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Ausgespukt

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Ausgespukt
Wer Gespenster sieht, von Engeln berührt wird oder mit Toten redet, kommt damit nicht immer klar – für manchen gerät das Leben aus den Fugen. Jetzt gibt es Hilfe.

Der Alptraum für Familie Z. begann mit dem Umzug in eine andere Stadt. Zuerst war da nur dieses Buch, daß jeden Morgen an der gleichen Stelle auf dem Boden vor dem Regal lag. Dann fielen eines Nachts im Wohnzimmer alle Bilder von der Wand und der teure Teppich war mit einer feinen Schicht aus schwarzem Staub überzogen. Von da an verging fast keine Woche, in der im Haus von Familie Z. nicht irgend etwas Unheimliches passierte: Mal öffneten sich Türen wie von Geisterhand, mal flackerte die Glühbirne, ging kurz aus und wieder an. Und dann immer wieder dieses unerklärliche Schlangengezischel unter dem Ehebett. Als schließlich im Garten Nacht für Nacht auf wundersame Weise Äste der alten Eiche verschwanden, lagen die Nerven der vierköpfigen Familie blank. Für sie bestand kein Zweifel: Hier waren fremde Mächte am Werk, etwas Böses hatte es auf sie abgesehen. Sie lebten in einem Geisterhaus.

Lange Zeit traute sich Familie Z. nicht, jemandem von den rätselhaften Geschehnissen zu erzählen. Erst als sie sich in ihrem Haus nicht mehr sicher fühlte, suchte sie Hilfe. Offene Ohren fand sie nach langer Suche beim „Sekten-Info“ in Essen, einer Einrichtung, die sich vor allem um Sektenaussteiger und deren Angehörige kümmert. Ein Team von Psychologen bietet dort auch „Beratung und Hilfe für Menschen mit außergewöhnlichen Erfahrungen“ an. Als wissenschaftliches Projekt wurde die Beratungsstelle im Januar 1997 eingerichtet. Das Ziel: Ein praxistaugliches Konzept, um Menschen zu helfen, die – wie Familie Z. – durch die Erfahrung von für sie unerklärlichen Phänomenen nicht mehr weiterwissen.

Solche Einrichtungen sind in Deutschland rar. Einzig in Freiburg gibt es weitere Anlaufstellen für Menschen, die nach mystischen oder spirituellen Erlebnissen Rat suchen. Hier gründete der Psychologe und Arzt Hans Bender 1950 das Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP). Neben der wissenschaftlichen Erforschung paranormaler Phänomene ging es den Forschern von Anfang an auch um Beratung.

Seither schilderten immer wieder ver-unsicherte Bürger ihre „ übernatürlichen“ Erlebnisse. Lange Zeit hörten sich die Wissenschaftler quasi nebenbei die Sorgen der Anrufer an. Sie hatten keine Zeit, sich ausführlich mit der Situation der Ratsuchenden zu befassen. Vor einigen Jahren wurden für eine solche Beratung geschulte Psychologen eingestellt. Seitdem wird erstmals systematisch analysiert, welche Menschen welche Themen, Fragen und Problemen belasten. „Auf dieser Grundlage entwerfen wir Strategien, an denen sich Psychologen in Zukunft orientieren können“, erläutert Psychologe Eberhard Bauer den wissenschaftlichen Hintergrund. Er ist seit 30 Jahren Mitarbeiter am IGPP und heute kulturwissenschaftlicher Leiter des Instituts.

