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Aus Trümmern geboren

Allgemein

Aus Trümmern geboren
Die Entstehung des Mondes. Vor 4,5 Milliarden Jahren kollidierte ein Urplanet mit der Erde. Aus den Trümmern bildete sich unser Mond. Wissenschaftler kommen den Folgen der kosmischen Karambolage nun auf die Spur.

Unser Mond gehört zu den rätselhaftesten Körpern im Sonnensystem. Seine Masse beträgt gut ein Prozent der Erde, während alle anderen Monde (mit Ausnahme des Plutomondes Charon) weniger als 0,025 Prozent der Masse ihres Planeten besitzen. Außerdem hat der Erdmond eine für das innere Sonnensystem erstaunlich geringe Dichte. Der Grund: Er enthält sehr wenig Eisen. Schließlich unterscheidet sich seine atomare Zusammensetzung zum einen deutlich von den Isotopenverhältnissen auf der Erde, zum anderen besteht jedoch eine verblüffende Ähnlichkeit. Das zeigen Bodenproben, die Astronauten mit den Apollo-Flügen von unserem kosmischen Nachbarn mitbrachten.

Die Entstehungsgeschichte des Mondes birgt die Erklärung all dieser Eigenschaften. Doch diese frühe Zeit zu entschlüsseln, ist äußerst schwierig. Jack J. Lissauer vom Ames Research Center der NASA im kalifornischen Moffett Field erinnert sich: “Als ich vor 20 Jahren einen Vortrag des Mond-Experten Irwin Shapiro hörte, witzelte der, die beste Erklärung sei das Eingeständnis eines Beobachtungsfehlers: Der Mond existiert gar nicht”.

Lange Zeit war darüber spekuliert worden, ob der Mond einst von der Erde eingefangen wurde, ob er sich infolge der raschen Rotation unseres Planeten abgespaltet hat oder ob er sich – zusammen mit der Erde – aus dem Staub und Gas des Urnebels verdichtet hat – wie es wohl bei den meisten anderen Trabanten der Fall war.

Doch keine dieser drei Hypothesen ist ohne weiteres vereinbar mit den himmelsmechanischen Gesetzen und den kosmischen Randbedingungen, zum Beispiel dem Abstand und Drehimpuls des Erde-Mond-Systems heute, dem kleinen Eisenkern des Mondes und der Zusammensetzung seines Oberflächengesteins.

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Deshalb war Mitte der siebziger Jahre eine vierte Hypothese entwickelt worden, die sich inzwischen durchgesetzt hat. Sie geht von einer Kollision der Urerde mit einem Urplaneten aus, der bei der kosmischen Karambolage völlig zerstört wurde. Seine Masse mußte etwa 20 Prozent von der unserer Erde betragen haben. Er war also etwa doppelt so schwer wie der Mars. Die Relativgeschwindigkeit der beiden Himmelskörper betrug ein paar Kilometer pro Sekunde. Der Eisenkern des Urplaneten blieb in der Urerde stecken, während sein Mantel sowie ein Teil des Erdmantels ins All gesprengt wurden. Aus diesem Trümmergürtel hat sich dann ein neuer Himmelskörper gebildet – unser Mond. Computersimulationen von Shigeru Ida vom Tokyo Institut für Technologie in Japan zusammen mit Robin M. Canup und Glen R. Stewart von der University of Colorado in Boulder zeigten, daß diese Zusammenballung höchstens ein Jahr gedauert hat. Das geschah vor 4,51 (plusminus 0,01) Milliarden Jahren, wie ein Team unter der Leitung von Der-Chuen Lee von der University of Michigan in Ann Arbor herausgefunden hat.

Die Schlußfolgerung der Forscher: Der Mond entstand nur 50 Millionen Jahre, nachdem sich unser Sonnensystem zu bilden begann – also zu einer Zeit, als die Ausformung der Urerde aus dem Urnebel wahrscheinlich noch gar nicht beendet war.

Lee und seine Kollegen hatten die Häufigkeitsverhältnisse von radioaktivem Hafnium-182 und seinem Zerfallsprodukt Wolfram-182 in Mondgestein gemessen. Daraus läßt sich sein Alter bestimmen. Das Gestein stammt von den Apollo-Missionen oder kam als Meteorit zur Erde. Inzwischen kennt man 17 solcher winzigen Fragmente vom Mond, die einst Meteoriten aus seiner Oberfläche herausgesprengt haben und die irgendwann die irdische Schwerkraft eingefangen hat. “EET 96008”, ein 53 Gramm schwerer und 4,5 Zentimeter langer Meteorit, der 1996 in der Elephant Moräne-Region in der Antarktis gefunden wurde, gab sich erst vor wenigen Monaten als basaltisches Trümmergestein vom Mond zu erkennen.

Die Computersimulationen von Shigeru Ida und anderen Wissenschaftlern belegen, daß eine Zusammenballung der Kollisionstrümmer in einer engen Erdumlaufbahn möglich ist. Die Kollisionshypothese funktioniert nur, wenn sich die Erde damals viel rascher gedreht hat. Außerdem sollte der Mond sie zunächst auf einer niedrigen äquatorialen Umlaufbahn umrundet haben. Heute bewegt er sich auf einem stark geneigten Orbit in 384 000 Kilometer Entfernung.

Jihad Touma von der University of Texas und Jack Wisdom vom Massachusetts Institute of Technology haben nun ein Modell entwickelt, das diese Bahnveränderung verständlich macht. Völlig unerwartet fanden sie dabei auch eine Erklärung, wie sich die lunaren Hochländer gebildet haben könnten.

Schon lange ist bekannt, daß die Gezeitenreibung des Mondes die Erdrotation allmählich bremst. Dadurch entfernt sich der Mond langsam von der Erde. Doch man muß auch die gravitative Wechselwirkung zwischen Erde, Mond, Sonne und den anderen Planeten, insbesondere Jupiter, berücksichtigen. Das taten Touma und Wisdom. Dabei stießen sie auf zwei Resonanzen, die zu einer drastischen Änderung der Mondumlaufbahn geführt haben müssen.

Als Resonanzen bezeichnet man ganzzahlige Umlaufverhältnisse zwischen Himmelskörpern, die entweder besonders stabil sind oder aber zu raschen und starken Bahnveränderungen führen. Touma und Wisdom vermuten, daß die Bahn des Mondes zweimal solchen abrupten Veränderungen unterworfen war.

Nach ihrem Modell schleuderte die erste Resonanz den Erdtrabanten nur 1000 Jahre nach seiner turbulenten Geburt in eine extrem elliptische Umlaufbahn. Dadurch wirkte die irdische Gravitation abwechselnd stärker und schwächer. Von diesen periodisch schwankenden Gezeitenkräften wurde der Mond regelrecht durchgeknetet – tausendmal stärker als Io, der vulkanisch aktive innerste Großmond des Jupiters. Dort hat die Raumsonde Galileo erst kürzlich die höchsten Oberflächentemperaturen im ganzen Sonnensystem – abgesehen von der Sonne – gemessen: über 1400 Grad Celsius.

Touma und Wisdom vermuten, daß die irdische Gezeitenreibung den jungen Mond so stark erhitzt hat, daß seine Oberfläche schmolz. Dies hat zur Entstehung seiner eisenarmen Kruste geführt, weil die schweren Metalle ins Mondinnere sanken. Die dunklen Maria, mächtige erstarrte Lavaflüsse, die 17 Prozent der Mondoberfläche bedecken, entstanden erst später, vor etwa 3,9 bis 3,1 Milliarden Jahren, durch mächtige Vulkanausbrüche oder Einschläge kilometergroßer Planetoiden.

Das Aufschmelzen der Oberfläche verzehrte so viel Energie, daß der Mond der ersten Resonanz entkam und sich auf einer spiralförmigen Bahn von der Erde entfernte. Bald darauf geriet er jedoch in eine zweite Resonanz, die ihn aus der Äquatorebene der Erde brachte. Er entkam dieser Resonanz erst, als seine Umlaufbahn zwölf Grad zum Erdäquator geneigt war. Seither entfernt er sich langsam von der Erde und macht ihre Tage und Nächte immer länger. Touma und Wisdom mußten verschiedene Szenarien durchrechnen, bis sie ein Modell fanden, das alle wichtigen Bahnparameter beschreiben kann. In diesem Modell dauerte ein Tag auf der Urerde nur fünf Stunden, und ihre Rotationsachse war 10 Grad zur Bahnebene geneigt – heute sind es 23,5 Grad. Der Abstand des Mondes vom Erdäquator betrug damals nur 22000 Kilometer.

Diese weit zurückliegenden Ereignisse sind noch heute von großer Bedeutung. Ohne den Mond würde die Erde chaotisch taumeln, denn er hat eine stabilisierende Wirkung für die Lage der irdischen Rotationsachse. Sie würde ohne Mond innerhalb einiger Jahrmillionen zwischen 0 und 85 Grad schwanken. Wie der Planet Uranus könnte die Erde dann förmlich auf ihrer Bahn um die Sonne rollen. Das ergaben Computersimulationen von Jacques Laskar und seinen Kollegen am Bureau des Longitudes in Paris schon vor fünf Jahren.

Darren M. Williams und James F. Kasting von der Pennsylvania State University haben mit Klimamodellen für die Erde ohne Mond nun gezeigt, daß die Achsenschwankungen verheerende Auswirkungen für unseren Planeten hätten. Tropische Zonen versänken immer wieder im Schnee, und die Polregionen würden sich auf bis zu 80 Grad Celsius erhitzen. Kontinente in den gemäßigten Breiten wären enormen Temperaturschwankungen zwischen minus 25 und plus 45 Grad Celsius innerhalb weniger Monate ausgesetzt.

Bei einer anderen Lage der Kontinente – vor 200 Millionen Jahren gab es nur einen großen Superkontinent auf unserem Planeten – wären die Bedingungen noch extremer. Dasselbe träfe zu, wenn die Erde weniger Wasser besäße.

Ohne den Mond hätte sich das irdische Leben völlig anders entwickelt oder wäre längst wieder ausgestorben. Vielleicht wäre es gar nicht erst entstanden. Wir Menschen jedenfalls würden sicherlich nicht existieren.

Rüdiger Vaas

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