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Countdown auf See

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Countdown auf See
Eine Ölplattform soll als Startrampe für Raketen dienen. Die amerikanische Firma Boing möchte Nachrichten- und Forschungssatelliten nicht mehr vom Festland aus starten, sondern von einer ausgemusterten Ölplattform im Ozean auf kürzestem Weg in den Orbit befördern.

Cape Canaveral, Kourou, Baikonur – die bekannten Weltraumbahnhöfe sollen in den nächsten Jahren Konkurrenz bekommen. Nach den Plänen des amerikanischen Luft- und Raumfahrtkonzerns Boeing werden Satelliten künftig von schwimmenden Plattformen gestartet.

Neu ist die Idee vom Countdown auf See nicht. Am 26. April 1967 hob vor der ostafrikanischen Küste ein italienischer Meßsatellit mit einer amerikanischen Scout-Rakete ab. 1994 griff Juri Semjonow, Chef der russischen Raketenfirma Energija, die Idee wieder auf, um neue Aufträge für sein Unternehmen an Land zu ziehen. Die passende Startrampe für seine Zenit-Rakete hatte er schon gefunden: die Ölbohrplattform “Ocean Odyssey”, die 1988 vor der schottischen Küste in Brand geraten war und seitdem auf einer Werft der norwegischen Firma Kvaerner vor sich hin rostete.

Selbst den Bohrturm-Spezialisten erschien der Plan zunächst utopisch, eine ausgebrannte Bohrinsel für Raketenstarts umzurüsten. Doch die Russen konnten die Norweger überzeugen – und auch den amerikanischen Flugzeugkonzern Boeing, der mit 40 Prozent Beteiligung in das 500-Millionen-Dollar-Projekt einstieg. Boeing koordiniert in dem internationalen Joint-Venture die Vermarktung, den Bau der Infrastruktur und die Umrüstung der Startplattform.

Nach dem vorliegenden Konzept besteht Sea-Launch aus vier Komponenten:

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Die ausgebrannte Ölplattform, die derzeit von Kvaerner in Stavanger umgerüstet wird, ist 132 Meter lang, 66 Meter breit und schwimmt auf zwei 133 Meter hohen Pontons. Ihr Gewicht beträgt 31000 Tonnen, geflutet sind es sogar 46000 Tonnen – dann ragt sie noch 42 Meter aus dem Wasser. Angetrieben wird die Plattform von Motoren mit einer Gesamtleistung von 240000 PS. Neben Räumen für eine 20köpfige Mannschaft gibt es auf der Startrampe Tanks für Kerosin und flüssigen Sauerstoff sowie Hebeeinrichtungen für die Zenit-Rakete.

Die 65 Meter hohe Zenit-Rakete wird von der ukrainischen Firma NPO-Juschnoje gebaut, die russischen Energija-Ingenieure liefern die Kontrollsysteme sowie eine spezielle dritte Stufe. Die Rakete wird auf der Plattform vollautomatisch betankt, aufgerichtet und vom Kontrollschiff aus gestartet.

Die einzige vollständige Neukonstruktion im Sea-Launch-Projekt ist das Kommando-schiff, das auf der Kvaerner-Werft im schottischen Glasgow gebaut wird. Im Rumpf beherbergt es eine große Halle, in der die Zenit-Raketenstufen gelagert und zusammengebaut werden. Auf den Oberdecks befinden sich die Wohnräume der Mannschaften und alle Kontrollräume für den Start. Das Kommandoschiff mit seinen 30000 Bruttoregistertonnen ist knapp 220 Meter lang und hat eine Reichweite von 18000 Seemeilen. 250 Mannschaftsmitglieder – und beim Start auch Gäste – finden an Bord des Schiffes Platz.

In Long Beach, Kalifornien, wird zur Zeit eine Basisstation errichtet. Hier werden die Wartungs- und Versorgungsarbeiten vorgenommen und die Satelliten und Raketen startklar gemacht.

“Was wir tun, hat vor uns noch niemand versucht”, erklärt Elliot Pulham, der Sprecher des Sea-Launch-Projekts. “Die Plattform ist mobil und wird trotzdem selbst bei fünf Meter hohen Wellen stabil sein. Wir können unseren Startplatz an den jeweils günstigsten Ort auf den Weltmeeren verlegen, zum Beispiel zum Äquator, der den kürzesten Weg in eine Umlaufbahn bietet.”

Selbst schlechtes Wetter soll laut Boeing kein Problem sein. “Wir haben die potentiellen Startgebiete studiert und herausgefunden, daß wir mit einer Wahrscheinlichkeit von 98 Prozent starten können”, versichert Elliot Pulham.

Vibrationen durch die Kräfte der Raketentriebwerke sind laut Pulham ebenfalls kein Problem. Die Zenit habe im Vergleich zur Ariane oder zu einer Titan-Rakete einen so hohen Startimpuls, daß Vibrationen oder Schockwellen erst gar nicht aufträten. Pulham: “Die Zenit-Rakete steht nach dem Zünden nicht auf der Rampe und erschüttert den Starttisch, sondern sie verläßt die Startrampe sofort. Es gibt keine Schäden auf der Plattform. Daß ein Raketenstart stattgefunden hat, merkt man höchstens daran, daß die Plattform noch heiß ist.”

Während des Starts ist die künstliche Insel aus Sicherheitsgründen unbemannt. Die Startvorbereitungen werden vom Kommandoschiff aus kontrolliert, das in einigen Meilen Entfernung schwimmt.

In diesem Jahr werden im russischen Hafen Vyborg auf der umgerüsteten Bohrinsel Montage und Startkontrolle geübt. Verlaufen die Tests erfolgreich, wird Ocean Odyssey im Frühjahr 1998 zum ersten Startplatz bei den australischen Christmas-Inseln im Indischen Ozean auslaufen. “Wir wollen bis zu drei Raketen gleichzeitig ins Meer transportieren – eine auf der Plattform und zwei im Kommandoschiff”, sagt Elliot Pulham. “Zunächst planen wir sechs bis acht Starts pro Jahr.”

Bemannte Raumflüge oder Versorgungsflüge zur geplanten internationalen Raumstation Alpha sind von See aus nicht möglich. Doch bei den Telekommunikations-Satelliten rechnet man bei Boeing mit guten Geschäften – 18 Starts seien gebucht, die meisten von Hughes Aircraft. “Unser Markt sind die großen Telekommunikations-Satelliten mit bis zu fünf Tonnen Gewicht, die wir dank unserer flexiblen Startrampe sowohl in niedrige Umlaufbahnen als auch in geostationäre Bahnen schießen können.”

Der Startplatz im Indischen Ozean hat tatsächlich Vorteile: Von dort lassen sich Satelliten ohne Umwege in den Orbit hieven. Die meisten Startplätze auf dem Festland liegen ungünstiger, mit Ausnahme des europäischen Weltraumbahnhofs in Kourou in Französisch-Guayana. Der Bau dieser Anlage hat bislang über sieben Milliarden Mark gekostet. Die Startplattform auf See soll dank geringer Infrastruktur, niedrigen Personalkosten und hoher Automatisierung viel billiger sein. Preis pro Abschuß: 50 Millionen Dollar. Bei der ESA in Kourou ist ein Start mit der Ariane-4 doppelt so teuer, dafür kann die Europa-Rakete zwei Satelliten gleichzeitig ins All tragen.

Es könnte also sein, daß Boeing die Kosten schönrechnet, um im kommerziellen Raumfahrtgeschäft Fuß zu fassen. Der langfristige Erfolg hängt aber auch von der Zuverlässigkeit ab. Vor allem der ukrainische Raketenhersteller gilt als Schwachpunkt. Dort wurde in den letzten Jahren offenbar geschludert, die Fehlstarts häufen sich. Auch die Reise der Ocean Odyssey in den Indischen Ozean ist nicht ohne Gefahren. Die Startplattform muß das stürmische Kap Horn umrunden, weil sie nicht durch den Panama-Kanal paßt.

Auch wenn viele Fragen offen sind – bei der Europäischen Raumfahrt-Agentur ESA nimmt man Sea-Launch ernst. Dennoch sei das Projekt trotz des Fehlschlags mit Ariane-5 keine Konkurrenz für die Marktstellung der Europäer im Raketentransport-Geschäft, ließ die ESA verlauten.

Gerd-Peter Schulze

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