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Bitte mit Gefühl!

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Bitte mit Gefühl!
Die Wissenschaft entdeckt den Tastsinn. Neuroinformatiker aus Bochum haben einen Tastsensor gebaut, mit dem man Roboter steuern kann. Und US-Forscher haben einen elektronischen Zeigestock entwickelt, mit dem man Gegenstände auf einem Bildschirm ertasten kann.

Der Zeigefinger fährt über das rauhe Sandpapier. „Die Oberfläche ist glatt”, sagt die Testperson. „Bloß eine Sinnestäuschung”, klärt der Versuchsleiter auf. Die Testperson sieht das betastete Objekt nur auf einem Bildschirm, auf dem es glatt erscheint. Der visuelle Eindruck überlagert die Information aus den Fingerkuppen. Der einfache Versuch zeigt, wie leicht sich unser Tastsinn narren läßt, weil wir dem, was wir sehen und hören, mehr vertrauen. Das hat sich in der Forschung niedergeschlagen: Über den Tastsinn, der gewissermaßen auf der Hand liegt, weiß die Wissenschaft weit weniger als über die anderen vier Sinne.

Biomechaniker, Neurologen und Computerexperten vom „Touch Lab” des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, USA, wollen diesen Mangel beheben. Dabei ist die Erforschung des Tastsinns nur ein Ziel, langfristig wollen die Mitglieder des Tast-Labors Robotern das Fühlen beibringen und virtuelle Objekte greifbar machen. „Fürs Sehen und Hören gibt es sehr ausgefeilte klinische Untersuchungsmethoden”, sagt Dr. Mandayam Srinivasan, der Direktor des Touch Lab. „Für den Tastsinn sind die Tests primitiv, das meiste mußten wir selbst entwickeln.” Der Grund: Das haptische System des Menschen ist sehr komplex. Außerdem war die Nachfrage der Mediziner bisher gering, weil sich Patienten, die zum Beispiel eine Sehnenscheidenentzündung haben, meist mit ihrem Schicksal abfinden. Srinivasan: „Es ist leichter, mit einer kaputten Hand zu leben, als blind oder gehörlos zu sein.”

Für seine Untersuchungen hat Srinivasans Team ein Ultraschallgerät entwickelt, das die Verformungen der Hautschichten beobachtet, wenn die Fingerkuppe einen Gegenstand berührt. Ein Ergebnis: Im wesentlichen ist es die Druckverteilung und damit die Verzerrung der einzelnen Hautschichten gegeneinander, was die Rezeptoren 0,75 Millimeter unter der Haut wahrnehmen und ans Gehirn weiterleiten. Beispiel: Ist die Energie, mit der die Rezeptoren gereizt werden, hoch und auf einen schmalen Bereich konzentriert, fühlt der Finger eine Kante. Srinivasan sieht für das Ultraschallgerät auch medizinische Anwendungen: „Sonnenbrand und Hautkrebs verändern die mechanischen Eigenschaften der Haut. Die könnten sich mit Ultraschall aufspüren lassen.” Überraschend ist das gute Auflösungsvermögen der Sinneszellen in der Haut: Selbst eine Unebenheit von dreitausendstel Millimeter nehmen sie noch wahr. Handelt es sich um eine regelmäßige Oberflächentextur, sind beim Darüberstreichen sogar Unebenheiten bis hinunter zu 75millionstel Millimeter fühlbar. Fast ebenso gut registriert der Tastsinn die Weichheit: Drei Prozent tiefer muß sich eine Oberfläche bei gleicher Kraft eindellen lassen, damit sie als weicher empfunden wird. Auch das haben die MIT-Forscher mit selbstgebauten Apparaturen herausgefunden.

Weil die Erforschung des Tastsinns erst am Anfang steht, haben die Entwickler von Robotern bisher wenig Gehirnkraft investiert, um ihren Kreaturen das nötige Feingefühl beizubringen. Dabei wäre für die Blechknechte, die heute vor allem mechanische Tätigkeiten zum Beispiel in der Montage ausführen, ein guter Tastsinn besonders nützlich. Bisherige Sensoren konnten nur statische Drücke erfassen, zum Beispiel die sogenannten Touchpads, die als Maus-Ersatz in Laptops eingebaut sind. Das ist so, als würde man mit dem Finger auf einen Punkt drücken. Dabei läßt sich aber nicht entscheiden, ob eine Oberfläche glatt oder rauh ist. Das klappt erst, wenn der Finger über die Fläche streicht. Entsprechend müßte ein Tastsensor aus vielen Minisensoren bestehen, die ein dreidimensionales Bild fühlen und Bewegungen wahrnehmen. Diese Lücke hat jetzt der Physiker Peer Schmidt vom Institut für Neuroinformatik der Ruhr-Universität Bochum geschlossen. Schmidt hat einen Sensor entwickelt, der erstmals dynamische Sinneseindrücke mit feiner Auflösung wahrnimmt. Er besteht aus einem Haarbüschel, das feinste Vibrationen auf einen Kondensator überträgt, der mit einer Auswerteelektronik verbunden ist. Der Sensor ist so empfindlich, daß er selbst noch einen herabfallenden Papierschnipsel wahrnimmt.

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Die Bochumer Neuroinformatiker haben mehrere Sensoren auf einem Greifer angeordnet. Mit ihm kann man einen Roboterarm gleichsam an die Hand nehmen. Legt man seine Hand in den Greifer und bewegt sie anschließend etwas, so übermitteln die Haarbüschel diese Bewegung und der Roboterarm folgt in die gewünschte Richtung – eine vielversprechende Möglichkeit, Roboter auch über große Entfernungen hinweg intuitiv zu steuern. Dem Team von Mandayam Srinivasans Touch Lab geht es um eine andere Frage der Mensch-Maschine-Interaktion: Wie können virtuelle Objekte oder Gegenstände, die sich an einem anderen Ort der Welt befinden, gefühlt werden? Eine erste Antwort ist „Phantom”, eine Art elektronischer Zeigestock, der über eine filigrane Mechanik mit kleinen Motoren gekoppelt ist. Er wurde am Labor für künstliche Intelligenz des MIT entwikkelt. Steuert man mit Phantom den Mauszeiger am Bildschirm über einen virtuellen Gegenstand mit rauher Oberfläche, vibriert der Zeigestab. Will man eine schwere Gummikugel durch ein Labyrinth schieben, federt Phantom nach, und man spürt deutlich das Gewicht der Kugel.

Als virtuelle Objekte dienen nicht nur Kugeln oder Würfel, es kann auch eine Leber oder der Blinddarm sein. Phantom wird dann zum Skalpell, mit dem Chirurgen ihre Schnitte üben können. Auch Fernoperationen, bei denen die Ärzte nicht mehr allein auf ihre Augen angewiesen sind, könnten bald Realität werden: Vielleicht schneidet der Arzt in Boston mit Phantom bald in einen Blinddarm, der von einem Sensor in Bochum abgetastet wird.

Bernd Müller

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