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Der wirbelnde Kern

Allgemein

Der wirbelnde Kern
Warum das Erdinnere schneller rotiert als die Kontinente. Computer-Simulationen sind der Schlüssel zum Erdkern. Dort entsteht das komplexe Magnetfeld, das alles Leben auf der Erde schützt.

Nur ein paar lächerliche Zentimeter im Jahr verschieben sich die Kontinente – und lösen doch auf der Erde gewaltige Erdbeben aus, lassen Vulkane bersten und türmen Gebirge auf. 3000 Kilometer tiefer legt die Erde noch einen Gang zu – trotzdem spüren wir davon wenig: Eine Million mal schneller als sich die behäbigen Kontinente über den Globus schieben, strömt flüssiges Eisen durch den Erdkern. Etwa 100 Kilometer im Jahr legt die Schmelze zurück, die so dünnflüssig ist wie Wasser. Für uns ist das ein Schneckentempo, für die Erde dagegen äußerst rasant. Bemerkbar macht sich dieses bewegte Innere für uns lediglich durch die magnetische Kraft, die die Kompaßnadel nach Norden zieht und durch zauberhafte Polarlichter.

Im flüssigen Erdkern – das ist seit etwa 50 Jahren bekannt – liegt der Ursprung des Erdmagnetfeldes. Felder supraleitender Elektromagneten können zwar eine halbe Million mal stärker sein als das Erdmagnetfeld, aber nur auf viel kleinerem Raum. Das flüssige Eisen im Erdkern, von der Erdrotation zu gewaltigen Wirbeln geformt, erzeugt ein Feld, das auf der sonnenzugewandten Seite 50000 Kilometer in den Weltraum reicht und geladene Teilchen ablenkt. Seit mindestens einer Milliarde Jahre existiert es in seiner heutigen Stärke.

Das belegt unter anderem magnetisiertes Lavagestein, in dem die Geschichte des Erdmagnetfeldes wie auf einem Tonband gespeichert ist: An den mittelozeanischen Rücken driftet die Erdkruste auseinander, und neuer Ozeanboden entsteht aus aufquellendem Magma. Wenn es abkühlt, wird es durch das Erdfeld magnetisiert und friert die momentane Feldrichtung ein. So werden Veränderungen detailliert aufgezeichnet. Über den Ursprungsort des Feldes, den Erdkern, verrät der Meeresboden allerdings nichts.

Abgeschirmt durch 2900 Kilometer Mantelgestein widersetzt sich der Erdkern der Neugier der Geophysiker. Bohrungen können da nicht weiterhelfen, denn die tiefsten enden 2886 Kilometer vor dem Kern. Die Geophysiker Dr. Gary Glatzmaier vom Los Alamos National Laboratory in New Mexico und Paul Roberts von der University of California in Los Angeles fanden einen Ausweg: Sie schufen mit Computerhilfe das erste Modell eines sich selbst erhaltenden Magnetfeldes in der Erde. Ihr komplexes Programm ermöglicht erstmals eine Entdeckungsreise durch das Innere unseres Planeten.

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Beim Abstieg in die Unterwelt geht es zuerst 30 bis 70 Kilometer durch die dünne, starre Erdkruste. Darunter liegt der Erdmantel, dessen oberer Teil wie die Kruste aus festem Gestein besteht. Mit wachsender Tiefe wird es dort zusehends heißer: Etwa 3700 Grad herrschen an seiner Sohle. Die Gesteine des Mantels verhalten sich kurzfristig betrachtet wie starr, in langen Zeiträumen werden sie aber plastisch wie Wachs.

