Deshalb lassen wir einmal die Bundestagswahl beiseite – zumal ich meine Zeilen so früh schreibe, daß das Ergebnis keineswegs absehbar ist. Nur soviel ist sicher: Es wird einen neuen Forschungsminister oder sogar eine Ministerin geben, gleichgültig wie die Wahl ausgeht. Ob er oder sie allerdings das Wort Forschung oder Wissenschaft im Titel führt, noch nicht einmal das ist klar.
Bleiben wir bei der Wissenschaft, bei dem, was sie an Be- und Anmerkenswertem zu bieten hat: etwa das Projekt amerikanischer Forscher, einen Roboter zu schaffen, der die Intelligenz eines Kleinkindes entwickelt. Eigentlich nichts Neues, handelt es sich doch um die Faustische Hybris, den künstlichen Menschen zu erschaffen. Statt Defizite auszugleichen, versucht man, die Evolution nachzumachen – als sollten Autos auf Beinen laufen, weil die Natur das Rad nicht erfunden hat.
Das Neue an dem humanoiden Roboter: Die Forscher haben das Umfeld der logischen Technologie entdeckt. Das heißt, daß die elektronischen Schaltkreise auf das, was um sie herum passiert, angepaßt reagieren sollen. Ein Roboterkopf mit Ohren, blauen Glubschaugen und Augenbrauen beobachtet seinen Betreuer und verzieht seine künstlichen Gesichtszüge.
Die Reaktionen erinnern an ein Super-Tamagotschi und sind kaum in Ansätzen mit den Reaktionen eines Babys zu vergleichen: Wird der Roboter nicht genug stimuliert, etwa durch ein Spielzeug, schaltet sein Gesicht auf „traurig“. Erst wenn sich jemand mit ihm beschäftigt, gibt er sich zufrieden. Doch wiederholt sein Betreuer zu oft die gleiche Bewegung, wird es ihm langweilig, und er schläft ein.
Diese Forschungsarbeiten laufen unter dem Stichwort „Künstliche Intelligenz“. So übertrieben diese Bezeichnung ist – seit sie erfunden wurde -, so übertrieben wäre es, den digitalen Homunculus zu erwarten. Das Projekt ist nur ein Schritt auf dem Weg dahin, daß Computer ihr reales Umfeld selbständig interpretieren, auch die Reaktionen von Menschen. Realität besteht nun einmal nicht nur aus Daten und Fakten, wie sie heute in Bits und Bytes gepackt werden.
Erschreckend aber ist, wie mechanistisch diese Ingenieure und Informatiker noch immer den Menschen begreifen. So nennen sie die Reaktionen ihres Baby-Roboters ernsthaft „Emotionen“. Doch Leerlauf oder Informationsüberflutung zu registrieren und darauf zu reagieren, hat mit Gefühlen so wenig zu tun, wie das Rechnen mit Null und Eins. Aber die Forschungsrichtung „Künstliche Intelligenz“ ist schon oft mit Begriffen großzügig umgegangen. Das hat Mißverständnisse und große Erwartungen geweckt – und viele Emotionen. Und dies wiederum führte dazu, daß diese Disziplin recht großzügig mit Geldern bedacht wurde.
Damit wären wir wieder bei der Politik: Auch die Entscheidungen der Wähler fallen nicht allein rational in Abwägung der Argumente, sondern vor allem emotional – nicht nur an der Wahlurne, sondern tagtäglich. Wenn die Forschung in Deutschland darum kämpft, in unserer Gesellschaft wichtiger, ernster genommen zu werden, dann hat sie die rationalen Argumente längst auf ihrer Seite. Woran es fehlt, sind die Gefühle der Menschen, ihre Motivation, ja auch ihre Begeisterung für Wissenschaft.
Reiner Korbmann