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Brüsseler Gen-Pingpong

Allgemein

Brüsseler Gen-Pingpong
In der Frage, ob und wie gentechnisch veränderte Nahrungsmittel gekennzeichnet werden sollen, muß der Ministerrat in Brüssel bis Mitte April zu einer Entscheidung kommen.

Seit Jahren fordern die Verbraucher in der EU, daß über Gentechnik im Essen umfassender informiert wird. Doch geschehen ist trotz vieler Ankündigungen bis heute nichts. Im November 1996 hatten sich Europaparlament und Ministerrat nach jahrelangem Streit endlich auf einen Kompromiß geeinigt, nachdem die Firmen Monsanto und Novartis bereits gentechnisch veränderte Sojabohnen und Mais importierten.

Die Mehrheit des Parlaments in Straßburg focht für eine umfassende Kennzeichnung von Gentechnik im Essen, EU-Kommission und Ministerrat wollten sie – ähnlich wie die Industrie – nur in möglichst eingeschränkter Form. Am 15. Mai 1997 trat dann endlich die Novel-Food-Verordnung in Kraft, die EU-weit die Zulassung und Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel regelt – theoretisch.

Artikel 8, Absatz 1, der Verordnung legt fest, daß alle Lebensmittel, die in ihrer Zusammensetzung, ihrem Nährwert oder ihrem Verwendungszweck nicht mit bisherigen Lebensmitteln „gleichwertig“ sind, zu kennzeichnen sind. „Juristen sagen, die Verordnung wimmelt nur so von unbestimmten Rechtsbegriffen“, kritisiert Marianna Schauzu vom Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) in Berlin.

Allein für das Wörtchen „gleichwertig“, findet jede Interessengruppe ihre eigene Lesart. Christiane Toussaint vom Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde, dem Branchenverband der Industrie in Bonn: „Die Zusammensetzung eines Lebensmittels ist für uns dann nicht mehr gleichwertig, wenn ein neues Eiweiß oder eine neue Fettsäure darin auftaucht.“ Das sieht Dagmar Roth-Berendt, SPD-Abgeordnete in Straßburg, ganz anders: „Wird nur ein einziger neuer Gen-Schnipsel im Lebensmittel nachgewiesen, muß es gekennzeichnet werden.“

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Verwirrend ist auch die Formulierung, daß die Neuartigkeit eines Lebensmittels durch eine „angemessene Analyse“ der vorhandenen Daten zu ermitteln ist. Dazu die Abgeordnete der Grünen im Europaparlament, Hiltrud Breyer: „Selbst Vertreter der Kommission sagen, sie wüßten nicht, wie das zu interpretieren sei.“

Die Verordnung hat viele Löcher: Aromen, Enzyme und Zusatzstoffe, bei deren Herstellung Gentechnik mittlerweile eine große Rolle spielt, fallen per se nicht darunter. „Gen-Soja“ und „Gen-Mais“ ebenfalls nicht, weil sie bereits vor Mai 1997 auf dem Markt waren.

Um doch noch eine Kennzeichnung von Mais und Soja zu erreichen, sattelte die Kommission vergangenes Jahr eine Extraverordnung auf die „Etikettierungsrichtlinie“. Doch mangels exakter Regelungen zum Wann, Wie und Wo wurde daraus nichts. Diese sogenannte Durchführungsbestimmung fehlt bis heute.

Die Kommission hatte dem „Ständigen Lebensmittelausschuß“ drei Varianten für eine solche Bestimmung vorgelegt, von denen nur eine überlebte: Enthält das Produkt DNA oder neue Eiweiße, muß aufs Etikett: „Hergestellt mit gentechnisch verändertem Soja oder Mais“. Doch auch dieser Vorschlag fand im Ständigen Lebensmittelausschuß am 15. Januar 1998 keine Mehrheit.

Damit ist der Ministerrat am Zuge. Nur wenn er sich einstimmig gegen den Vorschlag der Kommission ausspricht, geht das ganze Verfahren retour. Sonst ist der Vorschlag Gesetz. Ein Haupteinwand im Ausschuß: Es sei immer noch nicht geregelt, wie der Nachweis von fremden Genen und Eiweißen in der Praxis zu führen ist. DNA kann in Lebensmitteln mittels der sogenannten Polymerase-Kettenreaktion, PCR, sehr gut aufgespürt werden – vorausgesetzt, die zuständigen Lebensmitteluntersuchungsämter wissen, nach welchen Genen sie fahnden müssen. Für den Nachweis von fremden Eiweißen gibt es dagegen keine verläßlichen Methoden.

Paradoxerweise halten sowohl Befürworter als auch Gegner der Gentechnik in Lebensmitteln die PCR-Technik für zu empfindlich. Wenige Moleküle Fremd-DNA in einem Produkt reichen theoretisch aus, um bereits von der Meßmethode aufgespürt zu werden. Die könnten aber auch einfach das Ergebnis einer Verunreinigung beim Transport sein. Marianna Schauzu vom BgVV: „Es muß unbedingt ein Schwellenwert festgelegt werden, ab dem zu kennzeichnen ist.“

Ein weiterer Kritikpunkt im Ausschuß: Bei Mischung von gentechnisch verändertem Soja und Mais mit konventionellen Produkten reicht der Hinweis: „Kann gentechnisch verändertes Soja bzw. Mais enthalten“. Davon hätte der Kunde im Supermarkt gar nichts.

Bis eine Lösung gefunden ist, bleibt alles beim alten: Werden gentechnisch veränderte Lebensmittel heute neu zugelassen, müssen sie im Zweifelsfall nicht gekennzeichnet werden. Dagmar Roth-Berend wirft Martin Bangemann, als Leiter der Generaldirektion III zuständig für das Gesetzgebungsverfahren, vor, die Novel-Food-Verordnung zu hintertreiben.

Unerwartete Schützenhilfe erhält die Kommission ausgerechnet von einer ihrer größten Kritikerinnen. Hiltrud Breyer von den Grünen hatte mit ihrer Fraktion den Kompromiß zur Verordnung im Dezember 1996 abgelehnt – unter anderem weil ihr die Durchführungsbestimmungen fehlten. Breyer: „Heute regen sich in Straßburg alle auf, daß die Verordnung nicht wasserdicht ist und daß die Kommission sie sabotiere.“ Doch Parlament und Ministerrat hätten die Verordnung gemacht, nicht die Kommission. Breyer: „Das Parlament hat geschlafen.“

Bernhard Epping

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