Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Das Lichtzeitalter

Allgemein

Das Lichtzeitalter
Photonen – der neue Lebensnerv der Informationsgesellschaft. Kaum ist es ins öffentliche Bewußtsein gedrungen, man lebe im Zeitalter der Mikroelektronik – schon wird wieder zum Aufbruch geblasen. Wir sind bereits auf dem Weg zur Photonenwelt: Denn Licht transportiert und speichert Daten besser als Strom.

Aristokraten alten Schlages geleiten Besucher in die Ahnengalerie, um sie zu beeindrucken. Schöngeister empfangen ihre Klientel in der Bibliothek. Werner Späth jedoch führt Besucher im Siemens-Werk Regensburg mit sichtlichem Stolz ins LED-Kabinett.

Der Raum wirkt wie ein Geschäft für Elektronikspielzeug. Vielfarbig blinkt es von allerlei Geräten: Instrumententafeln für Flugzeug-Cockpits, und Autos schimmern höllisch rot oder magisch blau, Ziffern und Buchstaben leuchten von elektronischen Anzeigen. Der gemeinsame Nenner: Jeder Lichtpunkt ist eine Leuchtdiode, eine LED.

Leuchtdioden haben es dem promovierten Physiker angetan. Ein Halbleiterkriställchen von gerade mal 0,2 Millimeter Kantenlänge ist das strahlende Herz, fabriziert aus Materialien wie Galliumarsenid, Indiumphosphid und Siliziumcarbid. Es ist in ein transparentes Kunststoffgehäuse mit zwei elektrischen Anschlüssen eingebaut.

Als Anzeige für „Ein“ oder „Aus“ kennt jeder die Leuchtdiode vom heimischen Fernsehoder CD-Gerät. Doch die Mini-Lichtquellen sind über Unterhaltungsund Büroelektronik hinausgewachsen. Werner Späth, langjähriger Entwicklungschef für Optohalbleiter bei Siemens, hat im letzten Jahrzehnt den Einzug in den Automarkt erlebt. Denn Leuchtdioden sind nicht nur sehr viel kleiner als Glühlämpchen und brillieren ohne Farbfilter mit farbigem Licht – sie enthalten keinen Glühfaden, der bei Erschütterung brechen oder bei Überhitzung durchbrennen kann.

Anzeige

Der Effekt: „Die Lebensdauer einer Leuchtdiode ist größer als die des Autos.“ Der Physiker weiter: „Sie leuchtet inzwischen sogar heller als ein Glühlämpchen. Die Fahrzeughersteller bauen heute bis zu 300 davon pro Auto ein – von der Hinterleuchtung der Instrumententafel bis zum dritten Rücklicht. Bremslicht, weitere Rücklichter und Blinker werden folgen.“

Knapp 800 Millionen Mark Umsatz erzielte Siemens 1997 mit dem Verkauf von Optohalbleitern wie Leucht-, Laser- und Photodioden – immerhin Platz vier im 7,5-Milliarden-Weltmarkt, wo ansonsten japanische und US-Firmen das Sagen haben. Doch der Regensburger berauscht sich nicht so sehr an Umsatzzahlen. Ihn fasziniert etwas anderes.

„Die ganze belebte Natur verdankt ihre Existenz der Photosynthese und damit dem Licht“, sinniert Späth. „Aber auch in der Technik läuft immer mehr über Photonen. Die meisten haben das nur noch nicht registriert – auch viele Naturwissenschaftler und Ingenieure nicht.“

So wird er nicht müde, auch im eigenen Konzern für die Optoelektronik – die Verschmelzung von Optik und Elektronik – die Trommel zu rühren. Einsatzschwerpunkte seiner Optohalbleiter sieht er in Beleuchtung und Leuchtanzeigen, in der Sensorik und besonders im Daten-Management: „Immer größere Datenmengen lesen, transportieren, auf immer kleinerem Raum speichern – hier gehört die Zukunft dem Photon“, ist seine Botschaft.

Mit dieser Einschätzung steht Späth nicht allein. „Wir sind auf dem Weg von einer elektronen- zu einer photonengesteuerten Welt“, sagt John Day von Strategies Unlimited – eine auf Halbleitertechnologie spezialisierte Unternehmensberatung im kalifornischen Mountain View. Ohne Optoelektronik keine Informationsgesellschaft, so Day: „Mit Photonen kann man mehr Information über größere Entfernungen übertragen als mit Elektronen – und das bei geringerem Energieaufwand.“ Zwar sind Wirtschaftsgutachten sein eigentliches Metier. Doch er hält nicht die ökonomischen Aspekte für das Bemerkenswerteste an der kommenden Photonenwelt.

