Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Der alte Mann und der Mars

Allgemein

Der alte Mann und der Mars
Buzz Aldrin, zusammen mit Neil Armstrong der erste Mensch auf dem Mond, hat ausführlich mit bdw gesprochen – und er hat längst das nächste Ziel im Visier: den Roten Planeten.

Als in der Nacht des 21. Juli 1969, um 3.56 Uhr Mitteleuropäischer Zeit, die Landefähre Eagle im „Meer der Stille” aufsetzte, erreichte eines der größten Abenteuer der Menschheit seinen Höhepunkt: die erste bemannte Landung auf einem anderen Himmelskörper. Von politisch eher kleinlichen Motiven getrieben, entstand etwas Neues – zumindest im Sonnensystem, wenn nicht sogar in der Galaxis: der Sprung über einen kosmischen Abgrund.

45 Jahre, nachdem Neil Armstrong und Buzz Aldrin als erste Menschen den Mond betreten haben, plädiert Aldrin dafür, endlich den nächsten Schritt zu machen: zum Nachbarplaneten Mars. Anlässlich des Jahrestags hat die NASA einigen Rummel zur Reminiszenz veranstaltet. Selbst Schauspieler wie Morgan Freeman waren mit von der Partie, ebenso Apollo-Veteranen und die Astronauten in der Internationalen Raumstation, die sich gerade mal ein Tausendstel so weit von der Erde bewegt wie der Mond. Der Star unter den Jubilaren war aber Aldrin selbst. Der 84-Jährige ist nach Armstrongs Tod am 25. August 2012 nicht nur lebende Legende und quasi der letzte Held, sondern er reist auch unermüdlich um die Erde, um seine Mission zu verkünden: eben diesen Globus zu verlassen.

„Ich finde, das Jubiläum ist eine wunderbare Zeit für den US-Präsidenten, über das zu sprechen, was er tun und vorbereiten kann”, sagte Aldrin im Juli im schwäbischen Oberkochen, wo er ein neues Museum und Forum der Firma Zeiss eingeweiht hat – durchaus passend, hatte Zeiss doch die Objektive geliefert, mit denen Armstrong und Aldrin ihre berühmten Fotos von der Mondoberfläche geschossen hatten. Barack Obama könne heute schon seinem Nachfolger beim nächsten Jubiläum 2019, dem 50. Jahrestag der ersten Mondlandung, dazu verhelfen, „sich in einer sehr konkreten und historisch bedeutsamen Weise zu verpflichten, eine permanente Station auf dem Mars zu errichten”, spekulierte Aldrin. „Das kann, ab 2019 gerechnet, in zwei Jahrzehnten gelingen – im Vergleich zu Präsident Kennedys einer Dekade für die Landung auf dem Mond.”

In 30 Jahren zum Mars

Im Gespräch mit bild der wissenschaft hat Aldrin seine Mars-Utopie präzisiert: „Ich denke, 30 Jahre ist eine gute Zahl”, schätzt er den Mindestzeitraum ab, bis ein menschlicher Fuß einen Abdruck im Sand des Roten Planeten hinterlässt. Das ist in erster Linie ein Geldproblem. Tatsächlich gab es schon während des Apollo-Programms Überlegungen, zum Mars zu fliegen. „Die völlig zutreffende Aussage damals war, dass es von der Finanzierung abhängt”, sagt Aldrin. „Bereits ab 1969 kümmerte sich eine Arbeitsgruppe darum, bei der der US-Vizepräsident Spiro Agnew mitwirkte. Mit geeigneten Mitteln, so schätzte man, könnten Menschen in den 1980er- oder 1990er-Jahren auf dem Mars landen.”

Anzeige

Doch dazu kam es nicht. Sogar das Apollo-Programm wurde nach sechs Mondlandungen vorzeitig eingestellt. Ist Aldrin enttäuscht über die Entwicklungen seither? „Wenn man das Gefühl hat, etwas tun zu können, und es geschieht nichts, dann wird man enttäuscht” , antwortet er diplomatisch. „Etwas anderes ist es, als distanzierter Beobachter die Gründe zu betrachten – und sie nicht ändern, nur kommentieren zu können.”

