Die Generation der Holocaust-Überlebenden wird immer kleiner, und viele bewegende Lebensgeschichten stehen damit in der Gefahr, in Vergessenheit zu geraten. Die Journalistin Alexandra Föderl-Schmid und der Fotograf Rufus Müller haben 25 dieser Geschichten gesammelt. Dafür trafen sie Holocaust-Überlebende in Deutschland, Österreich und Israel, führten Gespräche mit ihnen und fotografierten sie. Das Ergebnis ist ein Buch in einem etwas unhandlichen Format. Doch dies ermöglicht es, von jeder Person ein beinahe lebensgroßes Portrait zu zeigen, in dem die Lebensspuren an Gesicht und zum Teil den Händen beeindruckend sichtbar werden. Das Buch wird durch ein Gespräch des Kolumnisten der Süddeutschen Zeitung Heribert Prantl mit Föderl-Schmid und Müller eingeleitet.
Im Band wird nicht nur die Zeit des Nationalsozialismus thematisiert, sondern auch die Nachkriegszeit und weitere Entwicklungen wie die Frage nach dem Wohnort und vor allem die Verarbeitung des Erlebten. Ebenso wird die aktuelle Politik in den Gesprächen miteinbezogen, da die Autorin ihre Gesprächspartner beispielsweise auf die FPÖ oder die AfD anspricht.
Auch wenn alle 25 Personen scheinbar den gleichen Hintergrund haben, da sie als Juden den Nationalsozialismus überlebten, sind ihre Lebensgeschichten doch sehr unterschiedlich: Manche, wie Marko Feingold, erlebten und überlebten einige Zeit im KZ. Andere wie Ivan Bergida schafften es, sich zu verstecken oder rechtzeitig zu fliehen, wobei auch die Flucht zum Teil zu einer Odyssee wurde, wie bei Sidonie Goldstein. Für die einen, wie Arik Brauer, ist das Judentum nur durch die Reaktion anderer darauf von Bedeutung, andere leben religiös oder sind Zionisten, wie Giselle Cycowicz. Hugo Brainin konnte sich trotz seiner Vergangenheit den Humor bewahren, andere schauen frustriert in die Zukunft. Auch darin, wie schnell die Befragten über ihre Vergangenheit reden konnten, gibt es große Unterschiede: Rudolf Gelbard etwa sah es bald als seine Aufgabe an, über den Holocaust aufzuklären, andere, wie Malwina Braun, konnten auch Jahrzehnte später kaum darüber sprechen. Viele jedoch, ob gläubig oder nicht, bezeichnen es als Wunder, dass sie überlebt haben.
Rezension: Dorothea Gösele
Alexandra Föderl-Schmid, Konrad Rufus Müller
Unfassbare Wunder
Gespräche mit Holocaust-Überlebenden in Deutschland, Österreich und Israel
Böhlau Verlag, Wien 2019, 184 Seiten, € 35,–