Die Erfindung des Buchdrucks, sagt der Kalifornier, habe für Millionen von Menschen erschwingliche Bildung gebracht. Aber das weltumspannende Internet, das nur mit Hilfe eines lichtdurchströmten Glasfaser-Rückgrats weiter wachsen kann, werde für Milliarden Menschen die Informationstore aufstoßen: „Zugang zum Weltwissen für alle – zu geringen Kosten.“

Mehr Daten pro Faser, wachsendes Kabelnetz: Allein die Deutsche Telekom verfügt über 150000 Kilometer Glasfaserkabel. Die Übertragungskapazität des einzelnen Glasfaserstrangs ist in den letzten zwei Jahrzehnten geradezu explodiert.

„Gering“ dürfte sogar eine Übertreibung sein, wenn William F. Brinkman recht behält. Er entwickelt bei den Bell Labs, dem Forschungsinstitut im Elektronik- und Telekommunikationskonzern Lucent Technologies in Murray Hill die optische Datenübertragung weiter.

Alle 18 Monate verdoppelt sich die globale Kapazität der optischen Netze, bezeugt der Bell-Labs-Forscher. Derzeit werden 2,4 Gigabit (Milliarden Bit) pro Sekunde durch die Glasfaser geschleust – das entspricht etwa 30000 parallel geführten Telefongesprächen.

Der Endnutzer am PC mit Internet-Anschluß bezahlt dafür beispielsweise beim Netzbetreiber t-online fünf Pfennige Leitungsgebühr pro Minute.

In einem Jahrzehnt jedoch wird sich die Netzkapazität dank Glasfaser und lichtgetragenem Informationstransfer vertausendfacht haben, prophezeit Brinkman. Daraus schließt er: „Der Preis für Datentransport wird in wenigen Jahren so gering sein, daß das Verschicken von Daten um die Welt in Kostenrechnungen keine Rolle mehr spielt.“

Beim herkömmlichen Kupferkabel ist die Kapazitätsgrenze bei 64000 Bit pro Sekunde oft schon ausgeschöpft. Das entspricht vier Schreibmaschinenseiten Text pro Sekunde. Will man mehr Daten durch die Leitung zwängen, muß man die Straße aufreißen und neue Kabel verlegen.

Nicht so bei der Glasfaser: Hier kann man „multiplexen“, wie die Techniker das nennen – per Laser mehrere (derzeit 40) Lichtwellenlängen aufschalten, die sich in ihrer „Farbe“ geringfügig unterscheiden und auf denen separat Daten verschickt werden können. Sie beeinflussen einander nicht. Am Ende des Glasfaserkabels werden die unterschiedlichen Lichtfrequenzen mitsamt ihrer huckepack transportierten Information wieder getrennt. Das Verlegen zusätzlicher Glasfaserkabel entfällt.

Siemens-Optoelektroniker Werner Späth ist um einen farbigen Vergleich nicht verlegen, um klarzumachen, welches Potential hier liegt: „Bald werden Glasfaserleitungen mit einer Kapazität von 10 Gigabit pro Sekunde verfügbar sein – und die lassen sich heute schon durch Multiplexen mit 16 Wellenlängen auf 160 Gigabit erweitern. Das ist, als würde die Glasfaser jede Sekunde einen 220 Meter hohen Papierberg aus Brockhaus-Seiten ausspucken.“

„In der Technik läuft immer mehr über Photonen“, stellt Werner Späth fest, Siemens-Entwicklungschef für Optohalbleiter in Regensburg. „Die meisten haben das nur noch nicht registriert.“

Jeder Lichtpunkt ist eine Leuchtdiode – ein winziger Halbleiterkristall in einem Kunststoffgehäuse. Halbleiter wie Galliumarsenid oder Indiumphosphid leuchten, wenn Strom hindurchfließt.

Glasfaserleitungen mit 40 Lichtwellenlängen mal 2,4 Gigabit sind aktuell in Betrieb, das Multiplexen mit 80 Wellenlängen wurde von Lucent Technologies für die nahe Zukunft angekündigt.

Erweitert wird künftig auch der Datentransfer in besonders schnellen Rechnern: In „optischen Computern“ sorgt dann Licht für den Datenfluß zwischen Untereinheiten, der in Metallkabeln an sich selbst ersticken würde. „Bei großer Datenfülle auf engstem Raum“, sagt der Photonen-Dompteur, „setzen wir experimentell zweierlei Licht-Verbindungswege ein: erstens Glasfasern, zweitens Infrarotkopplungen.“

Ein mit bloßem Auge unsichtbarer Infrarotstrahl – wie bei einer TV-Fernbedienung – kann Datenströme geradlinig zwischen benachbarten Platinen im Rechner übertragen. Und das nicht nur innerhalb des Gehäuses: „In Büro und Haushalt könnte bald eine kleine Dose an der Decke hängen“, kündigt Späth an, „über die die Kommuni-kation zwischen Computer, Drucker, Telefonmodem und anderen Geräten läuft – quer durchs Zimmer, ohne Kabelsalat, alles per Infrarot. Wir erproben das bereits.“

Eine „ungeheure Herausforderung“, wie er selbst das sieht, hat der Optoelektroniker sich jüngst aufgeladen: das „Projekt Nanospot“. Seine Partner aus Industrie- und Hochschulszene will er noch nicht nennen. Zusammen bilde man ein Konsortium mit viel Know-how in der Mikrosystemtechnik, Optik und Fertigungstechnik.

Ziel des Vorhabens: ein in Serie herstellbares, mikrooptisches System für die nächste Generation der Computer-Festplatten. Die Speicherdichte soll sich nach den Ideen der Computerbranche bis zum Jahr 2000 etwa verzehnfachen.

„Die Technik für Festplattenspeicher wandelt sich gerade“, erläutert Späth. „Die rein magnetische Schreib- und Lesetechnik der Vergangenheit wird von der sogenannten magneto-optischen Nahfeldtechnik abgelöst.“ Da tut sich ein neuer Markt für die Optoelektronik auf. Allerdings hängt die Nanospot-Latte hoch: Linsen, Prismen und Spiegel, die kleiner sind als ein Millimeter. Blau leuchtende Laserdioden, die beim Beschreiben und Lesen ein Lichtfleckchen von unter 200 Nanometer (0,0002 Millimeter) Durchmesser auf der Festplatte erzeugen – eine Halbierung dessen, was heute möglich ist. Montageanlagen, die vollautomatisch auf weniger als fünf Tausendstelmillimeter genau die winzigen Komponenten zusammenbauen. Ein wagemutiges Ziel – ein durchschnittlicher Montageroboter arbeitet derzeit zehn- bis zwanzigmal unpräziser.

„Do schwitzt mer scho!“ versichert der Regensburger Siemens-Manager. Aber der Einsatz lohne sich, denn er führe in eine neue Ära: Nach der Dominanz der Mikroelektronik stehe jetzt eine Renaissance der Optik bevor. „Speicherdichten von mehreren Gigabit pro Festplatten-Quadratzentimeter, wie sie im Jahr 2000 gebraucht werden, erreicht man nur mit Photonen!“

„Mehr Licht“: So lautete angeblich eines der letzten Worte des deutschen Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe. Hätte er heute gelebt – er müßte hochzufrieden gewesen sein.

Mega, Giga, Byte und Bit

In der Datentechnik heißt die kleinste Informationseinheit „ein Bit“. Das entspricht einem mikroskopisch kleinen, magnetisierten Fleck auf einer Festplatte oder einer Vertiefung auf einer CD. Acht Bit ergeben zusammen „ein Byte“ – ein Zeichen, etwa einen Buchstaben. Ein paar Vergleichszahlen:

eine Schreibmaschinenseite Text 16000 Bit = 16 Kilobit eine Faxseite mit einem Foto 2,4 Millionen Bit = 2,4 Megabit drei Minuten gesprochener Text 2,9 Millionen Bit = 2,9 Megabit drei Minuten Musik, CD-Qualität 125 Millionen Bit = 125 Megabit ein ganzseitiges Bild in bild der wissenschaft 240 Millionen Bit = 240 Megabit durchschnittliche Computer-Festplatte 8 Milliarden Bit = 8 Gigabit Videofilm, Spielfilmlänge 24 Milliarden Bit = 24 Gigabit

Thorwald Ewe

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Alt|gei|ge  〈f. 19; Mus.〉 = Bratsche

Pe|ri|gon  〈n. 11; Bot.; bei höheren Pflanzen〉 nicht in Kelch u. Krone gegliederte Blütenhülle; oV Perigonium … mehr

Head|crash  〈[hdkræ] m. 6; IT〉 Vernichtung aller Daten auf der Festplatte, sobald diese mit dem Lesekopf des Computers in Berührung kommt [<engl. (read) head … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige