bild der wissenschaft:Gratulation, Herr Prof. Ganten zum neuen Amt als Vorsitzender der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren (HGF). Ärgert es Sie, daß diese Zentren in der Öffentlichkeit gelegentlich als Dinosaurier der Forschungslandschaft tituliert werden?
Ganten:Ja, weil unrichtige Pauschalurteile dieser Art schwer zu korrigieren sind. Die 16 Zentren der HGF sind so unterschiedlich, daß sie eine differenzierte Beurteilung verdienen. Dies gilt um so mehr, als in unseren Zentren Interdisziplinarität längst großgeschrieben wird. Im Gegensatz dazu sind Forschung und Lehre an den deutschen Universitäten noch immer streng nach Disziplinen geordnet. Dort läßt sich der viel gepriesene interdisziplinäre Forschungsansatz nur sehr schwer verwirklichen. Wenn es uns in der Helmholtz-Gemeinschaft gelingt, die dafür nötigen Strukturen und Bedingungen zu optimieren, bin ich guter Dinge, daß unsere HGF-Forschungszentren nicht nur überleben, sondern sogar als Vorbild für eine modern ausgerichtete Forschung gelten können und dieses auch in der Öffentlichkeit so wahrgenommen wird.
bild der wissenschaft:Das Wort Großforschung haben Sie bisher nicht in den Mund genommen. Ist das so zu verstehen, daß man in den deutschen Großforschungszentren gelernt hat, daß Größe nicht automatisch Güte heißt?
Ganten:Eine bestimmte Größe und kritische Masse kann auch günstig sein. Nach wie vor gibt es HGF-Zentren, die große Forschungsmaschinen betreiben – etwa das Deutsche Elektronen-Synchrotron in Hamburg, die Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt oder das Institut für Plasmaphysik in Garching und Greifswald. Hier stellt sich die strategische Diskussion um eine Neuausrichtung erst dann, wenn die zentralen Forschungsgeräte veraltet sind. Bei den Forschungzentren in Jülich und Karlsruhe wurden indessen bereits neue strategische Entscheidungen getroffen, Atomforschung wird dort nur noch in geringem Maße betrieben. Wieder anders ist es beim Deutschen Krebsforschungszentrum oder dem Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin in Berlin-Buch, die medizinische Forschung auch unter molekularbiologischen Aspekten vorantreiben – was früher in der HGF nicht der Fall war.
bild der wissenschaft:Reicht denn die lose Konföderation der Helmholtz-Forschungszentren aus, um die Großforschungseinrichtungen effizient zu managen?
Ganten:Die HGF wächst zusammen. In den vergangenen drei Jahren war dieser Prozeß eindeutig zu spüren. Aus einer Arbeitsgemeinschaft ist eine wirkliche Gemeinschaft geworden.
bild der wissenschaft:Was man wohl der kritischen öffentlichen Diskussion über Wert und Unwert der deutschen Großforschung zu verdanken hat.
Ganten:Gute Entwicklungen werden immer von innen und von außen angestoßen. Gewiß war es schwierig, einige Zentren neu zu strukturieren und ihnen nach dem Ende der Erforschung der Kernenergie neue Inhalte zu geben. Doch zeigen Sie mir eine andere große Organisation, die einen so schwierigen Strukturwandel besser hinter sich bringt als die HGF. Schauen Sie doch nur einmal auf die Universitäten oder auf große Unternehmen der Industrie: Was geht da bei den Umstrukturierungen nicht alles kaputt und wie lange dauern zum Teil die Reformen? Verglichen mit dem, was um uns herum läuft, haben wir in der HGF unsere Aufgabe ganz ordentlich gemeistert. Aber wir sind nicht selbstzufrieden und sind stets für Anregungen dankbar.
bild der wissenschaft:Wie viele Institute sind innerhalb der 16 Forschungszentren der HGF in den letzten fünf Jahren geschlossen worden, wie viele sind entstanden?
Ganten:Wie bei den Max-Plank-Instituten ist die durchschnittliche Lebensdauer eines HGF-Instituts etwa 20 Jahre. Nach Emeritierung des alten Direktors wird neu berufen und häufig ein Wechsel der Arbeitsrichtung vorgenommen. Überdies würden viele Institutsdirektoren Veränderungen noch schneller und radikaler in die Wege leiten. Wir müssen deshalb von administrativen und arbeitsrechtlichen Fesseln befreit werden. Da muß sich die Politik in unserem Land baldmöglichst ändern.
bild der wissenschaft:Sehen Sie keine Notwendigkeit, daß sich auch Wissenschaftler ändern müssen?
Ganten:Die Fesseln sind administrativ und auch mental: Wir haben beispielsweise ein jährliches Budget, das wir bis zum 31. Dezember ausgeben müssen. Das ist unangemessen für uns, weil sich Wissenschaft so nicht planen läßt. Zweitens bekommen wir über Stellenpläne diktiert, welche Positionen wegzufallen haben. Eine dem Projektverlauf angemessene Personalentscheidung können wir daher überhaupt nicht treffen. Drittens sind die Haushalte streng nach Teilmengen gegliedert und können nur begrenzt umgewandelt werden. Das erschwert die flexible Mittelausgabe. Wir wollen die Verantwortung für ein Gesamtbudget und lassen uns dann gerne über die Rechtmäßigkeit der Verwendung kontrollieren.
bild der wissenschaft:Was wollen Sie konkret tun, um die Fesseln zu sprengen?
Ganten:Wir wollen klarmachen, weshalb wir die Befreiung vom Korsett des Regelsystems brauchen und wollen dafür selber mehr Verantwortung übernehmen. Weiterhin müssen wir durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeit dazu beitragen, daß die Gesellschaft den Wert der Forschung deutlicher vor Augen geführt bekommt und Vertrauen in die Wissenschaft entsteht.
bild der wissenschaft:Nun ist Öffentlichkeitsarbeit in der deutschen Wissenschaft kein glanzvolles Kapitel…
Ganten:…so schlecht wie Sie andeuten, ist es um unsere Öffentlichkeitsarbeit nun auch wieder nicht bestellt.
bild der wissenschaft:Die Zahl und oft auch die Qualität der damit betrauten Personen läßt aber doch viele Wünsche offen.
Ganten:Die Zahl der Mitarbeiter ist nicht das entscheidende Maß. Entscheidend ist, daß die Wissenschaftler selber in die Öffentlichkeit gehen. Das muß organisiert sein, vielleicht auch trainiert werden. Überdies bin ich der Meinung, daß der rein rationale Zugang bei der Öffentlichkeitsarbeit nicht reicht. Die ist schon deshalb schwer, weil vieles in der Wissenschaft auch für Fachleute schwer verständlich ist. Deshalb brauchen wir ein zusätzliches Element in der Wissenschaftsvermittlung, das sich der Öffentlichkeit eher erschließt. Wir müssen uns überlegen, wie wir Wissenschaft in die Öffentlichkeit bringen, damit sie von den Medien genauso wahrgenommen und diskutiert wird wie bildende Kunst, Musik, Literatur oder gar Sport.
bild der wissenschaft:Und wie stellen Sie sich den idealtypischen Wissenschaftler vor, der auf dem öffentlichen Parkett erfolgreich agiert?
Ganten:Als jemanden, der sich nicht nur als Lobbyist für die Wissenschaft einsetzt und mehr Geld bei weniger Reglementierung fordert. Sondern auch als eine Person, die sich im gesamtkulturellen Bereich bewegt, die keine Scheu hat, öffentlich als glaubwürdige, kulturvolle Person wissenschaftliche Argumente und Begeisterung für die Ergebnisse der Forschung unters Volk bringt. Albert Einstein war auch da ein Vorbild.
bild der wissenschaft:Glauben Sie wirklich, daß die Wissenschaft in Deutschland über genügend viele Persönlichkeiten verfügt, die auf diese Weise öffentlich auftreten können?
Ganten:Meine Erfahrung ist, daß es viele gibt, die das können und auch gerne täten, aber daß so etwas noch nicht ausreichend in das Selbstverständnis des Wissenschaftlers hineinpaßt, sich als öffentliche Person zu verstehen und Öffentlichkeit geradezu zu suchen. Anders als etwa ein Theaterregisseur oder bildender Künstler sucht ein Wissenschaftler Anerkennung nicht durch öffentliche Kommunikation, sondern über seine kreative Forschung bei Fachkollegen. Andererseits bin ich der Überzeugung, daß immer mehr Wissenschaftler erkennen, wie enorm wichtig ihr öffentliches Auftreten ist, wenn man ein allgemeines kulturelles Bewußtsein für die Wissenschaft schaffen will.
bild der wissenschaft:Um eine öffentliche Wirkung zu erzielen, muß man popularisieren, sich umgangssprachlich ausdrücken. Wer das als Wissenschaftler tut, wird aber nicht selten von den Kollegen ausgegrenzt. Die Folge ist, daß selbst sprachgewandte Forscher eine Scheu vor populären Darstellungen haben.
Ganten:Darauf habe ich eine einfache Antwort: Meiner Erfahrung nach gilt, je besser ein Wissenschaftler ist, desto mehr Mut hat er zur Vereinfachung und desto verständlicher drückt er sich aus. Anders herum gilt: Je mittelmäßiger ein Wissenschaftler ist, desto mehr Angst hat er davor, mißverstanden zu werden.
Prof. Detlev Ganten ist Vorsitzender der Hermann-von-Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren und damit Chef von 22000 Mitarbeitern, verteilt auf 16 Zentren. Der Mediziner und PhD of Philosophy arbeitete bis 1991 am Pharmakologischen Institut der Universität Hamburg und ist seither Gründungsdirektor des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in Berlin (hier auf der Baustelle seines Instituts). Zudem hat er den Lehrstuhl für Klinische Pharmakologie der FU inne – und ist Präsident der Gesellschaft für Naturforscher und Ärzte. Trotz der Ämterhäufungr gilt Ganten (Jahrgang 1941) nicht als machthungriger Forschungsmanager, sondern als geradlinig und aufrichtiger Wissenschaftler.
Wolfgang Hess / Reiner Korbmann