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Der Vermittler – Ernst-Ludwig Winnacker

Allgemein

Der Vermittler – Ernst-Ludwig Winnacker
Der Münchner Genforscher wird Chef der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Wie kaum ein anderer Genforscher sucht Ernst-Ludwig Winnacker den Dialog mit der Öffentlichkeit. Seine Toleranz, gepaart mit Zielstrebigkeit, kann er als oberster Förderherr der Universitäten gut gebrauchen.

Pathos ist Ernst-Ludwig Winnackers Sache nicht. Einmal wurde er nach dem Sinn seines Lebens gefragt. Um Präzision bemüht, gab Winnacker zu Protokoll, daß in seinem Fall der Lebenssinn darin bestehe, etwas zu tun, was einen selbst und die Familie ernährt, was einen befriedigt, ausfüllt und was Spaß macht, was etwas Neues bringt und was einen jeden Morgen mit Anstand vor den Spiegel treten und ins eigene Gesicht schauen läßt.

Weil also Winnacker derart nüchtern – allenfalls mit einem Schuß milder Ironie – Antwort auf die Frage aller Fragen erteilt, sei hier ein bißchen von dem fehlenden Pathos nachgereicht: Vielleicht ist, neben vielem anderen, der Sinn von Winnackers Leben auch in jener Vermittlertätigkeit zu suchen, die er, der Molekularbiologe, der Genforscher, gegenüber der Öffentlichkeit ausübt.

Seine Wissenschaft berührt unser Grundverständnis von Leben – und ist darum vielen unheimlich. Molekularbiologische Prozesse griffig zu erklären, Vorurteile abzubauen, nach Antworten auf wesentliche Fragen der Gegenwart zu forschen, die durch den wissenschaftlichen – und mehr und mehr auch industriellen – Umgang mit Genen aufgeworfen werden, empfindet Winnacker als Aufgabe.

Frühzeitig, sagt er, sei er sich darüber klargeworden, daß Forscher ihre Ziele und Methoden in aller Offenheit darzulegen haben und zwar in einer Sprache, die eben nicht die codierte Sprache aus dem Elfenbeinturm ist, sondern die jedermann versteht.

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Mitunter bringt ihn sein Engagement als Brückenbauer zur Öffentlichkeit in den Verdacht, ein glühender Verfechter der Gentechnik zu sein oder, wie es einmal hieß, ein eiskalter Akzeptanz-Beschaffer. „Dummes Zeug“, sagt er. Richtig ist indes, daß Winnacker nicht gleichbei jeder Genbehandlung einer Pflanze die Welt untergehen sieht. Richtig ist auch, daß er in seiner unentwegten Suche nach griffigen Metaphern ironisch auch schon mal von „Tomaten-Seelsorgern“ spricht, wenn sich die Gendiskussion zu sehr auf genbehandelte Lebensmittel konzentriert.

Die wirklichen Risiken im Umgang mit Genen sieht Winnacker dort, wo das Genom des Menschen als aufschlußreicher Informationsträger zum Objekt der Begierde wird: bei Versicherungen, Arbeitgebern, am Ende vielleicht sogar beim Staat. Und wie wird die Psyche des einzelnen mit der Erkenntnis fertig, daß die Krebsanfälligkeit in seiner Familie außerordentlich hoch ist?

Bei der Anwendung der Gentechnik, sagt Winnacker, gebe es vor allem ethische Risiken. Die Gentechnik an sich sei dagegen ein ganz wichtiges Handwerkszeug geworden. Aber die Leute, sagt Winnacker, hätten noch immer nicht zu unterscheiden gelernt, daß Mais etwas anders ist als eine Maus und eine Fliege etwas anderes als ein Mensch: „Das Leben ist viel zu vielfältig, als daß es sich über einen Kamm scheren ließe.“

Sorgfältig auf Begreifbarkeit und Begrifflichkeit bedacht, diktiert Winnacker dies im vierten Stock eines mausgrauen Zweckbaus aus Glas und Stahl in den Reporterblock. Winnacker ist Leiter und Gründer des Gen-Zentrums der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität und bewohnt dort eine wissenschaftliche Zelle, in der außer ihm selbst nicht viel mehr als ein mit Papier überhäufter Schreibtisch samt Anbauten, ein Personal Computer mit Internet- Anschluß und das blaurote Riesenmodell einer kunstvoll verschlungenen Genkette Platz haben.

Auf dem Flur hat jemand einen Mäusekäfig abgestellt, dessen Insassen auf einem Tretrad so hektisch herumstrampeln, als hätten sie es eilig mit ihrem Leben für die Wissenschaft. Weiter den Gang entlang findet der Besucher jene Labors, welche die Genforschung einerseits als faszinierend, andererseits aber auch als unheimlich erscheinen lassen: das in Reagenzgläsern konservierte Urleben. Die Hochdruckkammern, Rüttelapparate, Planschbekken für Zellen, die sich teilen und vermehren. Die auf Papier sichtbar gemachten Teilabschnitte eines Genfadens. Der ausbruchsichere Trakt für gefährliche Bakterien und Viren. Am anderen Ende des Flurs also residiert Winnacker.

