Der Münchener Biochemiker Ernst Ludwig Winnacker bezieht in seinem neuen Buch Stellung zu zentralen Punkten in der Debatte um die Gentechnik. Er fordert eine Güterabwägung im Einzelfall anstelle einer pauschalen Verdammung in Bausch und Bogen. Und er weist auf den Widerspruch hin, daß die Mehrzahl der Deutschen Umfragen zufolge Gentechnik zwar grundsätzlich ablehnt, die somatische Gentherapie aber befürwortet. Dabei schont er seine eigene Zunft nicht. Die Wissenschaftler hätten es versäumt, rechtzeitig aufzuklären, um so die Basis für Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu schaffen.
Der Leser erhält zudem eine Einführung in Fortschritte und Rückschläge bei der somatischen Gentherapie und erfährt, warum selbst eine in Zukunft mögliche gentherapeutische Bekämpfung von Krankheiten die Menschen statistisch gesehen nicht viel älter werden läßt als heute. Moses brachte es angeblich auf das biblische Alter von 120 Jahren – und das ist auch die biologische Schallgrenze.
Bemerkenswert ist Winnackers vehementes Plädoyer gegen eine Keimbahn-Therapie, das heißt die genetische Veränderung von Keimzellen beim Menschen: “Das halte ich für verwerflich.” Eindringlich ist auch sein Appell für einen Erhalt der Artenvielfalt. Die Entdeckung der Genetik, daß alle Lebewesen – vom Menschen bis zur Fliege – eine Fülle von Genen miteinander teilen, mache den zunehmenden Verlust von Arten besonders schmerzlich: “Mit jeder aussterbenden Art geht eben auch ein Stück von uns selbst verloren.”
Wenig Gnade finden vor seinen Augen militante Verfechter von biologisch korrekter Nahrung. Denn er hält High-Tech bei der Lebensmittel-Produktion – an erster Stelle die gentechnische Entwicklung neuer Hochleistungssorten – für unverzichtbar im Kampf gegen den Hunger in der Welt. Der Einbau von Resistenzen in wichtige Kulturpflanzen verspreche zumindest eine Atempause im Wettlauf mit den Pflanzenschädlingen. So ganz nebenbei erläutert Winnacker, warum die Nachzüchtung von Dinosauriern à la Jurassic Park nicht funktionieren kann – was ihn natürlich nicht davon abhält, den beteiligten Wissenschaftlern augenzwinkernd fach-liche Ratschläge zu geben. Eier von Vögeln seien auf jeden Fall besser geeignet als die von Krokodilen. Risiken der Gentechnik gibt es für Winnacker letzten Endes nur dort, wo es um den Menschen geht. Er ist allerdings davon überzeugt, daß die Gentechnik der Züchtung von Pflanzen und Tieren generell “eine neue qualitative Dimension verleiht” – wenn sich auch die globalen Veränderungen bislang nicht vorhersehen ließen. Es dürfte in Winnackers Sinne sein, wenn man seine Standpunkte nicht unkritisch übernimmt. Sie geben Anlaß zur Diskussion und zum Dialog, wie er ihn sich wünscht. So gesehen ist sein Buch eine rundum lehrreiche und obendrein unterhaltsame Lektüre.
Ernst Ludwig Winnacker DAS GENOM Eichborn Verlag Frankfurt,1996, 150 S. DM 24,80
Bernhard Epping