Aldrins Gedanken schweifen in die Vergangenheit: „Ein Faktor waren all die Leute, die aufgrund des Vietnamkriegs gegen das Establishment protestierten – und wir gehörten zum Establishment” , sagt er. „Sie waren nicht diejenigen, die die Entscheidungen trafen, aber es war keine glückliche Zeit, keine Zeit des Aufbruchs.” Auch dadurch wurde die weitere Entwicklung gebremst.

Und er erzählt, wie er mit Armstrong und Collins, nachdem sie die Quarantäne-Station nach ihrer Landung auf der Erde verlassen hatten, zu Fuß zu einer Universität ging. „Dort warteten Studenten, und sie warfen Eier auf uns.” Selbst heute noch steigt in Aldrin bei diesen Erinnerungen Bitterkeit auf. „Das geschah unmittelbar, nachdem wir aus der Quarantäne kamen!” Es war keine schöne Begrüßung der Mondfahrer zurück in der Heimat.

Im Gespräch wird deutlich, dass sich Aldrins Geist immer wieder vom Hier und Jetzt entfernt, dass er gleichsam zwischen Mond und Erde wandert und zwischen Vergangenheit und Zukunft. Hat er überhaupt noch lebendige Erinnerungen an seinen zweieinhalbstündigen Aufenthalt auf dem Erdtrabanten, oder sind sie längst unter den vielen Erklärungen und Berichten begraben? „ Glücklicherweise werden meine Erinnerungen durch die Fotos angeregt”, antwortet er. „Mir hilft das wirklich, anderen hilft es nicht. Wenn ich die damaligen Dialoge höre, wird mein Gedächtnis auch aufgefrischt. Aber die Bilder bringen viel stärkere Erinnerungen hervor, Filme sind dafür gar nicht nötig.”

In seiner 2013 erschienenen Autobiografie „Magnificent Desolation” schreibt der Astronaut: „Die einfachste Frage bleibt am schwierigsten zu beantworten: Wie fühlte es sich an, auf dem Mond zu sein?” Und er betont: „Wir hatten keine Zeit für philosophische Grübeleien. Gefühle oder spontane profunde Bemerkungen waren kein Teil meines Trainings. Deshalb wünsche ich seit Jahren, dass die NASA einen Dichter, Musiker oder Journalisten in den Weltraum fliegt – jemanden, der die Gefühle und Erlebnisse ausdrücken und mit der Welt teilen kann. Neil und ich waren militärische Typen, die eine Mission zu erfüllen hatten.”

Trotzdem wurde seine Bemerkung von der „großartigen Einöde” des Mondes, der „magnificent desolation”, zu einem geflügelten Wort – und einem durchaus missverständlichen. „Neil hat wohl kurz davor etwas als ‚magnificent‘ beschrieben”, erläutert Aldrin. „ Und dann sagte er: ‚Ist es nicht schön hier?‘ Das war keine Frage an die Erde, sondern an mich. Und ich dachte, dass es überhaupt nicht schön war. Aber ich nahm spontan das Wort ‚magnificent‘ auf, denn ich fand, dass es den menschlichen Fortschritt beschreiben kann, das Erreichen eines großen Ziels.”

Aldrin verweist auch auf die Inschrift in einer Plakette an der Mondfähre: „Wir kommen in Frieden für alle Menschen”, ist darin eingeprägt. „Ich denke, das fasst zu einem gewissen Grad zusammen, was wir im All anstrebten. Nun gingen wir auf dem Mond umher. Aber was ich um uns herum sah, das hatte sich in Hunderttausenden von Jahren kaum verändert. Hier und da ist etwas Staub hinzugekommen. Wenn die Sonne über den Horizont steigt, wird es heiß, heiß, heiß, und sonst ist es kalt, kalt, kalt. Eine lebensfeindliche Wüste!”

Der nächste Entwicklungsschritt

Träumt Aldrin noch manchmal vom Mond? „Ich hatte erst letzte Nacht einen Traum über etwas Ungewöhnliches, das geschah, als ich unter die Oberfläche schaute. Ich meine, es war der Mond”, sinniert er. Seine Gedanken schweifen ab. „Das Leben vieler Astronauten war auf die Mondflüge gerichtet. Mein Leben war …” Er unterbricht sich. „Ich bin jetzt woanders. Wenn wir wieder zum Mond aufbrächen, wären wir nicht mehr die Ersten. Wieso sollte man mit jemandem von vor 45 Jahren konkurrieren?”

Seine Vorstellungen für die weitere Exploration jenseits des erdnahen Weltraums sind sehr dezidiert. „Zum Mond sollten Roboter fliegen. Amerika sollte sich zunächst einem Planetoiden widmen, einen Roboter dort landen, dann Astronauten.” Und danach das wichtigste Ziel anvisieren: den Roten Planeten.

Für Aldrin ist es an der Zeit, den aus seiner Sicht nächsten Entwicklungsschritt des menschlichen Geistes einzuleiten (wörtlich sagt er: „I think we are ready to go to uplift the spirits of the world”). „Denn Menschen haben schon immer die Umgebung erkundet – um zu sehen, was auf der anderen Seite des Ozeans liegt, was sich hinter dem Gipfel des Berges befindet, was das Ding am Himmel ist, das Mond heißt. Können wir dorthin gelangen? Ja, wir taten es!” Und mit Blick auf seinen Gastgeber im schwäbischen Oberkochen fügt er lächelnd hinzu: „Den Mars kann man nicht sehr gut sehen, nur als etwas Rötliches. Wenn man die wunderbaren Linsen von Zeiss benutzt, sieht man den Mars viel besser.”

Doch sind Menschen wirklich für den Weltraum jenseits naher Erdumlaufbahnen geeignet? Schließlich hatten viele der 24 Männer, die zum Mond geflogen sind – 12 haben ihn betreten – psychische Probleme und teils große Schwierigkeiten, wieder auf der Erde Fuß zu fassen. Aldrin war einer von ihnen. Drei Ehen zerbrachen, er bekam Depressionen und litt einige Jahre unter Alkoholabhängigkeit. Erst in den 1980ern hatte er sein Leben wieder im Griff und avancierte seither zu einem glühenden Verfechter der bemannten Weltraumfahrt. Sind Menschen also psychisch wirklich dazu in der Lage, die Erde auf lange Zeit oder gar für immer zu verlassen?

„Hier kommen wir zur Historie und zu Interpretationen”, weicht Aldrin aus. „Ich bin eher ein Darwinist. Die ersten Fische, die aus dem Ozean ans Land gekrochen sind, waren dafür nicht geschaffen. Aber der Körper ändert sich in einer anderen Umgebung, und aus den Fischen wurden andere Arten. Auch wir haben keinen Schwanz mehr, aber einen Daumen, und der ist sehr wichtig. Man kann nicht warten, bis wir uns in etwas verwandeln, das gebraucht wird. Natürlich benötigen wir Sauerstoff zum Atmen.” Und wenn wir uns genetisch verändern würden, um die Anpassung zu forcieren? Aldrin verzieht beinahe angewidert das Gesicht. „Dann sind wir keine Menschen mehr, sondern Replikanten.”

Doch das ist für Aldrin gar nicht das Thema. „Wir können herumsitzen und Löcher in die Luft starren, und die Chinesen fliegen zum Mars … und die Russen … und vielleicht sogar die Italiener … und wir hocken bloß da und warten.” Aldrin stützt theatralisch den Kopf in die Hände und schaut auf die Tischplatte. Dann blickt er auf, und seine Augen blitzen: „Es gibt den Wettbewerb, und es geht darum, wer die beste Idee hat. Die Ideen sollen konkurrieren, und das beste Produktionsdesign. Danach ist die Entscheidung zum Aufbruch nötig.” Die nächste Frage stellt er gleich selbst: „Soll jeder in eigener Regie fliegen? Ich denke nicht, dass das funktioniert. Jemand muss die Aktion leiten. Viele wollen es allein machen. Aber die Geschichte zeigt, dass es nicht jeder kann.”

