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Der Wecker reisst mich früh aus

Allgemein

Der Wecker reisst mich früh aus
Ein Tag in der experimenta kann ganz schön anstrengend sein, wie unsere Reporterin samt Kindern erfahren konnte. Und doch wollen alle unbedingt wiederkommen – warum nur?

Der Wecker reisst mich früh aus dem Schlaf, trotz Feiertag. Aber was tut man nicht alles für die Bildung seiner Kinder! Heute wollen wir die experimenta in Heilbronn besuchen. Noch im Dunkeln besteigen meine Tochter Chara, 15, mein Sohn Finn, 10, und ich den Zug. In Heilbronn angekommen, müssen wir nur fünf Minuten in Richtung Stadtkern gehen und sehen schon den roten Klinkerbau, der das Science Center beheimatet. Wir werfen einen kurzen Blick auf den Neckar, und schon sind wir da. „Hier ist ja alles grün!”, ruft Finn, als wir die Eingangshalle betreten – und da hat er recht: Im Foyer ist dies die vorherrschende Farbe. „Ist doch schön”, kontert meine Tochter, und damit reihen wir uns in die Schlange an der Kasse ein. Die nette Dame am Schalter übergibt uns drei Armbänder und erklärt gleich: „Mit denen können Sie sich später an einigen Exponaten einloggen und Ihre Messergebnisse speichern – da können Sie Ihre eigenen Talente entdecken.” Talente entdecken? Na, das hat Zeit. Jetzt verstauen wir erst einmal unseren Rucksack und machen uns auf in die Ausstellung ein Stockwerk höher.

Hier ist alles graugrün, und wir landen vor einer Info-Wand mit dem Etagenplan. Finn möchte sofort ganz nach oben ins „ Spielwerk”, Chara lieber in die „Werkstatt”, weil sie das Fach Technik in der Schule besonders liebt – und ich möchte in die Abteilung „Netzwerk”, denn da geht es um Kommunikation. Bevor es zum Streit kommt, sind die Kinder jedoch schon abgeflitzt, denn sie haben links von uns einen Raum mit vielen Bildschirmen entdeckt, auf denen ein Begrüßungsfilm läuft.

Ich weiß zuerst gar nicht, auf welchen Monitor ich mich konzentrieren soll. Auf jedem ist eine andere Person zu sehen. Wir scheinen mitten in eine Diskussion geraten zu sein, die über fünf Bildschirme hinweg geführt wird. „Wo liegen denn eure Interessen? Was könnt ihr denn besonders gut?”, fragt gerade ein Sprecher. Ah, auch hier geht es also um Talentsuche! Ganz zu Ende kann ich den Film leider nicht sehen. Denn schon hat Finn um die Ecke in den ersten Ausstellungsraum gelugt und ein „ Energiefahrrad” entdeckt. Wie wild tritt er in die Pedale, um dadurch zuerst einen CD-Spieler, dann einen Fernseher und zum Schluss auch noch einen Küchenmixer mit Strom anzutreiben. Offenbar ist er bereits entschlossen auf der Suche nach seinen Talenten. Chara und ich folgen ihm und gelangen durch eine Art Haustür in den Bereich „E-Werk”. Hier dreht sich alles um Energie.

KREUZEN GEGEN DEN WIND

Aber warum stehen da hinten auf dem Tisch kleine Segelboote? Es geht anscheinend um Windenergie – aber mit Segelbooten? Mir bläst warme Luft ins Gesicht, während sich meine Kinder zwei der Boote schnappen und versuchen, auf der glatten Fläche gegen den Wind zu kreuzen. Denn das ist die Aufgabe, die es hier zu lösen gilt: Wie komme ich mit den Booten auf Rädern über die Zielgerade, wenn aus drei Ventilatoren ein heftiger Gegenwind bläst? Die Segel lassen sich in verschiedene Richtungen drehen und fixieren. Finn probiert es mit Anschieben, was nicht gerade im Sinne des Versuchs ist, Chara erst einmal mit verschiedenen Segelpositionen. Mit Erfolg, das Schiff rollt vorwärts. Doch dreht es sich damit wieder aus dem Wind, und sie muss sich eine neue Segelposition überlegen. Nun packt auch Finn der Ehrgeiz, und er dreht heftig an seinem Segel. Als Nichtseglerin muss ich ganz schön nachdenken, bis ich kapiere, wie die Schiffe ins Ziel gelangen, und bin erstaunt, wie schnell die Kinder die Aufgabe gelöst haben.

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FLIEGEN MIT SONNENLICHT

Obwohl jeder von uns eigentlich ganz woanders hinwollte, beschließen wir nun, das „E-Werk” systematisch zu erkunden und erarbeiten uns die verschiedenen Energieformen. Besonders packt uns der Ehrgeiz bei den Sonnen-Fliegern: Solarbetriebene Flugzeuge müssen über Spiegel mit Licht versorgt werden, damit sie über unseren Köpfen ihre Runden drehen – mit den Spiegeln müssen wir ihren Kreisbewegungen folgen. Ich schaffe es auf zehn Runden und bin mächtig stolz. Doch während ich mich in einen Nachbau der Sonne setze, um über Kopfhörer etwas über Sonnenenergie zu erfahren, trainieren die Kinder eifrig weiter und schlagen mich um Längen. So hatte ich mir das eigentlich nicht gedacht.

Im zweiten Obergeschoss – hier ist alles in Blautönen gehalten – stürmen die beiden durch die Erfinder-Abteilung der „Werkstatt” , um vor einem zum Teil auseinandergebauten Automotor abzubremsen. Finn fragt mich nach jedem Einzelteil: „Was ist das? Und was ist das?” Irgendwann muss ich passen, und wir gehen mit Hilfe des Schaubilds das Innenleben des Motors durch. Chara hat unterdessen ein Exponat mit Zahnrädern entdeckt: „Das haben wir gerade in Technik durchgenommen”, strahlt sie und legt gleich los. „Sieht gar nicht so schwer aus”, denke ich und schnappe mir nach ihr die unterschiedlich großen bunten Zahnräder, ordne sie hintereinander auf dem Tisch, um mit ihnen ein silbernes Spielzeugauto anzutreiben, das auf einem Teller seine Kreise dreht. Plötzlich fährt das Ding rückwärts statt vorwärts. Chara lacht sich kaputt: „Mama, du musst die Richtung, in der sich die Zahnräder drehen, doch auch beachten.” „Grmpf”, denke ich und fange von vorne an. Aber jetzt habe ich den Dreh raus, und mein Auto saust nur so davon.

Plötzlich sehe ich, wie Finn wie verrückt an einem Exponat rüttelt. Ich will schon eingreifen, so kann man doch nicht mit Ausstellungsstücken umgehen! Doch bevor ich mit dem Schimpfen anfangen kann, sehe ich, dass hier Rütteln nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht ist. Mein Sohn spielt Erdbeben – und hat mächtig Spaß dabei. Das Hochhausmodell vor ihm stürzt ein. Doch ganz so beglückt schaut er danach nicht aus. Eher enttäuscht. „ Mama, guck doch mal. Wie muss ich denn die Klettstreifen an dem Ding befestigen, damit es nicht einstürzt?”, fragt er mich. Woher soll ich das wissen? Ich bin doch keine Architektin. Trotzdem hocken wir nun beide vor dem Modell und diskutieren darüber, wie die Klettstreifen am besten den Bau versteifen können. Als meine Tochter noch dazustößt, kommt es fast zum Streit. Jeder probiert seinen Vorschlag jetzt selbst aus. Dieses Mal scheint meine Idee am standhaftesten zu sein. Obwohl Finn nachher behauptet, ich hätte nicht fest genug gerüttelt.

