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Das Loch im Labor

Allgemein

Das Loch im Labor
Ein Lichtstrudel simuliert den kosmischen Schlund. Zwei Forscher haben ein Konzept entwickelt, wie man ein „ optisches Schwarzes Loch“ herstellen könnte. Es soll sogar die mysteriöse Strahlung aussenden, die Stephen Hawking vorausgesagt hat.

So seltsam Schwarze Löcher sind, für Astrophysiker gehören sie längst zum festen Repertoire des Weltalls. Aber lassen sie sich auch im Labor auf der Erde erzeugen? Ulf Leonhardt, theoretischer Physiker an der Königlich Technischen Hochschule in Stockholm, und sein Kollege Paul Piwnicki von der Universität St. Andrews in Schottland haben kürzlich mit einer Idee von sich reden gemacht, wie man die Wirkungsweise eines solchen kosmischen Strudels nachahmen könnte. Die beiden Forscher berufen sich auf einen Effekt, den der französische Physiker Augustin Fresnel schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts vorhergesagt hatte. Demnach soll eine strömende Flüssigkeit oder ein Gas Licht mitreißen und unter Umständen von seinem geradlinigen Weg ablenken. Armand Fizeau wies diesen Effekt 1851 erstmals experimentell nach. Eine Verbindung zwischen dieser Art von Lichtablenkung in einem strömenden Medium und in einem Schwerkraftfeld entdeckte der deutsche Physiker Walter Gordon 1923. Damit stellte er formal und rein mathematisch einen Zusammenhang zwischen dem Fresnelschen Mitführungseffekt und Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie her. Und das ist für Piwnicki und Leonhardt die Verbindung zu den Schwarzen Löchern, die ja als eine Lösung der Einsteinschen Feldgleichungen entdeckt wurden. Freilich ist der Effekt ausgesprochen winzig. Interessant wird die Lichtablenkung erst, wenn die Geschwindigkeiten des Lichts und des strömenden Mediums etwa gleich groß sind. Dies sei, so Leonhardt und Piwnicki, technisch vielleicht gar nicht so unrealistisch, wie man noch vor kurzem meinte. Die beiden Theoretiker verweisen auf Experimente einer Forschergruppe um Lene Vestergaard Hau vom Rowland Institute of Science in Cambridge, Massachusetts. Astronomen war es im vergangenen Jahr gelungen, Licht bis auf 1,5 Kilometer pro Stunde abzubremsen.

Im Vakuum bewegt sich Licht mit 300000 Kilometern pro Sekunde. In Materialien wie Glas oder Wasser ist das Licht nur noch etwa halb so schnell. Um Licht auf die Geschwindigkeit eines Fußgängers zu verlangsamen, kühlten Hau und seine Mitarbeiter Gas aus Natrium-Atomen bis auf weniger als ein millionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt ab. Bei dieser Temperatur ging das nur 0,2 Millimeter kleine Wölkchen in einen exotischen Zustand über, den man Bose-Einstein-Kondensat nennt. Ein in dieses Gas hineingeschossener Laserstrahl wurde darin bis auf 1,5 Kilometer pro Stunde gebremst. Mit einer verbesserten Apparatur wollen die Physiker die Lichtgeschwindigkeit noch bis auf etwa einen Zentimeter pro Sekunde, entsprechend einigen Dutzend Metern pro Stunde, reduzieren. Leonhardt und Piwnicki schlugen nun vor, ein solches Bose-Einstein-Gas in Drehung zu versetzen. Schießt man dort einen Laserstrahl hinein, sollte der darin nicht nur abgebremst, sondern auch durch die Wirbelbewegung abgelenkt werden – ähnlich wie ein Hurrikan Gegenstände mit sich reißt. Ist das Gas nur schnell genug, kann ihm das Licht nicht mehr entrinnen, und es fällt auf einer spiralförmigen Bahn gewissermaßen ins Auge des Wirbelsturms hinein, wo es vom Gas verschluckt wird. Damit würde ein solcher Wirbel wie ein Schwarzes Loch wirken. Ob sich diese Idee in die Praxis umsetzen läßt, ist umstritten. Hau sieht ein großes Problem darin, einen Mikro-Taifun aus ultrakaltem Gas mit der nötigen Umdrehungsgeschwindigkeit herzustellen. Matt Visser, theoretischer Physiker an der Washington University in Saint Louis, schlägt indes eine Möglichkeit vor, wie man auch mit einem langsamer rotierenden Gas denselben Effekt erzielen könnte: Man müßte das Gas im Zentrum absaugen. Dann würde es nicht einfach nur herumwirbeln, sondern gleichzeitig wie Wasser im Abfluß eines Waschbeckens nach innen strudeln. Dadurch würde das Licht in verstärktem Maße zum Zentrum gezogen. Visser sieht in der skurrilen Versuchsanordnung auch eine Möglichkeit, einige für Schwarze Löcher vorhergesagte, aber bislang nicht beobachtete Effekte zu simulieren – zum Beispiel die Hawking-Strahlung. In den siebziger Jahren untersuchte der berühmte britische Physiker Schwarze Löcher nach den Gesetzen der Quantenmechanik. Er erhoffte sich hiervon einen Weg, diese Theorie des Mikrokosmos mit der des Makrokosmos, der Relativitätstheorie, zu verbinden. Bei seinem Versuch stieß Hawking auf einen merkwürdigen Effekt: Schwarze Löcher strahlen. Um dies zu verstehen, muß man sich mit der Physik des Vakuums beschäftigen. Nach den Gesetzen der Quantenmechanik entstehen und vergehen im Vakuum unablässig Teilchen. Das vermeintliche Nichts brodelt wie ein Lavasee. Physiker nennen diese Teilchen virtuell, weil sie nur für eine sehr kurze Zeitspanne existieren. Virtuelle Teilchen kommen stets als Teilchen-Antiteilchen-Paar zur Welt. Bildet sich ein solcher Zwilling in der Nähe des Ereignishorizonts eines Schwarzen Lochs, kann darin eines der beiden Teilchen verschwinden. Das andere entzieht dem Schwerkraftfeld Energie. Dies ermöglicht dem virtuellen Teilchen den Sprung in die Realität. Es entkommt ins Weltall – das ist, als hätte das Schwarze Loch ein Partikel ausgestoßen. Es trägt die Energie, die ihm die Masse-Konzentration gegeben hat, mit sich fort. Dadurch wird das Schwarze Loch leichter und löst sich sehr langsam auf. Ein Schwarzes Loch mit der doppelten Sonnenmasse würde erst im Laufe von 1067 Jahren seine gesamte Masse verlieren. Das ist das 1057fache des heutigen Weltalters. Sind aber, wie Hawking vermutet, im Urknall Schwarze Löcher mit Massen von einigen hundert Millionen Tonnen entstanden – das entspricht der Schwere eines mittelgroßen Berges –, sollten sie in der jetzigen Phase des Weltalls verdampfen. Hawking vermutete, daß sie explodieren und dabei Röntgen- und Gammastrahlung aussenden. Die Suche nach dieser Strahlung blieb allerdings bis heute erfolglos. Wenn nun die von Walter Gordon vorhergesagte Analogie zwischen der Ablenkung von Licht in einem strömenden Gas und in einem Schwerkraftfeld stimmt, dann sollte am Rande eines optischen Schwarzen Lochs auch die Hawking-Strahlung entstehen. Matt Visser sieht diesen Effekt sogar noch allgemeiner: „Virtuelle Teilchen gibt es überall. Und dann sollte jede Art von Begrenzungsfläche, die wie der Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs virtuelle Teilchen trennen kann, Hawking-ähnliche Strahlung abgeben.“ Die Idee ist verlokkend – für einige Experimentalphysiker vielleicht sogar unwiderstehlich.

Thomas Bührke

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♦ Die Buchstabenfolge an|thr… kann in Fremdwörtern auch anth|r… getrennt werden.

♦ Elek|tro|nen|ak|zep|tor  〈m. 23〉 chem. Verbindung, die zur Aufnahme von Elektronen neigt

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