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Broadway der antiken Welt

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Broadway der antiken Welt
Das unbekannte Pergamon – Tempel, Theater, Tingeltangel: Die Hochburg des Hellenismus an der kleinasiatischen Küste bot alles: Wissenschaft und Sport, Kult und Kunst. Tag- und Nachtclubs, Schaugrab und Kaufhallen reihten sich an der steilen Hauptstraße von der Unterstadt zur Akropolis.

Die ganze Nacht hat es wie aus Amphoren gegossen – eines der heiß ersehnten Wintergewitter an der Westküste Kleinasiens. Ausgerechnet heute aber muß Eliades hinauf in die Stadt und das bei dem Matsch auf den Pfaden. Er ist, Zeus sei gelobt, Hoflieferant: Pergamons Schloßkoch wäre ohne seine Oliven aufgeschmissen. Das Lasttier hat mit dem tiefen Lehm zu kämpfen, bis am “Eumenischen Tor” die Schlammschlacht ausgestanden ist.

Der Haupteinlaß zum Palastbereich von Pergamon ist benannt nach dem jetzigen König Eumenes II. (197 – 159 v. Chr.), der – gut 150 Jahre nach Alexander dem Großen – sich und seinem Sitz gerade einen Namen macht. Als Feldherr mit viel Feind’ und Fortune ist er Bauherr der erweiterten Wehrmauer, die den Berg wie ein Stehkragen umschließt.

Unter den drei Türmen des Tores putzt Eliades Hufe und Schuhe, schiebt dann stadtfein sein Muli und sich durch den extra engen Eingang, der für Angreifer den sicheren Untergang bedeuten würde. Im Atrium drängen sich neben Gestalten aus Stein jede Menge aus Fleisch und Blut. Wach- und Wechselstuben wuchern, fliegende Banker tauschen griechische Drachmen gegen hier geprägte Münzen, die man gleich um die Ecke wieder loswerden kann – Pergamon präsentiert beim Eingang den Unteren Markt, dank der Großbausucht Eumenes’ II. ein Gourmet-Tempel fürs Gemüse.

Die Hallen der Genüsse läßt Eliades links liegen und genießt die Promenade. Nach der Waterei im Tal ist der Anstieg das reinste Vergnügen – wie wunderbar das Quaderpflaster glänzt. Nicht vor Nässe: Myriaden von Ledersohlen haben die Steine geschmirgelt. Durch Rinnen unter der Gasse ist das Gewitterwasser rasch abgeflossen – ebenso das nächtliche “Eau des toilettes” der Städter. Der Landmann blickt nicht länger zu Boden, und obwohl der Weg stetig steigt, werden Herz und Füße leicht.

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Auch der Archäologe Wolfgang Radt “hebt ab”, obwohl er 2170 Jahre nach Eliades bloß noch den Abglanz der Glitzerantike vor Augen hat. Nur die Hauptstraße ist ganz die alte, jetzt gewienert von den Tretern der Touristen. Der Zwinger des Eumenischen Tors ist heute allerdings Hühnerhof, und in einem Winkel des Unteren Markts haben sich die Wissenschaftler des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) eingenistet. Seit über 100 Jahren arbeitet das DAI in wechselnder Besetzung und Zielrichtung auf der hellenistischen Hochburg. Neben dem Glanz der Paläste und Tempel interessiert sich Radt – seit 20 Jahren Grabungsleiter in Pergamon – vor allem für das Alltagsleben in der antiken Großstadt Pergamon. Das ist naturgemäß mit archäologischen Mitteln schwer zu fassen, aber der DAI-Experte kann inzwischen neben Geschichte jede Menge Geschichten aus den Steinen lesen.

Etwa den Aufstieg Eliades in die feineren Gegenden des machtvollen Pergamon: Das Bäuerlein passiert nach den Markthallen Pergamons Paradebauten, auf die in ferner Zukunft der archäologische Run einsetzen wird: Am Hang oberhalb des Marktes staffeln sich gleich drei Sportstätten – mit Eumenes als königlichem Sponsor wahre Dome des Körperkults. Im untersten Gymnasion üben die Bübchen; die harte Schule für Halbstarke liegt auf der Terrasse darüber; die höchste Ebene erreichen allein Olympioniken.

Flott wie ein Profi erklimmt Eliades die 300 Höhenmeter zur Festung. Ein Stau bremst ihn kurz vor der Burg. Tieflader blockieren die Hauptstraße: Ochsen- und Sklavengespanne zerren gewaltige Marmorblöcke auf Rollhölzern zum Plateau unterhalb des Schloßtempels. Nahe Athenes Tempel und seiner eigenen Residenz treibt der König die Krönung allen Bauschaffens voran – das dem Zeus geweihte Areal, heute bekannt als “Pergamon-Altar” und auf der Berliner Museumsinsel zu bewundern (siehe “Comic in Marmor”, Seite 21).

Mit höchster Götter-Hilfe und einem starken Heer hatte Eumenes vor einer Weile die Galater – brandschatzende Kelten – besiegt; der himmlische Herrscher Zeus bekommt für seine Unterstützung einen Altar. Aus Athen mußten dazu die besten Bildhauer her, die auf Breitwand den mythologischen Kampf der Griechen-Götter wider die Giganten gestalten, die ihnen die Macht streitig machen. Der Fries – 120 Meter – symbolisiert den ewigen Kampf “Gut gegen Böse”. Vor allem aber war er eine trotzig in Stein gehauene “Bildgeschichte” der königlichen Propaganda.

In der Nachbarschaft des olympischen Weltenlenkers wird das Wissen einquartiert, denn der Allround-Regent Eumenes schmückt sich mit einer der raren Bibliotheken. Das erbost die Griechen in Ägypten; war doch Alexandria dank seiner Bücherei zum Kulturzentrum der hellenistischen Welt avanciert – und das will die Stadt am Nil mit aller Macht auch bleiben. Um die Konkurrenz in Übersee kleinzukriegen, kappen die Ägypter den Export von Papyrus. In der Not wird in Pergamon das Pergament erfunden – mit Schriftrollen aus Tierhäuten schwillt der Bestand der Pergamon-Bibliothek schnell auf 200000 lederne Folianten an.

Nach getätigten Geschäften und die Taschen voller Drachmen biegt Eliades von der Hauptstraße ab, die den Oberen Markt zweiteilt. Am Imbißstand hoch über der Westwand des Berges nippt er an einer dünnen Suppe und sieht sich am Panorama satt: Unten im Tal breitet sich der Bereich des göttlichen Medikus Asklepios aus, Heil- und Kultstätte in einem. Vom großen Stadttheater zu seinen Füßen erspäht der Olivenbauer nur Foyer und Bühne, da sich die hölzernen Sitzreihen der Ränge in den Steilhang schmiegen.

Vom Meer in der Ferne zieht das nächste Unwetter herauf, Eliades tritt hastig den Heimweg an. Durch Häuserschluchten schlittert er abwärts. Zwischen den Reihenvillen fängt sich der dichte Rauch von Holzfeuern. Pergamons Obere Tausend wandeln in ihren Wohnhallen auch winters warm, weil Becken im Keller die Böden heizen. Alle Tage aalt man sich im Bade, fließt doch das Wasser in Massen den Berg hinauf. Quellen im Hintergebirge strömen in dicke Tonleitungen, drei an der Zahl und stolze 45 Kilometer lang. Auf der letzten Erhebung vor dem Bestimmungsort preßt sich der starke Strahl in enge Bleirohre und drückt sich so selbst in die Höhe. Die geniale Installation dient reich und arm, denn auch der niedere Stand kommt in den Genuß der technisch meisterhaften Wasserversorgung.

Auf halber Strecke abwärts hält Eliades an einem Brunnenhaus, um den Maulesel ausgiebig zu tränken. Der Bauer kann derweil seine Augen weiden, diesmal an der Aussicht gen Süden. Sein Blick bleibt an einem Neubau direkt unter ihm hängen, ein Anwesen von seltener Raffinesse: Innenhöfe bilden luftige Fluchten, die Trakte verschachteln sich zu einem grandiosen Komplex. Der Olivenbauer staunt ob der Pracht.

Zwei Jahrtausende später steht hier der DAI-Archäologe Radt vor einem Rätsel. Rund um die öffentliche Wasserstelle ist sein Revier: Wie der gewöhnliche Sterbliche damals lebte und was er trieb, treibt den Wissenschaftler um. Doch statt der erwarteten Katen fand Radt kleine Paläste, “ganz das Gegenteil von sozialem Wohnungsbau”. Ließen seine Vorgräber nur Kunstgeschichte gelten, hat sich Wolfgang Radt der Baugeschichte verschrieben. Auf seinem Terrain hat er vollen Erfolg, im Ausschnitt kann er die Stadtentwicklung über Jahrhunderte nachzeichnen.

Olivenbauer Eliades liegt bereits 300 Jahre unter der Erde, da macht ein Nachfahr die Liefertour. Die Hauptstraße ist wie eh und je, doch Optik und Politik Pergamons haben sich geändert. Attalos III., letzter Sproß der Pergamon-Dynastie, vererbte sein Reich 133 v. Chr. an die Römer. Wenngleich die Lateiner das Sagen haben, wird in Asias Provinzkapitale weiter griechisch gesprochen. Die Hellenen können nicht klagen, aber die Bibliothek hat schmählich unter der Wende zu leiden. Der römische Feldherr Antonius verschickt die gesammelten Schriften 41 v. Chr. nach Ägypten und wickelt damit die dortige Königin Kleopatra ein: Zu Zeiten Cäsars – Vorgänger im Amt und Bett Kleopatras – war die Bücherei von Alexandria verbrannt. An Eumenes’ Prunkstück, dem Altar mit dem Fries des Götter- und Gigantenkampfes, schmiß man kurz vor dem Abschluß die Meißel, doch bei den Dimensionen fallen die paar fehlenden Figuren nicht ins Gewicht. Die Architekten vom Tiber segnen den Altar in dieser Form ab. Die anderen Baulichkeiten Pergamons dagegen überladen sie mit ihrem römischen Rokoko. Alles wird kolossal in der Stadt – auch die Selbsteinschätzung: Weltliche Herrscher sind nun Göttern gleich; der römische Kaiser Trajan protzt mit einem Tempel auf dem Gipfel. Dafür wird die Bergkuppe planiert, gewaltige Gewölbe müssen den – Säulen gewordenen – Größenwahn stützen. Das “Trajaneum” fängt noch heute jeden Blick.

Pionier dieser Art Imponiergehabe war ein Bürger. Diodoros Pasparos spendierte sich bereits zu Lebzeiten ein Kriegerdenkmal – dabei war er allenfalls ein Held im Geldausgeben. Der geschätzte Mäzen kaprizierte sich auf ein Mausoleum aus Marmor mitten in der Stadt, just in Radts Areal. Was der Archäologe heute bruchstückhaft entdeckt, sieht Olivenbauer Eliades II. noch in ganzer Pracht:

Auf seinem Rückweg hat der einfache Mann Muße, die Mustergruft eingehend zu besichtigen. Die Reliefs im Saal zeigen die Wunschbilder des Möchtegernkämpen. Da plustert sich ein Kampfhahn zur Siegerpose, Schwert und Lanze stechen hervor, ein Waffenrock a la mode ist Blickfang der Grabgalerie. An die letzte Ruhestätte stößt eine Öl- und Weinhandlung, deren Hinterstübchen Elysium für Zecher ist. Im Etablissement dahinter ist der Schwips geheiligte Pflicht. Im Morgenland macht schon ein Messias mit Maß von sich reden, da läßt man in Hellas den alten Trunkengott Dionysos wieder auferstehen. Zum Ritual gehören Alkoholexzesse – erschuf er doch den Wein – und natürlich Orgien.

Eliades der Jüngere entrinnt der Wein- und Weib-Meile erst am Brunnenhaus – jetzt per Aquädukt gespeist – und genehmigt sich lieber einen Schluck Wasser. Ihn berauscht der Anblick eines Stadtsitzes, der schon seinen Ahn begeisterte. Mit den Jahrhunderten ist der Hangbau noch schöner geworden, und Gemälde aus Mosaik schmücken gar die Böden.

Wolfgang Radt gehen fast die Augen über, als er das pompejische Ambiente entdeckt. Lange rätselte er über die Funktion dieses “Peristyl”-Hauses, so benannt nach den Säulenarkaden im zentralen Innenhof. Selbst eine Großfamilie würde sich hier verlieren; Götterhäuser hingegen hatten nie und nimmer Badezimmer.

Ein Stein mit Inschrift hilft dem Ausgräber aus der Erklärungsnot: “Prytaneum”. Das war gemeinhin die Versammlungsstätte des Ältestenrates, hier aber feudaler Club für lustvolle Greise. Nach den Debatten konnte man im Bade kannegießern oder in der Lobby Meinung und Beine vertreten.

Archäologe Radt will das Pergamon von einst nicht nur vor seinem geistigen Auge haben – er initiierte eine Teilrekonstruktion. So können auch späteuropäische Nachfahren des Olivenbauern einen Eindruck vom architektonischen und kultischen Höhepunkt hellenistischer Pracht- und Machtentfaltung mit nach Hause nehmen:

Das Trajaneum – “schlechthin Ausrufungszeichen römischer Macht” (Radt) – läßt das Ausmaß früher Vermessenheit faßbar werden. Diodoros’ Grabsaal ist wie neu. Der Ratspalast der Senioren kann sich bald wieder sehen lassen.

Studenten des Karlsruher Instituts für Baugeschichte machten sich viele Gedanken, und bauen ein Modell, wie man die 700 Quadratmeter der Seniorenresidenz formschön überdachen kann. Ein Würzburger Restaurierungsbetrieb saniert akribisch das Interieur: Mit einem sanften Strahlmittel – fein gemahlenen Walnußschalen – entsintern Britta und Peter Pracher den Stuck und kleben ihn strahlend rein auf Aluminiumwaben, damit der Verputz die künftigen Jahrtausende möglichst unbeschadet überdauert.

Nicht nur das Pergamon im Zenit interessiert Wolfgang Radt. Wann die Stadt angefangen hatte, eruierte er zusammen mit Dr. Dieter Hertel von der Kölner Universität. Schon im achten Jahrhundert v. Chr. wurde der Berg bezogen und knapp unter der Kuppe mit dem ersten Mauerkranz umgeben. Um 300 v. Chr. verschanzte sich ein gewisser Philetairos mit einem Schatz in diesem Felsennest: Der makedonische Offizier war hierhin abkommandiert worden, um die sagenhafte Kriegsbeute von 234000 Kilogramm Silber zu bewachen. Damit hatte er genügend Startkapital für ein richtiges Reich, als er 283 v. Chr. seinen Treueeid vergißt und Selfmade-König von Pergamon wird.

Die spätere Hochburg des Hellenismus verkommt mit dem Niedergang des Römischen Reiches und wird Fluchtburg im Mittelalter. Ein Berg des Jammers, wo nun die kleinen Leute aus dem Tal Schutz vor den Sarazenen suchen. Um ganz sicher zu sein, baut man noch eine Mauer und demontiert dafür Eumenes’ Altar. Zum Glück für die Nachfahren werden die Reliefs mit den Bildplatten nach innen verbaut. Nur so blieben sie über die Jahrhunderte erhalten.

Durch die Touristenscharen an der kleinasiatischen Küste bahnt sich Wolfgang Radt einen Weg. Nach langem Tagwerk geht er auf der antiken Hauptstraße heim ins moderne Grabungshaus. Die Türkei ist seine zweite Heimat geworden: Er ist einer der beiden Leiter der Istanbuler DAI-Dependance und seit mehr als 20 Jahren Herr übers alte Pergamon. Sein Forschungsfeld ist gut bestellt, was das sommerliche Abendlicht herausstreicht: Die untergehende Sonne läßt das Trajaneum rosa und riesig erscheinen und beglänzt Diodoros’ Marmorsaal.

Pergamons kurze Blüte

7. Jahrhundert v. Chr.: Erste Besiedlung und erste Stadtmauer aus unbehauenen Steinen 6. bis 4. Jahrhundert v. Chr.: Pergamon unter persischer Herrschaft 334 v. Chr.: Alexander erobert Persien, damit auch Pergamon 301 v. Chr.: Philetairos, Vertrauter des Diadochen Lysimachos, hütet den Staatsschatz 283 v. Chr.: Philetairos erklärt sich zum König von Pergamon und begründet die Dynastie der Attaliden. Philetairos 281 – 263; Eumenes I. 263 – 241; Attalos I. 241 – 197; Eumenes II. 197 – 159; Attalos II. 159 – 138; Attalos III. 138 – 133 133 v. Chr.: Attalos III. vererbt sein Königreich den Römern. Pergamon wird Hauptstadt der römischen Provinz Asia mit 150000 Einwohnern. 3. Jahrhundert n. Chr.: Niedergang des römischen Reichs – und damit Pergamons 8. Jahrhundert n. Chr.: Byzantinische Festung 1878: Beginn der deutschen Ausgrabungen in Pergamon

Waltraud Sperlich

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