MIT FLASCHENZUG GEHT´S LEICHTER

Schon hat er eine neue Baustelle entdeckt und versucht, über eine einfache Seilwinde einen 20-Kilo-Sack hochzuziehen. Mächtig schwer ist das, wie er feststellt. Aber beim Flaschenzug daneben hievt er denselben Sack mit Leichtigkeit in die Höhe. Chara testet derweil ihre ruhige Hand: Von einem bequemen Sitz aus muss sie mit zwei kleinen Hebeln einen Kran steuern. Ihre Aufgabe ist es, einen Sensor entlang einem Draht zu bewegen, den sie nicht berühren darf. Beim ersten Mal gelingt es nicht ganz: Chara touchiert den Draht, und es ertönt eine schreckliche Sirene. Aber schon beim zweiten Mal meistert sie die Aufgabe mit Bravour. Doch dann zischt sie davon. Sie hat eine Art fliegenden Teppich entdeckt. Über Druckluft kann man auf ihm in verschiedene Richtungen gleiten. Toll. Das muss ich auch gleich ausprobieren. Viel Zeit habe ich dazu nicht, denn schon kommt Finn und drängelt, er will auch.

TEAMARBEIT AM Roboterarm

Endlich ist der Roboterarm frei geworden. Hier können wir gemeinsam spielen. Naja, eigentlich zu viert, denn es gibt vier Hebel zum Ansteuern des Arms. Aber wir machen es einfach zu dritt. Die Kinder nehmen jeweils einen Joystick, wie vorgesehen, und ich versuche mich an zweien gleichzeitig. Ganz so einfach ist es nicht, mit dem Roboter einen Ball vom Tisch zu greifen und ihn an einer anderen Stelle durch einen Ring zu werfen. „Du kommst dran.” „Nein, du!” Wir fangen an, uns gegenseitig zuzurufen, wer nun an der Reihe ist, seinen Hebel zu bewegen, und sind nicht immer einer Meinung. Doch auf einmal geht es, und wir werfen – zwar etwas stockend, aber erfolgreich – den Ball ins Ziel. Klasse Teamarbeit.

Nun geht es endlich zu meinem Lieblingsthema, ins „Netzwerk”. In den dritten, magentafarbenen Stock. Chara und Finn maulen, darauf haben sie keine Lust. Trotzdem kommen sie mit. Kurz hinter dem Eingang können wir uns hinsetzen und uns ein und dieselbe Geschichte über Kopfhörer aus vier verschiedenen Perspektiven anhören: Wie sah es die Mutter, wie der Vater, wie die Tochter und der Sohn? „Das ist ja wie bei uns zu Hause”, findet Finn. Aber Chara protestiert: „Nee, so doof bin ich nicht.”

Richtig begeistert sind die Kinder erst wieder, als sie mich mit Worten durch ein Labyrinth leiten müssen. Ich habe eine Brille auf und sehe nichts. Hoffentlich lassen sie mich nicht gegen eine Wand rennen. „He, ich kann euch nicht verstehen, wenn ihr dauernd lacht”, rufe ich verzweifelt, und dann lotsen sie mich netterweise doch ganz schnell durch das Labyrinth. Danach darf ich die beiden mit Worten lenken. Bei Chara komme ich ins Schwitzen, denn sie rennt mit einem derartigen Vertrauen los, dass ich sie bitten muss, langsamer zu gehen, um in Ruhe „links”, „rechts” oder „geradeaus” sagen zu können.

In das vierte, in Orangetönen gestaltete Obergeschoss rennt Finn geradezu. Endlich ist er im „Spielwerk”, wo er von Anfang an hin wollte. Schon trommelt er auf einer Art Röhrentrommel. Chara macht mit. Das klingt richtig gut. Ich will es auch einmal ausprobieren. Doch meine Kinder sitzen bereits an einem Tisch mit Kopfhörern und singen komische Sachen in die vor ihnen stehenden Mikrofone. Was soll denn das? „Komm, Mama, das musst du dir anhören”, ruft Chara und reicht mir einen freien Kopfhörer. Ich höre ein seltsames Quietschen und zwei total verzerrte Stimmen. Sind das Finn und Chara? Aus Neugierde drücke ich einen der Knöpfe auf dem Tisch und ein „Jah, Jah” im besten Hip-Hop-Slang ertönt. Begeistert presst jetzt auch Finn verschiedene Knöpfe und wir werden mit Schlagzeugwirbel, Quietscheenten-Soli und anderen fremden Geräuschen eingedeckt. Das macht Spaß. Finn pustet in das Mikro und schon entsteht ein neuer Sound. Nun pusten, reden, singen wir zu dritt und es klingt mächtig cool und verrückt zugleich. Als ich die Kopfhörer einige Zeit später abnehme und in die Runde blicke, ist es mir dann doch ein bisschen peinlich. Wir sind ganz schön laut gewesen! Egal.