Man muß Glück haben, wenn man ihn antreffen will. Im Labor, am Mikroskop, ist er, der Institutsleiter, Hochschullehrer, Öffentlichkeitsarbeiter, wissenschaftliche Schriftsteller und Consultant für die Politik, ohnehin nicht mehr zu finden. Längst forscht er nicht mehr selber, sondern muß forschen lassen – leider, wie er sagt, denn die Arbeit im Labor habe er immer gern getan. Aber sie kann nur dann sinnvoll sein, wenn man keinen Terminkalender hat. Der von Winnacker ist übervoll.

Sein Büro ist deshalb meist verwaist. Genauer: Es hat lediglich die Funktion eines Rangierbahnhofs, auf dem Fahrdienstleiter Winnackers Bewegungen auf den wissenschaftlichen Gleisen kontrollieren, dirigieren: Vorlesung, Doktorprüfung, Unterredung in der Staatskanzlei. Noch eine Doktorprüfung, dazu noch eine Habilitation.

Alles schiebt sich zusammen, muß in die wenigen Tage hineingepreßt werden, an denen Winnacker nicht in wissenschaftlicher Mission auf Achse ist. Gestern Gießen. Zuvor Como. Morgen Frankfurt. Oder ist es Dresden? Überall Vorträge, Symposien, Seminare, Diskussionen mit und ohne Fernsehkamera, Dienstbesprechungen, neuerdings vor allem in Bonn.

Bonn habe ihn immer fester im Griff, sagt Winnacker. Wenn es sein muß, fliegt er gleich mehrmals am Tag hin und zurück. Bonn ist schon jetzt Winnackers neues Arbeitsfeld, obwohl er noch gar nicht sein Amt als Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) aufgenommen hat, „das schönste Amt, das man in der Wissenschaft erhalten kann“.

Aber es ist auch eines, das einen weiteren Teil seiner Arbeitskraft absorbieren wird: Herr über einen Apparat von gut 600 Mitarbeitern ist Winnacker von 1998 an, Chef einer Institution, die jährlich mehr als zwei Milliarden Mark an Forschungsgeldern sorgfältig kanalisiert in alle Bereiche der Wissenschaft fließen läßt. Es wird viel Konzentration erfordern, die mächtige Schleusenstation zwischen Geld und Forschung zu kontrollieren und nach außen zu repräsentieren.

Fast ist man geneigt, ein schlechtes Gewissen zu bekommen, wenn man dem verplanten Menschen Winnacker von seiner knappen Zeit ein weiteres Stück wegnimmt. Nur ein paar Fragen also nach Herkunft, Ausbildung, Motivation. Manches ist in Archiven nachzulesen, zum Beispiel, daß der Vater, Professor Karl Winnacker, nicht nur ein bekannter Chemiker, sondern in den sechziger Jahren auch Vorstand des Hoechst-Konzerns war, gleichermaßen ein Mann der Wirtschaft wie der Wissenschaft, und daß der Bruder ebenfalls Wissenschaftler ist, Physiker, Professor auch er. Da liegt es nahe, nach den Genen zu fragen, nach Erbanlagen in der Familie, nach deren Gewicht im Vergleich mit den Umwelteinflüssen.

Ernst-Ludwig Winnacker sagt, ihn habe geprägt, daß er im Frankfurter Elternhaus eben hauptsächlich Wissenschaft mitbekommen habe. Zwar habe er einmal überlegt, sich ganz dem Musischen, der Musik zuzuwenden. Aber am Ende habe er sich dann doch dafür entschieden, an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich Chemie zu studieren.

Spätestens als er sich für seine Doktorarbeit eine Facette aus der chemischen Synthese des Vitamins B12 aussuchte, war sein weiterer Weg vorgezeichnet, der mitten hinein in die Genforschung führte. Nach Zürich Weiterstudium an der kalifornischen Elite-Universität Berkeley bei Horace A. Barker, dem Entdecker der biologisch aktiven Form jenes Vitamins B12, dem sich Winnacker in Zürich zugewandt hatte. Kontakt im benachbarten Stanford mit dem Molekularbiologen Peter Reichard aus Schweden. Wechsel an dessen Stockholmer Karolinska-Institut und zu dessen Arbeitsgebiet, der Vermehrung von DNA. Dann, Anfang der siebziger Jahre, Assistentenstelle an der Universität Köln im Institut für Genetik im Sonderforschungsbereich. Dort Beschäftigung mit springenden Genen, Genkontrolle, Immunsystem. Und auch: Beschäftigung mit der Karriere.

Aus dem Assistenten Winnacker wurde der Professor, der einem Ruf nach München folgte und sich seit Anfang der achtziger Jahre nicht mehr nur mit den genetischen Bauplänen, sondern auch mit denen eines Münchner Gen-Zentrums beschäftigte. 1984 wurde Winnacker dessen Leiter. Wie sich wissenschaftliches Leben so entwickelt, ähnlich der Zellvermehrung: Winnacker wurde Mitglied der Bundestags-Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gen-Technologie“ und in München willkommener Gesprächspartner bei der Zukunftsplanung für die Forschung im Lande, besonders aber auf der grünen Wiese am Münchner Stadtrand, dem Standort seines Gen-Zentrums.

