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Der Robonaut aus Oberpfaffenhofen

Allgemein

Der Robonaut aus Oberpfaffenhofen
Deutsche Ingenieure haben Leichtbauarme und geschickte mechatronische Hände entwickelt, die Roboter zu unermüdlichen Assistenten im Weltraum machen sollen. Sie sind überzeugt, im Rennen mit NASA-Ingenieuren vorne zu liegen.

Roboter sind allgegenwärtig – in Kino-Filmen und Science-Fiction-Romanen. Dazu kommen spektakuläre, über die Medien verbreitete Aktionen, die sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben. Sie reichen vom Androiden Asimo des japanischen Honda-Konzerns, der am 14. Februar dieses Jahres die New Yorker Börse eröffnete, bis zurück zu den Konzerten der Gruppe Kraftwerk in den achtziger Jahren, bei denen menschenähnliche Blechkameraden die Musiker auf der Bühne ersetzten. „Für Showeffekte sind Roboter immer gut“, sagt Prof. Gerd Hirzinger vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Wohl auch deshalb, glaubt der Direktor des DLR-Instituts für Robotik und Mechatronik in Oberpfaffenhofen, hätten viele Menschen falsche Vorstellungen von deren Leistungsfähigkeit. Bis heute haben Roboter Schwierigkeiten, einen Schraubenzieher zu handhaben oder ein Getränk einzuschenken. Und sie scheitern, wenn sie sich selbstständig in einer komplexen Umwelt orientieren sollen. Doch nun spricht Hirzinger von einem Durchbruch. In diesen Tagen stellen er und sein Team auf der Hannovermesse wesentliche Komponenten einer neuen Robotergeneration vor: künstliche Arme, jeweils 1,20 Meter lang und 13 Kilogramm leicht. Während etwa Industrieroboter höchstens ein Zehntel ihres eigenen Gewichts tragen können, bewegt der Roboterarm aus Oberpfaffenhofen Gegenstände durch den Raum, die ein ähnliches Gewicht haben wie er selbst. Damit stößt er erstmals in menschliche Dimensionen vor, auch wenn das Verhältnis von Eigengewicht und Traglast bei ihm immer noch etwas schlechter ist als bei seinem natürlichen Vorbild. In punkto Ausdauer ist er dagegen überlegen: Keine Chance beispielsweise ließe er einem Menschen in einem jener Gaudi-Wettbewerbe, bei dem ein Maßkrug möglichst lange mit ausgestrecktem Arm gehalten werden soll. Dabei verbraucht der neue Roboterarm nur so viel Strom wie eine starke Glühbirne. Sparsamer Umgang mit Energie und geringes Eigengewicht sind Voraussetzung, damit Roboter im All arbeiten können. Jedes Kilogramm Nutzlast, das dorthin geschossen wird, kostet viele tausend Euro, und Energie ist nur sehr begrenzt verfügbar. Besonders bei Außenbordeinsätzen wäre es sinnvoll, die Astronauten durch „Robonauten“ zu ersetzen: Was oft schlicht als Weltraumspaziergang bezeichnet wird, ist ein lebensgefährliches und teures Unternehmen. Die Astronauten werden dafür am Boden intensiv trainiert. Auf der Raumstation oder dem Raumschiff müssen sie sich lange vorbereiten und vor dem Ausstieg wegen der Druckverhältnisse bis zu vier Stunden in einer Schleuse verharren. Draußen im All sind sie dann in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt und wenig geschickt – stecken sie doch in dicken Raumanzügen, die prall mit Sauerstoff aufgeblasen sind. Für Roboter dagegen ist es fast egal, ob sie auf der Erde oder im All arbeiten. Trotzdem war der DLR-Experte Hirzinger sehr erstaunt, als die amerikanische Raumfahrtagentur NASA vor zwei Jahren bekannt gab, dass sie einen Robonauten entwickelt – vollführte sie doch damit einen radikalen Schwenk in ihrer Philosophie. „ Schließlich sah die NASA in ihren Astronauten lange Zeit Helden, die ohne Konkurrenz sein sollten“, sagt er. So hätten auch nicht nur gute Wünsche das Oberpfaffenhofener Team begleitet, als es während der Spacelab-D2 Mission 1993 erstmals in der Geschichte der Raumfahrt einen Robotergreifer – ROTEX – in den Weltraum schickte und von der Erde aus fernsteuerte. Heute sprechen die NASA-Ingenieure von Robotern als den „Kumpeln der Astronauten“. Die Ursache für das Umdenken jenseits des Atlantik hat wohl wesentlich mit der Internationalen Raumstation zu tun. Auf ihren Internetseiten begründen die „Väter“ des US-Robonauten ihre Forschungsarbeiten mit dem steigenden Bedarf der NASA an Außenbordeinsätzen – und schreiben weiter: „Weltraumspaziergänge sind für die meisten Missionen geplant, die der Montage der Internationalen Raumstation dienen. Und sie sind eine große Chance, eventuelle Fehler zu beheben, die während der Erdumrundungen auftreten.“ Die künstlichen Gliedmaßen aus Oberpfaffenhofen verdanken ihr geringes Gewicht zum einen ihrem Gerüst aus Kohlefaser-verstärktem Kunststoff, vor allem aber den neu entwickelten Motoren in den Gelenken. Sie wiegen weniger als 400 Gramm – und damit nur halb so viel wie herkömmliche Modelle. Außerdem kommen sie mit der Hälfte der Energie aus. Und während die Gelenke beispielsweise von Industrierobotern ausschließlich durch die Vorgabe von Drehwinkeln gesteuert werden, sind in den Gelenken des neuen DLR-Arms Drehmomentsensoren integriert. „ Dadurch spürt der Arm die Kräfte, die er auf seine Umgebung ausübt, und den Widerstand, der sich ihm entgegenstellt – er wird gleichsam gefühlvoll“, erklärt Hirzinger. Wenn ein Mensch versucht, den Roboterarm aus seiner Position zu bringen, hat er leichtes Spiel oder einen schweren Stand – je nachdem, auf welche „Nachgiebigkeit“ der Arm gerade programmiert ist. „Als wir diese Art der Steuerung entwarfen, wollten wir das Anspannen des menschlichen Muskels imitieren“, sagt Hirzinger. Und noch etwas haben er und seine Mitarbeiter von der Natur abgeschaut: Der Roboterarm des DLR hat wie sein menschliches Pendant sieben voneinander unabhängige Bewegungsmöglichkeiten – Fachjargon: Freiheitsgrade – und damit eine mehr als unbedingt nötig, um eine beliebige Position und Orientierung im Raum einzunehmen. Deshalb sind seine Bewegungen weniger unbeholfen als die herkömmlicher Modelle. Außerdem kann er so mit dem „Ellbogen“ besser ausweichen, wenn eine Kollision mit einem Menschen oder Gegenstand droht. Der Kunstarm lässt sich aus wenigen Komponenten – Gelenken und Gliedern – zusammenbauen. Mit diesem modularen Konzept wollen die DLR-Wissenschaftler sicherstellen, dass der Arm einfach zu fertigen ist und später einmal in Serie gehen kann. So soll verhindert werden, was Hirzinger immer wieder beobachtet hat: „Forschergruppen konstruieren Roboter, die für spezielle Aufgaben sehr geeignet sind. Doch nach dem Bau eines Prototypen schlafen die Arbeiten wieder ein.“ Wenn er von künftigen Einsätzen der Leichtbauarme redet, hat Hirzinger nicht nur die Robonauten, sondern auch irdische Einsätze der Serviceroboter im Sinn. Vor allem behinderten, kranken und alten Menschen könnten automatische Diener Routinearbeiten wie Einkaufen oder Putzen abnehmen. Dieser Anwendung schreibt die „ International Federation of Robotics“ (IFR), in der sich Roboterexperten aus 22 Ländern zusammengeschlossen haben, eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung von Robotern in den nächsten zehn Jahren zu. Mit konkreten Verkaufsprognosen hält sich die IFR, deren Mitglieder Industrie, Handel und Forschung repräsentieren, allerdings zurück. Die US-Marktforscher von ActiveMedia Research sind da weniger zimperlich: Sie sagen voraus, dass der weltweite Markt für mobile Roboter – einschließlich Rasenmäher-, Staubsauger- und Spielzeugroboter – von 665 Millionen Dollar im Jahr 2000 auf 17 Milliarden Dollar im Jahr 2005 wachsen wird. Durch die Tüfteleien der Oberpfaffenhofener Experten scheint nun der Weg frei zu Robonauten und Butler-Robotern, die Gegenstände ähnlich geschickt wie der Mensch ergreifen, festhalten, zusammenfügen, drehen und verstellen können. Der neue Roboterarm ist dabei die perfekte Ergänzung zu der künstlichen „Vier- Finger-Hand II“, die das DLR-Team im letzten Jahr vorstellte. In den Spitzen des Daumens und der drei übrigen Finger dieser geschickten und feinfühligen Hand befinden sich Sensoren, die alle Kräfte und Drehmomente messen. „Vier Finger sind technisch etwas einfacher zu integrieren als fünf“, begründet Hirzinger die Anzahl der Gliedmaßen an der DLR-Hand. Und weiter: „Die Evolution hat dem Menschen einen Finger mehr verliehen als er unbedingt braucht.“ Drei Gelenke geben jedem Roboterfinger eine große Beweglichkeit. In der Handfläche ist ein zusätzlicher Antrieb eingebaut, sodass sie sich etwas der Form des gegriffenen Gegenstands anpassen kann. Genau wie der DLR-Arm zeichnet sich die Vier-Finger-Hand dadurch aus, dass sie die gesamte Sensorik, Antriebs- und Kommunikationselektronik enthält. Lediglich zwölf Leitungen führen nach außen. Dadurch kann die Hand unterschiedlichen Androidenmodellen zu großer Fingerfertigkeit verhelfen. Die Extremitäten des US-Robonauten sind etwas anders aufgebaut: Bei ihm sitzen die Antriebe und die Elektronik für die Hand im Unterarm. Die Hände des Prototypen mit seinen fünf Fingern sind ähnlich geschickt wie die DLR-Hand, aber nicht so kräftig. Beide haben immer noch deutlich weniger voneinander unabhängige Bewegungsmöglichkeiten als das menschliche Vorbild: 13 und 14 Freiheitsgrade stehen hier 22 Freiheitsgraden gegenüber. Der NASA-Roboter besteht ansonsten aus einem Kopf, hinter dessen Augen eine Stereokamera steckt, sowie aus zwei Armen, einem Aluminium-Körper und einem Bein, mit dem er sich von außen an die Internationale Raumstation anklinken kann. DLR- und NASA-Roboter lassen sich beide per Fernsteuerung bedienen: Ein menschlicher Roboterführer macht Handbewegungen, die von Sensoren im übergestülpten Datenhandschuh registriert und übertragen werden. Die Androidenhand kopiert die Bewegungen dann, sobald sie die Signale empfängt. Über Kamerabilder oder die Rückmeldung von Kräften erkennt der Roboterführer, welche Wirkung seine Bewegung hatte, zum Beispiel ob der Robonaut ein Objekt wie gewünscht gegriffen hat. Wie lange die übertragenen Signale unterwegs sind, hängt davon ab, wie weit der Roboter und sein Operateur voneinander entfernt sind. Befinden sich beide auf der Erde, gibt es normalerweise keine Probleme. Wäre der Roboter aber im All stationiert, könnten Verzögerungen von mehreren Sekunden es fast unmöglich machen, ihn auf diese Art von der Erde fernzusteuern. Die Informatiker und Ingenieure aus Oberpfaffenhofen haben deshalb Methoden entwickelt, um die Aktivitäten von Roboterarm und -hand aus der Ferne zu programmieren: Ihr raffiniertes Computerprogramm entwirft zunächst eine dreidimensionale Grafik von der Umgebung des Roboters, also etwa von einem Labor der Internationalen Raumstation. In dieser virtuellen Welt kann im Prinzip jedermann an der Programmierung arbeiten: Man öffnet zum Beispiel mit einer eingeblendeten Hand eine Schublade, nimmt ein Messgerät heraus und stellt es auf einen Tisch. So erzeugt der Operateur die Befehle, die zu einem späteren Zeitpunkt an das Bordsystem der Raumstation abgeschickt werden könnten, um dort von dem Roboter ausgeführt zu werden. Tatsächlich gelang es den deutschen Wissenschaftlern bereits auf vergleichbare Weise, 1999 den frei fliegenden – wenn auch noch nicht menschenähnlichen – Weltraumroboter ETS VII der japanischen Raumfahrtbehörde NASDA zu kommandieren. Um das komplexe Hand-Arm-System aus der Ferne zu programmieren, wollen die DLR-Mitarbeiter mit Datenhelm und Datenhandschuhen in die virtuelle Welt eintauchen – genau wie die NASA-Ingenieure bei ihrem Robonauten. Und noch in einem anderen Punkt sind sich die Tüftler diesseits und jenseits des Atlantik einig: Wenn es ums Greifen und um die Manipulation von Objekten geht, ist die menschliche Hand das Maß aller Dinge. Hier wie dort hat man sie intensiv studiert. Das Ergebnis: Niemand weiß, was man technisch besser machen könnte, als die menschliche Hand so gut wie möglich nachzuahmen.

Kompakt

Neuartige Roboterarme und -hände haben die Natur als Vorbild: Sie sind stark, vielseitig verwendbar und sogar sensibel. Ein wichtiges künftiges Einsatzfeld für Robonauten: Brenzlige Außenarbeiten bei Raumfahrtmissionen – programmiert und gesteuert per Fernbedienung von der Erde aus. Auch Servicerobotern für den Haushalt sollen die metallenen Greifer das nötige Fingerspitzengefühl verleihen.

Dr. Frank Frick

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Wur|zel  〈f. 21〉 1 〈Bot.〉 der Befestigung u. der Ernährung dienendes Pflanzenorgan 2 〈Anat.〉 Stelle, an der ein Glied, Organ u. Ä. ansetzt, angewachsen ist (Hand~, Zahn~, Zungen~) … mehr

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