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An diesem Projekt beteiligen sich neben dem IGPP, das dieses Forschungsprojekt finanziell fördert, und dem Sekten-Info in Essen auch Psychotherapeuten der allgemeinen Ambulanz am Psychologischen Institut der Universität Freiburg. „Wir gehen damit einen neuen Weg, weil wir Erkenntnisse der Parapsychologie mit denen der klinischen Psychologie vereinen und so den Betroffenen optimal helfen können“, beschreibt Bauer das neue Fachgebiet „Klinische Parapsychologie“. Das Konzept baut auf Offenheit der Berater für außergewöhnliche Erfahrungen, Expertenwissen über die berichteten Phänomene, Seriosität in Abgrenzung zu Scharlatanen, psychologische Unterstützung hinsichtlich Umgang und Bewältigung der besonderen Erlebnisse. Der Bedarf an professioneller Hilfe ist groß. Repräsentative Umfragen in Deutschland, England, Island, Schweden und den USA ergaben, daß etwa zwei Drittel der Bevölkerung schon einmal übersinnliche, übernatürliche oder magische Erfahrungen gemacht haben. Häufig sind solche Erlebnisse unproblematisch, manche sehen darin sogar eine Bereicherung ihres Lebens. Doch nicht jeder, der Gespenster sieht, kommt damit klar.

Mehr als tausend Anfragen aus dem gesamten Bundesgebiet nehmen die Mitarbeiter beim IGPP und beim Sekten-Info jedes Jahr entgegen. Bei der Hälfte der Ratsuchenden besteht nach Ansicht der Psychologen dringender Handlungsbedarf, weil die Erlebnisse sie aus der Bahn werfen. Eberhard Bauer weiß, daß nur ein Bruchteil der Betroffenen den Weg zum Institut findet: „Manche Mediziner, Psychologen und Seelsorger, die sie um Rat gefragt haben, fühlten sich nicht zuständig oder haben sie nur müde be-lächelt. Mit dem Ergebnis, daß sich die Menschen viele Jahre lang nicht mehr trauten, darüber zu reden und immer tiefer in die Krise rutschten.“

Beim IGPP und den kooperierenden Beratungsstellen fühlen sich viele zum ersten Mal ernst genommen, wenn sie von ihren „ außergewöhnlichen Erfahrun-gen“ berichten. Verzweifelt erzählen sie von Spukphänomenen wie schwebenden Stühlen, sprechenden Teekesseln oder Klopfgeräuschen, von Erscheinungen, Déjà-vu-Erlebnissen oder bedeutungsvollen Zufällen, von Vorahnungen und Träumen, die sich nur wenige Tage später meist auf schreckliche Art bewahrheiten, von Grenzerfahrungen in Todesnähe mit Verlassen des eigenen Körpers und Lichterscheinungen, von Engeln oder anderen Mächten, die sie beim Pendeln, Gläserrücken oder anderen esoterischen Praktiken gerufen haben und nicht mehr loswerden. All diesen Geschichten ist gemeinsam: Sie erschüttern das Weltbild des Betroffenen in seinen Grundfesten. Das Erlebte übersteigt alle bisherigen Alltagserfahrungen. Die Menschen fühlen sich ohnmächtig, bedroht und ausgeliefert. „Viele fragen sich in dieser Situation, ob sie verrückt geworden sind“, sagt Diplom-Psychologe Wolfgang Fach vom IGPP. „Wenn sie von uns erfahren, daß solche Erlebnisse weit verbreitet sind, trägt das oft schon dazu bei, die quälenden Selbstzweifel und Ängste zu lindern.“

Unerheblich ist dabei, ob tatsächlich Gespenster ihr Unwesen treiben oder Prophezeiungen in Erfüllung gehen. Was zählt, ist das subjektive Erlebnis. „Wir glauben unseren Klienten, daß sie wirklich Stühle schweben sehen, Klopfgeräusche hören und Wahrträume haben“, beschreibt Fach den Beginn der Beratung. „Wir lassen uns auf diese Welt ein und tun auch ihre Erklärungsmodelle nicht gleich als Humbug ab, sondern vergleichen sie mit unseren parapsychologischen For-schungsergebnissen. Das schafft eine Vertrauensbasis.“

Erst dann, so Fach, ist es möglich, auch nach nicht-okkulten Erklärungen für die Phänomene zu suchen. Denn die meisten Geschehnisse kommen ohne Geisterwelt aus und ergeben sich aus den Lebenszusammenhängen der Betroffenen. Die unerklärlichen Erlebnisse sind meist Ausdruck psychischer Konflikte. Gerade in persönlichen Krisensituationen sind viele Menschen sensibel für außergewöhnliche Wahrnehmungen: Wenn der plötzliche Tod des Lebenspartners keine Zeit mehr zum Verabschieden ließ, sucht mancher in spiritistischen Sitzungen den Kontakt zu ihm im Jenseits. Bei okkulten Ritualen, etwa dem Gläserrücken, empfängt der Hin-terbliebene dann häufig Nachrichten, die nach parapsychologischer Interpretation allerdings Botschaften seines unbewuß-ten Ichs sind, die – begünstigt durch seinen labilen Zustand – leichter an die Oberfläche dringen. „Es entsteht der falsche Eindruck eines Jenseitskontakts und die Sache bekommt eine Eigendynamik“, beschreibt Bauer den ablaufenden psychologischen Mechanismus. „Der Betroffene hört die Botschaften plötzlich auch, die Stimmen verselbständigen sich und verschwinden nicht mehr. Das Ganze mündet in eine erhebliche psychische Belastung.“

Oft sind auch traumatische Ereignisse in der Vergangenheit Ursache für außergewöhnliche Erfahrungen: Eine junge Frau wurde als Kind immer wieder von ihrem Vater verprügelt. „Seither überprüft sie ihre Umgebung ständig nach Anzeichen drohender Gewalt“, erklärt Wolfgang Fach. „Gleichzeitig verarbeitet sie diese Eindrücke jede Nacht im Schlaf und träumt – häufiger als andere – von Unglück und Tod.“ Die Wahrscheinlichkeit, daß sie vor einem tatsächlichen Unglück ein solches vorher träumt, ist deshalb groß. So war bei ihr der Eindruck entstanden, hellseherische Fähigkeiten zu besitzen. Als eine Freundin mit dem Auto verunglückte, erinnerte sie sich an eine ähnliche Szene aus ihrem Traum in der Nacht zuvor. Seitdem quälten sie Schuldgefühle, weil sie trotz ihrer vermeintli-chen Fähigkeiten den Tod der Freundin nicht verhindern konnte. „Wir haben diese scheinbare Vorahnung entdramatisiert, indem wir ihr eine nicht-magische Erklärung anboten“, sagt Wolfgang Fach. „Durch die Erklärung, daß die Phänomene Folgen ihrer besonderen Lebensumstände sind, haben wir dem Ereignis die mystische Bedeutung genommen und der Frau die Möglichkeit eröffnet, sich bewußt mit ihren Träumen auseinanderzusetzen.“

Nicht immer brauchen die Mitarbeiter eine psychologische Erklärung für die Phänomene. Manchmal reicht technisches Verständnis: Der sprechende Teekessel etwa entpuppte sich als hervorragendes Empfangsgerät für das Radioprogramm, das der Sendemast vor dem Haus ausstrahlte. Und klopfende Poltergeister sind oft nichts anderes als Luftblasen in der Wasserleitung. Wenn weder Technik noch Psychologie für den Spuk verantwortlich zu machen sind, liefert die parapsychologische Forschung mögliche Lösungen.

Für schwebende Stühle etwa bietet sich die Psychokinese an: Nach dieser Hypothese können bestimmte Menschen eine „direkte“ psychische Wirkung auf physikalische Objekte ausüben. „Was im Labor möglich scheint, ist jedoch schwierig auf den Alltag zu übertragen“, meint Eberhard Bauer. Häufig kommen die Wissenschaftler bei der Recherche auch profanen Betrügereien auf die Spur. „Dann kommt wieder die Psychologie ins Spiel, nämlich die Frage, wer hat einen Vorteil davon, daß es spukt“, sagt der Freiburger Parapsychologe. „Meistens ist einer der vermeintlich Betroffenen selbst der Spukverursacher.“

Auch bei Familie Z. legten etliche Indizien den Schluß nahe, daß die älteste Tochter ihre Eltern und Geschwister in Angst und Schrecken versetzte. Als dieser Verdacht aufkam, boten die Psychologen vom Essener Sekten-Info einen Ortstermin im Häuschen der verängstigten Familie an. Solche Hausbesuche sind eher die Ausnahme. „Aber ein Gespräch über die persönlichen Hintergründe der Spukereignisse kam in unseren Räumen nicht zustande, weil die Familie sich da fremd fühlte“, diagnostizierte Georg Müller vom Sekten-Info. In vertrauter Umgebung konnten die Beteiligten ihre Hemmungen leichter überwinden.