Überall, in der Politik, der Verwaltung, der Wissenschaft, wirkte Winnacker darauf hin, daß zusammenkommt, was zusammengehört: Chemie, Biologie, Medizin, Technologie. Das Gen-Zentrum erhebt sich neben dem Koloß des Großklinikums München-Großhadern und dem Max-Planck-Institut für Biochemie. In der Nachbarschaft sind privatwirtschaftliche Forschungsinstitute untergebracht. Im Rohbau erheben sich vor dem Fenster von Winnackers Büro, die Sicht auf die Natur versperrend, wuchtig die Universitäts-Neubauten für Chemie und Pharmazie. Von einer Campus-Idee spricht Winnacker und beansprucht dafür ein geistiges Mit-Urheberrecht. Das ganze Ensemble nennt er, ironisch lächelnd, ein Gesamtkunstwerk.

So blickt der heute 55jährige mit vergnügten Sinnen von seinem Büro auf das hinab, was er angeregt, mitgestaltet hat. Es ist ihm alles zum Erfolg geraten. Sein Institut hat einen Ruf, wie er glänzender nicht sein könnte. In Winnackers wissenschaftlichen Nachwuchsgruppen forschen Humanmediziner, Veterinärmediziner, Chemiker, Biologen mit ihren Mitarbeitern eigenverantwortlich – unüblich im verkrusteten deutschen Universitätsmilieu, aber längst wissenschaft-liche Arbeitsgrundlage im Forschungsparadies USA. Winnacker hat bei der Verwirklichung seiner Vorstellungen Erfahrung aus Berkeley eingebracht, wo er auch gelernt hat, wie wichtig die Kommunikation mit der Öffentlichkeit ist.

Als Winnacker die Sprache, die Sprachbilder gefunden hatte, um mit der Allgemeinheit kommunizieren zu können, begann er, populärwissenschaftliche Bücher zu verfassen, zuerst den „Faden des Lebens“, zuletzt „Das Genom“. Plötzlich war der Professor Winnacker ein prominenter Mann, begehrt in Talkrunden, Symposien, Arbeitszirkeln, überhäuft mit Ehrungen aller Art, Gastprofessur in Harvard, Mitgliedschaft in wichtigen naturwissenschaftlichen Akademien wie der Leopoldina in Halle, Bundesverdienstkreuz, Bayerischer Verdienstorden. Nebenbei gab es auch noch Nettigkeiten wie jene, als „Bayer des Jahres“ gekürt zu werden. Den Literaturpreis des Fonds der chemischen Industrie bekam er – natürlich – ebenfalls überreicht.

Den Menschen Winnacker hat das nicht sonderlich verändert, abgesehen davon, daß aus ihm ein Gehetzter geworden ist, Opfer seiner Prominenz und wohl auch seiner Unfähigkeit, nein zu sagen, wenn er seine Wissenschaft nach außen vertreten soll. Sollte Eitelkeit dabei mitspielen, so läßt Winnacker dies nicht erkennen. Aber ohnehin ist wahrscheinlicher, daß er seine Präsenz in den Medien als Ausdruck eben jener Verpflichtung gegenüber der Öffentlichkeit empfindet, die ihm sein Herrschaftswissen auferlegt.

Weil die Entwicklung in seinem Forschungsgebiet förmlich explodiert, kommt er aus dem Kommentieren, Diskutieren, Analysieren, Reflektieren nicht mehr heraus. Gestern noch der Streit über genbehandelte Lebensmittel. Heute bereits im Schaf „Dolly“ Realität gewordene Vision, daß Leben vervielfältigt werden kann wie der Inhalt eines Blatt Papiers im Kopierer.

Plötzlich ist das Klonen von Lebewesen Diskussionsgegenstand, und die Phantasie wuchert, auch der Mensch könne sich sein Ebenbild schaffen. Winnacker versucht, Falsches von Richtigem zu trennen und begreiflich zu machen, daß man selbst dann, wenn man – alle ethischen Bedenken über Bord werfend – einen Menschen klonen wollte, zwar einen neuen Boris Becker mit roten Haaren, aber deshalb noch lange keinen Wimbledon-Sieger kreieren könnte. Winnacker wirkt wie einer, der mit sich im reinen ist, der nach besten Kräften alles bedacht hat.

Was hat es am Anfang, in der ersten Aufregung nach der Bekanntgabe von Dollys Existenz nicht alles an Ideen gegeben – zum Beispiel daß eine Mutter ihr verunglücktes Baby wieder erschaffen oder der reparaturbedürftige Mensch seinen eigenen Organspender als Ersatzteillager herstellen könnte. Nicht praktikabel, nicht vernünftig, nicht vertretbar, nicht einmal vorstellbar – aus hunderterlei Gründen, läßt Winnacker wissen.

Heute, sagt er dann, gewissermaßen als Schlußwort vor dem Aufbruch zu einem neuen Termin, falle einem nichts, aber auch gar nichts mehr ein, was dafür spräche, daß man es tun sollte, das Klonen des Menschen.

Peter Sartorius

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