Eigentlich waren die Experten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover gar nicht auf der Jagd nach wissenschaftlichen Entdeckungen: Im Auftrag der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) wollten sie erkunden, ob ein geplantes Kraftwerk am nepalesischen Marsyangdi-Fluß durch den Wasserausbruch des höher gelegenen Thulagi-Gletschersees gefährdet ist. Denn schließlich sollen die Kredite nicht davonschwimmen, mit denen die KfW die nepalesische Regierung beim Bau des Kraftwerks unterstützen will.
In den letzten Jahrzehnten waren in Nepal und China immer wieder 4000 bis 5000 Meter hoch gelegene Gletscherseen vollständig ausgelaufen: gewaltige Lawinen aus mitgerissenem Schlamm und Geröll walzten in anliegenden Tälern Ortschaften nieder und zerstörten die Äcker. Ursache der Katastrophe war jeweils der Bruch des natürlichen Damms aus dem Geröll der Endmoräne, das bislang vom Eis des Dauerfrosts zusammengehalten wurde. Doch die ständig steigenden Durchschnittstemperaturen während der letzten Jahrzehnte setzen diesem „Zement“ zu – vielfach tauen die Dämme auf.
Auch am Thulagi-Gletschersee gibt es einen natürlichen Wall, den die deutschen Forscher um den Geophysiker Georg Delisle nun unter die Lupe nahmen. Mit Hilfe eines geoelektrischen Verfahrens und mit Radar untersuchten die Wissenschaftler den Wall und eine angrenzende etwa 300 mal 80 Meter große Ebene neben dem See – mit überraschendem Ergebnis: Ebene und Wall bestehen aus einem bis zu 100 Meter mächtigen Eiskörper, der sich unter einer Geröllschicht verbirgt.
Für das geplante Kraftwerk ist das eine gute Nachricht: Denn ein solcher massiver Eisblock schmilzt nicht plötzlich ab – der Damm wird auch in den nächsten Jahrzehnten den Wassermassen des Sees standhalten. Georg Delisle ist von der Entdekkung aber auch als Geowissenschaftler begeistert: „Der Eiskörper bietet die einzigartige Möglichkeit, das Klima in dem suptropischen Gebiet während der letzten kalten Epoche der Erdgeschichte zu studieren.“ Nach seiner Ansicht existiert der Eisblock schon seit 12000 bis 15000 Jahren. Dafür sprechen mächtige Geröllablagerungen, die aus der Zeit des letzten großen Eisvorstoßes stammen müssen. „Durch Bohrungen und Entnahme von Eiskernen könnte man diese Vermutung bestätigen“, sagt Delisle. So träumen die Wissenschaftler von einer weiteren Expedition – doch dafür muß zuerst ein Geldgeber gefunden werden.
Frank Frick