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Bilder vom Rand des Abgrunds

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Bilder vom Rand des Abgrunds
Astrophysiker beweisen: Schwarze Löcher werfen Schatten. Bislang ist ihre Existenz nur indirekt nachgewiesen – durch den Einfluß ihrer Schwerkraft auf ihre Umgebung. Doch neue Computersimulationen zeigen, wie sich die Gravitationsfallen sichtbar machen lassen: Radioteleskope könnten ihren Schatten schon in naher Zukunft beobachten.

Astrophysiker haben einen Schatten des Unsichtbaren fotografiert: die Grenze eines Schwarzen Lochs. Das Bild ist gespenstisch: Inmitten eines düsteren Glimmens herrscht eine kreisförmige Zone der Finsternis. Geheimnisvoll bleckt der Schlund ins Unbekannte dem Betrachter entgegen. Das Schwarze Loch wiegt das Dreimillionenfache unserer Sonne und befindet sich rund 26000 Lichtjahre entfernt – im Mittelpunkt der Milchstraße. Die geheimnisumwitterte Schwerkraftfalle haben Astronomen vom Max-Planck-institut für Radioastronomie in Bonn und vom Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik in Garching schon vor ein paar Jahren nachgewiesen (bild der wissenschaft 11/1997, „Das Schwarze Loch der Milchstraße“). Doch es gelang ihnen nur indirekt: Das Gravitationszentrum verriet sich durch die Bewegung der Sterne, die um es kreisen. Das neue Foto dagegen zeigt die äußere Grenze des Schwarzen Lochs selbst – seinen Ereignishorizont. Er ist ein Ort ohne Wiederkehr. Alles, was hinter den Ereignishorizont gerät, kann dem unersättlichen Mahlstrom nicht mehr entkommen. Selbst Licht ist dafür zu langsam. Doch Photonen außerhalb des Ereignishorizonts schaffen es noch, den Schwerkraftsog zu verlassen und auf krummen Wegen zu uns zu gelangen. Inmitten dieser Strahlungswolke zeichnet sich auf dem Foto kreisförmig der Schatten des Schwarzen Lochs ab. Weil das Schwarze Loch auf sich selbst als Gravitationslinse wirkt und den Weg des Lichts abenteuerlich verformt, erscheint sein Ereignishorizont dabei um das Fünffache vergrößert. Noch ist das Foto allerdings Zukunftsmusik – Science- fiction im besten Sinn. Fiktion, weil es bislang nur als Computersimulation existiert. Aber auch Science, weil sich diese Simulation auf harte Wissenschaft gründet – auf Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie. Heino Falcke vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Eric Agol von der Johns Hopkins University in Baltimore, Maryland, und Fulvio Melia von der University of Arizona in Tucson haben mit einem „Ray-Tracing-Programm“ ausgerechnet, auf welchen verworrenen Bahnen Photonen durch den vom Schwarzen Loch gekrümmten Raum laufen. „Man verfolgt dabei den Weg jedes Photons, das in der Nähe des Schwarzen Loch ausgesandt wird, bis zum Beobachter zurück“, erklärt Fulvio Melia. „Das Programm berechnet dann den Effekt, den das Schwarze Loch auf die Bahn und die Wellenlänge der Photonen hat.“ Das Ergebnis: Der Ereignishorizont zeichnet sich wie ein Schatten ab. „Dieser Begriff beschreibt sehr gut, was man dort sieht“, erläutert Heino Falcke. Kurz nach der Veröffentlichung des Resultats erschien in einer anderen Zeitschrift ein Aufsatz von Andreas de Vries vom Institut für Mathematik der Universität Bochum. „Völlig unabhängig von uns hat er genau den gleichen Begriff ‚Schatten‘ eingeführt“, schmunzelt Falcke. „Erst hat 27 Jahre lang niemand an diesem Thema geforscht, und dann erscheinen innerhalb weniger Tage gleich zwei Artikel!“ Die astronomische Beobachtungstechnik könnte bald ein echtes Bild vom Schatten eines Schwarzen Lochs aufnehmen. Der Trick: Es werden Radioteleskope auf der ganzen Erde zu einem Superteleskop zusammengeschaltet, das viele tausend Kilometer Basislänge besitzt. Die Astronomen sprechen von VLBI – Very Long Baseline Interferometry. Entsprechend scharf sind die Bilder. „Mit der heutigen Auflösung könnten wir in der Entfernung von Los Angeles schon eine Radioquelle mit der Größe eines Senfkorns von Bonn aus sehen“, sagt Falcke. „Jetzt wollen wir noch einen Schritt weitergehen und ein Loch in diesem Senfkorn entdecken.“

Anton Zensus, Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie und Leiter der VLBI-Gruppe, ist zuversichtlich: „ Zu den notwendigen Verbesserungen, um diese Vorhersagen zu testen, könnte es schon in einigen Jahren kommen.“ Kopfzerbrechen bereitet den Astronomen noch, ob das leuchtende Gas in der Umgebung des Schwarzen Lochs die Radiostrahlung verschlucken könnte. Dieses Problem läßt sich aber umgehen, wenn bei kürzeren Wellenlängen gemessen würde, bei denen das Plasma strahlungsdurchlässig ist. „Das würde es schwieriger machen, diesen Effekt von der Erde aus zu beobachten“, schränkt Eric Agol ein, weil die Erdatmosphäre einen Teil der Strahlung bei kürzeren Wellenlängen absorbiert. „Aber mit Satelliten sollte es möglich sein“, hofft Agol. Doch vielleicht reichen erdgebundene Teleskope aus. Die Computer-Berechnungen zeigen jedenfalls, daß sich bei kurzen Radiowellen ein Schatten des Schwarzen Lochs bereits erahnen lassen dürfte. „Bei den augenblicklichen 1,3 Millimeter Wellenlänge des VLBI haben wir wohl kein Glück. Doch bei 0,8 Millimeter sehe ich eine echte Chance“, ist Falcke überzeugt. Wenn ausreichend Beobachtungszeit genehmigt wird – was bei der harten Konkurrenz in der astronomischen Spitzenforschung keineswegs selbstverständlich ist –, hofft er auf ein positives Resultat schon im Verlauf des Jahrzehnts. Die Astronomen am Max-Planck-Institut für Radioastronomie arbeiten bereits daran, VLBI auch bei kürze-ren Wellenlängen möglich zu machen. Heino Falcke ist zuversichtlich: „Mit der weiteren Entwicklung dieser Millimeter-VLBI-Technik sollte es uns bald gelingen, den echten Schatten eines Schwarzen Lochs zu sehen. Das wäre der endgültige Beweis, daß Schwarze Löcher und ihre Ereignishorizonte existieren.“

Rüdiger Vaas

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