minderausstoß von rund 1,17 Milliarden Tonnen CO2 bedeuten, entsprechend 319 Millionen Tonnen Kohlenstoff. Da die USA das Abkommen nicht ratifizieren wollen, sind es nur noch rund 740 Millionen Tonnen CO2, entsprechend 200 Millionen Tonnen Kohlenstoff.

Das sind allerdings Zahlen auf der Grundlage von 1990. In Wirklichkeit werden die Staaten aber viel mehr einsparen müssen, da die meisten von ihnen ihren Ausstoß an Klimagasen in den letzten Jahren nicht gesenkt, sondern sogar erhöht haben.

Bernhard Epping

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