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Baden statt Bilden

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Baden statt Bilden
Ausspannen am Roten Meer ist heute beliebter als Anstrengen im Tal der Könige. Der Ägypten-Urlauber hat sich gewandelt. Angst vor Terrorismus ist eine der Ursachen.

„Wer nach Ägypten kommt, muss die Pyramiden, das Tal der Könige und das Ägyptische Museum sehen.” Diese goldene Regel, an der sich das ägyptische Tourismusgewerbe Jahrzehnte lang orientiert hatte, gilt nicht mehr. Immer mehr Ägypten-Urlauber fliegen per Charterflug direkt zum Baden und Tauchen nach Hurghada oder Scharm el Scheich am Roten Meer und kehren in die Heimat zurück, ohne auch nur einen flüchtigen Blick auf die Spuren einer der ältesten Kulturen der Menschheit geworfen zu haben. Während die Ägypter selbst ihren Urlaub vor allem an der Mittelmeerküste verbringen, entstehen am Roten Meer neue Urlaubsorte und Beach-Resorts für zahlungskräftige Ausländer. In Marsa Allam wurde ein internationaler Flughafen eröffnet, weitere sollen folgen. Ziel des ägyptischen Tourismusministeriums ist es, möglichst viele Badetouristen auch zu einer Nil-Kreuzfahrt oder auf einen Kulturtrip nach Luxor oder Kairo zu locken. Schon jetzt bucht ein Teil der Pauschaltouristen vom Roten Meer ein- bis zweitägige Kurzreisen nach Luxor oder Kairo. Mit Kulturtourismus im klassischen Sinne hat dies allerdings wenig zu tun. „Diese Leute kommen mit wenig Vorwissen und wollen, dass man ihnen zur Geschichte eines Tempels immer auch eine Anekdote oder einen Witz mitliefert, damit bei ihnen hinterher im Kopf auch etwas hängen bleibt”, erzählt Marguerite Nur, die als Reiseführerin mit einer staatlichen Lizenz in Luxor und Kairo hauptsächlich deutsche Touristen begleitet. Die eigentlichen Kulturtouristen, die mit einem Kunstreiseführer in der Hand und vielen Fragen kommen, betreut sie am liebsten. „Ich bin als Ägypterin stolz auf unsere Kultur und freue mich, dass sich diese Menschen so dafür interessieren”, sagt die Reisebegleiterin. Die Pharaonen-Fans unter den Urlaubern, die zu Hause schon Bücher über Hatschepsut, Echnaton und Ramses II. gelesen haben und die meisten der ägyptischen Götter kennen, seien zwar anstrengende Kunden, da sie viele Fragen stellten, „gleichzeitig sind sie aber die angenehmsten Touristen”. Ganz selten sei in einer Reisegruppe auch mal ein Archäologe oder ein Geschichtsprofessor dabei, der mehr Detailkenntnisse habe als sie selbst, erzählt die studierte Germanistin. Was ihr an den europäischen Urlaubern auch gefällt, ist die stoische Ruhe, mit der sie die nach den Terroranschlägen eingeführten Sicherheitsmaßnahmen über sich ergehen lassen. Am Hatschepsut-Tempel, wo 1997 islamistische Extremisten 57 Touristen töteten, parken die Busse nun weit entfernt. „Seit dem Luxor-Attentat muss man vom Bus zum Hatschepsut-Tempel einen Kilometer weit laufen”, stöhnt Reiseführerin Marguerite, „im Sommer ist das schlicht die Hölle.” Der Kulturtourismus hat in Ägypten eine etwa 100 Jahre alte Tradition. Die Briten waren die Ersten, die in großer Zahl an den Nil kamen, um die Sphinx, Tempel und Pyramiden zu bestaunen. An einigen Orten – wie im Old Cataract Hotel in Assuan mit seinen knarrenden Holztreppen und dem edlen Speisesaal – ist der Geist von damals noch zu spüren, als Reisen nicht Tage, sondern Monate dauerten. Investoren, Hoteliers und Reiseveranstalter haben es in den letzten zwölf Jahren nicht leicht gehabt. Nach dem irakischen Einmarsch in Kuwait 1990 blieben die Besucher genauso aus wie 1993 nach einer Welle von Terroranschlägen gegen Touristen. Völlig zum Erliegen kam der Tourismus 1997 nach dem Luxor-Massaker. Heute sind es die Folgen des 11. Septembers 2001 und die Eskalation im Nahost-Konflikt, die ihm zusetzen. Die Passagierzahlen der staatlichen Fluggesellschaft Egypt Air, die im Jahr ungefähr 190 Millionen US-Dollar in die Staatskasse bringt, gingen direkt nach den Terroranschlägen von New York und Washington um 40 Prozent zurück. Investoren sprechen bereits von einem „alle drei Jahre wiederkehrenden Fluch”. Davon will der stets Optimismus verbreitende Tourismusminister Mamduh el Beltagui nichts wissen. Er lobt stattdessen die im internationalen Vergleich geringe Kriminalitätsrate seines Landes und preist die nach dem Luxor-„ Unfall”, wie das Massaker im ägyptischen Sprachgebrauch genannt wird, eingeführten Sicherheitsmaßnahmen, die auch von europäischen Polizeibehörden gelobt werden. Der Staat hat hier investiert, denn die ägyptische Tourismusbranche ist, neben den Suezkanal- Gebühren, der wichtigste Devisenbringer des Landes: Im Jahr 2000, nur drei Jahre nach dem Horror von Luxor, konnte Beltagui einen neuen Besucherrekord verkünden: Mehr als 5,5 Millionen Menschen machten Urlaub in Ägypten, und von ihnen besichtigte etwas mehr als die Hälfte zumindest einen Teil der berühmten Bauwerke aus der Pharaonen-Zeit. Mit über 800000 Touristen stellten die Deutschen damals die größte Gruppe. Im vergangenen Jahr sank die Zahl der Urlauber zwar deutlich, aber die Situation hat sich inzwischen fast wieder beruhigt. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres strömten 2,7 Millionen Besucher ins Land. Einzig die als besonders spendabel bekannten amerikanischen Touristen trauen sich noch nicht zurück an den Nil.

Anne-Beatrice Clasmann

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