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Der erste Fürst

Allgemein

Der erste Fürst
„Der „“Keltenfürst von Hochdorf““ hat auch nach 20 Jahren noch Geheimnisse. Der grandiose Keltenfund zwischen Stuttgart und Heilbronn weitet sich aus: Der Fürst bekommt eine Siedlung, und ein frühkeltisches Großbauwerk kündigt sich an.“

Jörg Biel war sauer. Das mit Bronzeschrott gefüllte Loch entpuppte sich bei einer zweiten Bohrung als unterirdische Rinne unbekannter Länge. Das freizulegen, hätte Zeit gekostet. Der Archäologe am Landesdenkmalamt Baden-Württemberg gab auf, er hatte Wichtigeres zu tun: Immerhin grub er gerade das spektakuläre Grab des keltischen Fürsten von Hochdorf aus. Der wurde zum Überraschungs-Zeugen aus der bislang wenig bekannten Kelten-Kultur im süddeutschen Raum vor über 2500 Jahren. Biel interpretiert den Grabhügel als Nekropole des rund zehn Kilometer entfernten keltischen Fürstensitzes Hohenasperg beim schwäbischen Asperg. Das war vor einigen Jahren. In diesem Jahr haben Bauern rund um den Grabhügel, wo Biel einst entnervt aufgegeben hatte, zum ersten Mal Steine ausgepflügt – für Archäologen ein untrügliches Zeichen für Hinterlassenschaften aus alten Zeiten. Also wird der Kelten-Kenner des Stuttgarter Landesdenkmalamtes im nächsten Jahr dort, nördlich des Fürstengrabes, den Spaten ansetzen. Denn zwischen dem Stopp vor Jahren und dem Steinfunden von heute gab es andernorts zwei aufregende Entdeckungen: Nordöstlich von Frankfurt wurde ein ringförmiges Grabensystem unterhalb einer keltischen Burg freigelegt (siehe Foto Seite 23). In der Anlage von 70 Meter Durchmesser fand Prof. Fritz-Rudolf Herrmann zwei Gräber und die älteste vollplastische keltische Steinfigur nördlich des Mains: den Fürsten vom Glauberg (siehe Beitrag „Der dritte Mann“, Seite 27). Um die Heuneburg bei Hundersingen an der Oberdonau, einem wichtigen Keltensitz in Baden-Württemberg, fanden Archäologen eine Untersiedlung und eine ausgedehnte Außenbefestigung mit fünf Meter tiefen Spitzgräben und Ziegelmauern.

„Seinen“ Fürsten hat Dr. Jörg Biel schon. Die ausgepflügten Steine und eine helle ringförmige Verfärbung nördlich seines Keltengrabes lassen ihn nun auf mehr spekulieren als ein paar Gesteinsbrocken – vielleicht ein Graben- oder Wallsystem wie in Hessen? Es wird spannend im Keltenland zwischen Stuttgart und Heilbronn. Die Kelten in Südwestdeutschland treten aus der Schemenwelt der Vergangenheit.

Ein wichtiger Schritt dazu war die penible archäologische Erschließung des Grabhügels in Hochdorf. Zum ersten Mal waren die Forscher vor den Grabräubern zur Stelle. Zweieinhalb Jahrtausende war der Tote ungestört geblieben. In einer zweijährigen Kampagne wurde das Grab des Fürsten von Hochdorf geborgen. Die Ausbeute war faszinierend: Neben den Überresten eines mit 1,87 Meter hünenhaften, etwa 40jährigen Mannes fanden die Archäologen ein fahrbares Bronzesofa (Kline), einen 500 Liter fassenden, löwenverzierten Bronzekessel aus Griechenland, vergoldete Trinkhörner, Bronze- und Keramikgefäße, Goldschmuck, Waffen, einen vierrädrigen, eisenbeschlagenen Wagen mit Pferdegeschirr und – rarer Glücksfall – Textilien. Zeit der Grablegung: 550 v. Chr. Die ganze Pracht war allerdings geknickt, geplättet, auf Zentimeter eingeebnet: Die Holzbohlen der Grababdeckung hatten dem Gewicht der aufgepackten Steine über die Jahrtausende nicht standgehalten.

Danach folgte das „Experiment Hochdorf“, das Biel und Co-Autoren im gleichnamigen Büchlein (siehe „Die Seite 99“) anschaulich und spannend beschreiben: Mit alten Methoden und Werkzeugen wurden die Fundstücke in mehrjähriger Puzzle-Arbeit bis in die Einzelheiten rekonstruiert. Das Ergebnis der Expertenarbeit ist im „Keltenmuseum Hochdorf“ (siehe Karte auf Seite 26) zu besichtigen. Ein Besuch, der sich sehr lohnt.

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Jörg Biel muß sich momentan vorrangig um den Aufbau eines keltischen Hauses neben dem Museum kümmern. Bei Baggerarbeiten war dort eine fünf Hektar große Ansiedlung entdeckt worden. „Das war keine normale Siedlung“, sagt Biel. „Ich bezeichne sie als Landsitz des Fürsten von Hohenasperg.“ Das leuchtet ein, denn das jetzt nachgebaute Gebäude hat eine stattliche Größe von 14 auf 10 Meter und reckt sich zweistökkig 9 Meter hoch. Zehn dieser Häuser standen hier zusammen, Biel tippt auf 200 bis 300 Einwohner. Solche Weiler gab es im südwestdeutschen Keltenland viele – das Land war um 500 v. Chr. laut Biel „außerordentlich dicht besiedelt“.