Gleichzeitig nutzten Müller und seine Kollegen den Besuch, um den rätselhaften Ereignissen auf den Grund zu gehen – von Gespenstern keine Spur. Dafür kristallisierte sich ein Familienkonflikt heraus: Der Vater war vom neuen Arbeitsplatz – Grund für den Umzug – tief enttäuscht und verbreitete eine anhaltend depressive Stimmung.

Hinzu kam, daß nach seinem Glauben Geister und Dämonen die Geschicke der Menschen lenken und an seiner beruflichen Misere Schuld waren. Die Tochter, die in der neuen Stadt keine Freunde fand und sich sehnlichst zurück in die alte Heimat wünschte, nutzte den Glauben des Vaters und begann ihr gespenstisches Treiben. Das war ihre Art zu kommunizieren, weil sie wußte, daß der Vater diese Sprache verstand. Der Spuk, so hoffte sie, würde ihn zur Rückkehr bewegen.

Kompakt Nicht alles, was wie Spuk anmutet, ist übersinnlich – aber stets ein starkes Erlebnis für den, dem es widerfährt. Wenn die Alltagserfahrung erschüttert wird, fühlen sich viele ohnmächtig und bedroht. Das Freiburger Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene bietet Hilfe für „Menschen mit außergewöhnlichen Erfahrungen“.

Bdw comunintiy Internet Parapsychologische Beratungsstelle www.germany.net/100-144164/ E-Mail: lucadou@uni-freiburg.de

Das Forum Parawissenschaften will wissenschaftliche Untersuchungen zu außergewöhnlichen menschlichen Erfahrungen fördern: Links, Lektüren, Veranstaltungshinweise und Termine sollen dabei helfen. http://www.forum-parawissenschaften.de E-Mail: info@forum-parawissenschaften.de Die Gesellschaft zur wissenschaft- lichen Untersuchung von Parawissenschaften e.V. (GWUP) hat allen unerklärlichen Umtrieben den Kampf angesagt. Eine Adresse für alle, die an eine rein rationale Erklärung der Welt glauben. http://www.gwup.org E-Mail: info@gwup.org

Kontakte Beratung und Hilfe für Menschen mit außergewöhnlichen Erfahrungen: Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e. V. (IGPP) Wilhelmstr. 3a 79098 Freiburg i. Br. Tel. 0761/20721-0, Fax -99 Internet: www.igpp.de E-Mail: beratung@igpp.de Beratung: Tel.: 0761/207 21-52

Ambulanz des Psychologischen Instituts der Universität Freiburg Belfortstr. 18, 79098 Freiburg i. Br. Beratung: Dr. Martina Belz-Merk Tel. 0761/203 30-48, Sekretariat: -51

Sekten-Info Essen e. V. Rottstr. 24, 45127 Essen Tel. 0201/23 46 46, Fax 20 76 17 Beratung: Dipl.-Psych. Gregor Müller, Thomas Gilbrich Tel.: 0201/23 46-46, -48

Parapsychologische Beratungsstelle Hildastr. 64, 79102 Freiburg i. Br. Beratung: Dr. Walter von Lucadou Tel. 0761/772 02

Lesen Walter von Lucadou, Manfred Poser GEISTER SIND AUCH NUR MENSCHEN Was steckt hinter okkulten Erlebnissen? Herder/Spektrum Verlag Freiburg 1997, DM 16,80

Irene Stratenwerth, Thomas Bock STIMMEN HÖREN Botschaften aus der inneren Welt Kabel Verlag, Hamburg 1998, DM 38,–

Kathryn Kortmann / Thomas Müller

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