ALLES – NUR KEIN VOLKSTANZ!

In der nebenan stehenden „Tanzbox” geht es gleich mit Hip-Hop weiter. Auf einem Bildschirm wird uns vorgemacht, wie so ein echter Hip-Hop-Tanz auszusehen hat. „Cool”, findet Finn und legt gleich los, Chara ebenfalls. Ich tue mich mit den Bewegungen etwas schwer. Die Kinder prusten los, als sie in den umstehenden Spiegeln sehen, wie ich mich abzappele. Plötzlich ertönt ein ukrainischer Volkstanz. Und dieses Mal falle ich fast um vor Lachen, als ich die entsetzten Gesichter der Kinder sehe. „He, probiert das doch mal aus!”, rufe ich ihnen hinterher, doch sie verlassen fluchtartig die Tanzbox. Da wir aber gerade so richtig in Schwung sind, versuchen wir uns gleich noch bei den sportlichen Angeboten. Chara fährt locker auf einem „ Balance-Fahrrad”, das eigentlich nur aus Pedalen besteht und zwei Seilen, die von oben herabhängen und als Festhalte-Hilfe dienen. Wie macht sie das bloß? Naja, sie kann ja auch Einrad fahren, was für mich immer ein Mysterium bleiben wird. Finn schlägt derweil wie wild um sich. Was ist das für ein Sport? Ah, jetzt sehe ich es auch. Er spielt „Volleyball”, am Strand. Es sieht lustig aus, wie er in die Luft boxt und baggert, um einen virtuellen Ball auf dem Bildschirm zu treffen.

MEINE TALENTIERTEN KINDER

Völlig verschwitzt und zufrieden kommen wir nach langer Zeit aus dem „Spielwerk”. Jetzt geht es an die Auswertung der Talente. Chara und Finn zeigen dem PC ihre Armbänder. Leider haben sie nicht alle Stationen mit Auswertemöglichkeit durchgemacht, es war einfach zu aufregend und zu viel. Aber das macht nichts, die Kinder bekommen trotzdem eine Einschätzung ihrer Talente.

Chara freut sich, dass sie in Musik so gut abschneidet, und ist überrascht, dass ihr auch ein Kommunikationstalent zugesprochen wird. Dabei hatte sie sich nur auf Technik konzentriert. Finn findet es spitze, dass er ein Forschertalent ist und auch so gut kommunizieren kann wie seine große Schwester. Und ich ärgere mich, dass ich nicht auch an den Exponaten mein Armband benutzt habe. Es hätte mich jetzt doch interessiert, welche Talente in mir schlummern, auch wenn ich kein Kind mehr bin.

Hier oben können Chara und Finn nun in einzelnen „ Talentschmieden” weiter an ihren Fähigkeiten feilen. Chara möchte unbedingt in die „Musikschmiede” und Finn in die „Roboschmiede”. Ich stimme zu, bin aber schon ziemlich kaputt. Zur Erholung lasse ich mich auf einem der Hocker im Flur niedersinken. Neben mir sitzt ein Vater, der ebenfalls recht erschöpft wirkt. Als die Kinder wieder auftauchen, sind auch sie müde. Eigentlich wollten sie noch weitere Talentschmieden erkunden. Doch inzwischen ist es spät geworden. Sechs Stunden waren wir nun hier, und zumindest mir raucht der Kopf. Die Kinder sind enttäuscht. „Wisst ihr was?” , schlage ich vor. „Wir kommen einfach noch einmal in die experimenta. Und dann bin ich bei der Talentsuche ebenfalls dabei.” Mit dieser Aussicht machen wir uns getrost auf den Heimweg. ■

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