Der Weiler ist zum Leidwesen des Ausgräbers rund 100 Jahre jünger als das Fürstengrab. „Die Siedlung zum Grab selbst habe ich noch nicht gefunden, da fehlen mir zwei Zeitstufen“, bedauert der Archäologe. Denn bei bereits ausgegrabenen Ansiedlungen glaubt er ein Zeitmuster zu erkennen:

Sie wurden offenbar alle 50 Jahre aufgegeben, und etwas entfernt entstand ein neuer Mini-Ort. „Es sieht so aus, als ob die Siedlungen generationsweise verlagert wurden.“ Der Grund ist, wie so vieles bei den Kelten, noch unbekannt. Die Häuser der Hochdorf-Siedlung zeichneten sich durch aufwendige Zimmermannstechnik und handwerkliche Qualität aus. Außergewöhnliche Funde erfreuten die Ausgräberherzen, etwa feine, einheimische Keramik, die auf der damals gerade aus Griechenland importierten schnellrotierenden Töpferscheibe dünnwandig gedreht worden war.

Als „Knüller“ unter den Funden bezeichnet Biel die griechische Keramik: Sechs Scherben von rotfigurig bemalten Trinkschalen aus Athen. Einige sind so exquisit, daß man die Herstellung datieren (425 v. Chr.) und den Künstler namhaft machen kann (Eretria). Da fragt sich nicht nur der Ausgräber: Warum eigentlich und wieso hier? Solche Schalen waren Luxusgüter, der Löwenkessel ein Staatsgeschenk.

Was gab es in Keltenland, das einerseits griechische Händler aus ihrer Kolonie Massilia (Marseille) die Rhone hinauf an den Neckar kommen ließ? Was, zum anderen, veranlaßte die zweite Gruppe keltischer Partner – die etruskischen Potentaten in Italien -, über die Alpen hinweg Verbindung mit „barbarischen“ Fürsten zu suchen?

„Die kamen doch nicht auf einen Bauernhof“, insistiert Biel und entwirft ein Kultur- und Polit-Szenario für die keltische Blütezeit zwischen 600 und 400 v. Chr.: Das Land zwischen Burgund und Böhmen, zwischen Donau und Main hatte eine bäuerliche Grundstruktur, war aber handwerklich hochspezialisiert. Das setzt eine arbeitsteilige Gesellschaft voraus. An Orten wie Asperg-Hochdorf gab es lokale Feudalherren.

Das waren die Ansprechpartner für ausländische Herrscher. Die interessierten sich, wie die Händler, für die exquisiten Produkte der keltischen Schmiedetechnik und Textilherstellung. Der Kontakt mit dem Süden stärkte die einheimischen Machthaber und beeinflußte Kunst und Kultur. Sah man früher die Ursprünge keltischer Kunst bei den Persern und den Skythen, „so glauben wir heute, daß die Kelten die Anregungen aus dem Süden in eigenes Stilempfinden umgesetzt und Eigenständiges geschaffen haben“, umreißt Jörg Biel den Stand der wissenschaftlichen Diskussion. Als Ursprung der keltischen Kultur wird heute Südwestdeutschland nicht mehr angezweifelt.

Und wer nun waren die Kelten? „Darüber streiten wir uns gerade“, verblüfft Jörg Biel den Frager. Hierzulande gibt es ebenso wie in England und Spanien heftige Diskussionen: Haben sich die Menschen damals als Kelten verstanden, als ein Stamm, als ein Volk? „Sie waren nie eine Nation mit einem Herrscher an der Spitze“, gibt Biel zu bedenken.

Die antiken Quellen bezeichnen die Kelten als ungesellig. Die Siedlungsstruktur mit den vielen, aber stets vereinzelten Gehöften und Gutshöfen (Viereckschanzen) sprechen ebenfalls für Gruppen, die sich abgrenzen wollten. Die Zahl der überregional bedeutenden Machtzentren, die ab 200 v. Chr. aufkommenden und später von Caesar beschriebenen keltischen Städte, die Oppida, sind an zwei Händen abzuzählen: Manching in Bayern, Finsterlohr bei Creglingen, Heidengraben bei Bad Urach, Altenburg-Rheinau am Bodensee, Tarodunum bei Kirchzarten in Baden-Württemberg. Weiter nördlich dann: Donnersberg, Steinsburg, Amöneburg, Dunsberg und Heidetränke (siehe Karte auf Seite 28). Eine keltische Schrift wurde nie entwickelt. Ob es eine gemeinsame keltische Sprache gab, ist unklar. Selbst die verheerenden Keltenzüge (siehe „Fünf Fakten“, Seite 32) nach Rom und über den Balkan nach Griechenland und Kleinasien waren keine zentral gesteuerten Aktionen.

Diese Kriegszüge sind vielleicht ein Grund für das abrupte Ende der keltischen Fürstensitze um 400 v. Chr, die man sich sonst nicht erklären kann. Auch die Ursache für das Verschwinden der Oppida und Viereckschanzen ab 50 v. Chr. ist völlig unklar. Die Römer kamen erst später – drängten die Germanen vorher ins Land?

Eigensinnig wie sie waren, haben die Kelten keine schriftliche Nachricht hinterlassen, nur Materie. Die erzählt eine Menge über ihre Produzenten, aber vieles muß von Archäologen interpretiert werden. Der Kelte selbst schweigt. Einer davon ruht im Keltenmuseum Hochdorf und hütet sein Geheimnis.

Michael Zick

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