Ob es jetzt mehr um Kooperation als um Wettbewerb gehe? „Ja – aber welche Kooperation, und welcher Wettbewerb?” Aldrin zögert. „ Man sollte keine Ideen stören, wenn jemand welche hat, sondern die Ideen miteinander konkurrieren lassen. Und dann kooperieren bei der Verwirklichung der besten Idee.”

Auch bei der Frage, wie es mit dem Mond weitergehen soll, hat Aldrin dezidierte Vorstellungen. „Man muss die Situation nehmen, wie sie ist. Es gibt nur eine begrenzte Menge an Ressourcen. Nach meiner Überzeugung sollten wir sie nicht dafür einsetzen, etwas zu tun, das wir bereits getan haben. Das dupliziert die Dinge nur. Wir haben bereits viele Informationen über den Mond. Die Roboter sind viel besser geworden, die Menschen nicht.” Aldrin zufolge sollte die weitere lunare Erkundung daher unbemannt erfolgen, mit Robotern. Das hatten bereits in den 1970er-Jahren zwei sowjetische Lunochod-Gefährte vorgeführt. Sie brachten sogar einige Hundert Gramm Mondgestein zur Erde.

Reisen ohne Wiederkehr

Menschen jedoch sollten endlich zum Nachbarplaneten Mars fliegen. Und zwar am besten ohne Rückfahrschein: „Man sollte die Leute nicht zurückholen. Sie sind Pioniere!” Dass dies ethisch problematisch wäre, sieht Aldrin schon, doch was würden die Rückkehrer auf der Erde schon tun? Bücher schreiben, Reden halten, Interviews geben? Vielleicht klingt hier Aldrins eigene Biografie durch.

Auch technisch hat Aldrin seine eigenen Vorstellungen: „Ich habe 1985 einen Weg entdeckt, den ich für gut halte. Wir könnten die Erde verlassen, zum Mars reisen, zurückkehren und es aufs Neue tun. Jedes Mal wären nur Rendezvous-Manöver nötig. Das ist meine Expertise – der Gegenstand meiner Doktorarbeit am MIT.” Aus Umlaufbahnen Astronauten mit Landefähren abzusetzen, sei nicht so einfach wie eine direkte Mars-Landung, aber man könne das Transportsystem vielfach verwenden und bräuchte nur neue Fähren. „ Es funktioniert alle 26 Monate, dann stehen Erde und Mars günstig zueinander. Mit einer Doppelmission wären es 52 Monate – und das wäre noch viel besser, weil die Geschwindigkeiten bei den Kopplungsmanövern dann geringer sind.” Aldrin ist von der prinzipiellen Machbarkeit seiner ihm zu Ehren als „Aldrin Cycler” benannten Trajektorie überzeugt; er räumt aber ein, dass dies für die NASA Neuland ist.

Doch wie realistisch sind solche Visionen überhaupt? „Es geht alles frustrierend langsam”, räumt Aldrin ein. „Mit einem Prozent des US-Haushalts wird eine Mars-Landung nicht funktionieren. Zum Mond waren 3,5 bis 4 Prozent nötig – nur zum Mond. Es scheint seltsam zu sein, wenn ich sage ,nur zum Mond‘. Aber ich fühle wirklich so.” Er lacht: „Das war ein kleiner Schritt für einen Menschen – und wir werden in der Zukunft viele große Sprünge machen.” •

RÜDIGER VAAS ist Astronomie-Redakteur von bild der wissenschaft und würde sich gern auf den Mond schießen lassen, am besten auf die Rückseite – oder gleich zum Mars.

von Rüdiger Vaas

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Mo|de|schöp|fer  〈m. 3〉 Mann, der Modelle für die Mode entwirft; Sy Modedesigner … mehr

Un|ter|ta|ge|ar|bei|ter  〈m. 3; Bgb.〉 Bergarbeiter, der unter Tage, in der Grube arbeitet

Ge|birgs|schlag  〈m. 1u; Bgb.〉 1 plötzl. Spannungsentladung in Gesteinsmassen, deren Gleichgewicht durch die Herstellung bergmännischer Hohlräume, besonders Abbaue, gestört ist 2 Zusammenbrechen von Grubenbauen mit oft großen Zerstörungen … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige