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Das Kader-Kind

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Das Kader-Kind

Einen Grossversuch zur Krippenerziehung lieferte die deutsche Teilung. Als es mit der DDR 1989 zu Ende ging, besuchten dort 65 Prozent der Kinder im Alter von zwei und drei Jahren eine Krippe – das war weltweit Spitze. Am anderen Ende der Weltrangliste stand die alte Bundesrepublik mit Krippenplätzen für gerade mal drei Prozent der Kinder. Fast zwei Drittel dieses bescheidenen Angebots entfielen zudem auf West-Berlin, Hamburg und München.

Konservative westdeutsche Experten fanden das ganz richtig so, denn: „Die Kinder erleiden in der Kinderkrippe schweren Schaden für ihre psychische und physische Gesundheit, der kaum reparabel ist“, behauptete der Gutachter Johannes Niermann 1991 im zuständigen Bundestagsausschuss. Demnach hätte die DDR lauter Psycho-Krüppel hinterlassen müssen, was offensichtlich nicht zutrifft. Neurotische Probleme etwa „unterscheiden sich in nichts von dem, was man aus anderen Ländern kennt“, kommentiert der Psychologe Hans-Dieter Schmidt. Der Professor an der Berliner Humboldt-Universität war nicht gerade Dissident, hielt aber so viel Distanz zur offiziellen Erziehungspolitik, dass er sich verschiedentlich ein Ausreiseverbot einhandelte.

Karl Zwiener, der in der DDR als Fachpsychologe der Medizin arbeitete, kommt sogar zu dem Schluss: Je mehr Zeit die Kinder täglich in der Krippe verbrachten, desto besser entwickelten sie sich. Das ergab ein von Zwiener konstruierter Reifetest, in dem es beispielsweise darum ging, ob das Kleinkind schon Zweiwortsätze beherrschte.

Seine Daten von fast 10 000 Kindern sammelte Zwiener kurz vor der Wende – nach Schwierigkeiten mit der Obrigkeit. Die nämlich hielt Entwicklungstests für eine bürgerliche Reminiszenz. Besonders suspekt war ihr etwa die Frage, ob ein Kleinkind schon Gegenstände mit „mein“ bezeichne. Auswerten konnte der Wissenschaftler seine Daten zu DDR-Zeiten nicht mehr. Das Ergebnis erschien 1994 als Anlage zum Familienbericht der Bundesregierung.

Schlecht entwickelten sich laut Zwiener allerdings die so genannten Wochenkinder, die nur Samstag und Sonntag bei ihren Eltern verbrachten. Solche Wochenkrippen sah selbst Margot Honecker, Ministerin für Volksbildung, mit Bedenken: „Die Unterbringung in solchen Einrichtungen führt zu einer verstärkten Herauslösung der Kinder aus der Familie“. 1989 waren von über 600 Wochenkrippen nur noch 127 übrig. In der DDR-Endzeit wurden zudem kaum noch Kleinstkinder in die Krippen gebracht. Seit 1976 gab es im erstes Lebensjahr des Babys Erziehungsgeld, so dass die Mütter in dieser Zeit nicht mehr zur Arbeit gezwungen waren. Prompt blieben sie scharenweise mit ihren Babys zu Hause.

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Jochen Paulus

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