In dem zähen Kreislauf der Plattentektonik steigt heißes Mantelgestein auf, quillt an den mittelozeanischen Rücken hervor und drückt die Kruste auseinander. Alte Platten werden an sogenannten Subduktionszonen, zum Beispiel bei Japan, verschluckt und tauchen vermutlich bis zum Boden des Mantels ab. Bevor das Material erneut erhitzt wird und aufsteigt, findet es vorläufig Ruhe in einer 200 Kilometer breiten Übergangszone zwischen Kern und Mantel, der sogenannten D“-Schicht (siehe bild der wissenschaft 5/1995, „Geheimnisvolle Botschaft aus der Tiefe“). Darunter, in 2900 Kilometern Tiefe, ändert sich die Chemie so drastisch wie zwischen Erdkruste und Atmosphäre: Hier beginnt das Eisenmeer des äußeren Erdkerns. Die letzte Grenze unseres Planeten liegt in 5100 Kilometern Tiefe. Durch den 300 millionenmal so hohen Druck wie an der Erdoberfläche erstarrt dort das Eisen und bildet den festen inneren Kern. In dessen Zentrum, im Mittelpunkt der Erde, ist es 5000 Grad heiß.

Diese gewaltige Hitze ist es aber nicht, was die Energie für das Erdmagnetfeld liefert – sondern das Wachstum des inneren Kerns. Genauer gesagt steckt die Energie im Sauerstoff, der dem Eisen des äußeren Kerns beigemengt ist. Beim Erstarren stößt das Eisen den Sauerstoff ab, der sich an der Grenze zum inneren Kern sammelt. Die Kern-Flüssigkeit dort wird dadurch leichter und steigt auf, ähnlich wie Wasserdampf-Blasen vom Boden eines heißen Kessels. Die Rotation der Erde lenkt die aufquellende Eisenschmelze seitlich ab. Gewaltige Walzen von teils 200 Kilometer Durchmesser entstehen. Sie ähneln Hoch- und Tiefdruckgebieten in der Atmosphäre, für deren wirbelförmige Struktur ebenfalls die Erdrotation verantwortlich ist.

Mit dem fließenden Eisen bewegen sich elektrische Ladungen und erzeugen elektrischen Strom, der wiederum ein zeitlich veränderliches Magnetfeld erregt. Ein kreisförmiger Strom würde ein dipolförmiges Magnetfeld wie das eines Stabmagneten hervorrufen. Doch obwohl auch das Erdmagnetfeld im wesentlichen diese einfache Form hat, ist der Prozeß, der es erzeugt, viel verwickelter als ein schlichter Kreisstrom.

Kompliziert wird es, weil das Eisen flüssig ist. Leitende Flüssigkeiten haben die Eigenschaft, magnetische Feldlinien bei ihrer Bewegung mitzuschleppen. Feldlinien symbolisieren die Stärke und Richtung des Feldes: Je dichter sie beisammen liegen, desto stärker ist das Feld. Durch die Bewegung des Eisens werden die magnetischen Feldlinien verdichtet, wie ein Gummiband verlängert und verdrillt. Das verändert das Magnetfeld, das dadurch seinerseits wieder Kräfte auf den Eisenfluß ausübt.

Bei der Erde müssen sich diese komplizierten Effekte so aufgeschaukelt haben, daß die Energie, die im Magnetfeld steckt, etwa dreimal so groß ist wie die Bewegungsenergie des Eisens. Die anderen Gesteinsplaneten Merkur, Venus und Mars haben dagegen allesamt Magnetfelder, die nur ein Tausendstel so stark sind wie das der Erde. Glatzmaier tüftelte Monate daran, bis sein Modellfeld irdische Ausmaße annahm. „Es war sehr frustrierend“, erinnert sich der Geophysiker. „Das Anfangsfeld verschwand immer wieder schnell, statt anzuwachsen.“ Als er schließlich Erfolg hatte, sorgte das Ergebnis für Furore: Glatzmaiers Modellfeld ähnelt dem Erdmagnetfeld zumindest so wie ein Hühner-Ei einem Enten-Ei.

Genau wie beim Erdfeld dominiert bei ihm das Dipolfeld. Der Dipol verläuft etwa parallel zur Rotationsachse der Erde – deswegen liegt der magnetische Nordpol auch nahe beim geographischen Pol. Ebenfalls genau wie das Erdfeld hat Glatzmaiers und Roberts Feld noch andere, kompliziertere Anteile – zum Beispiel den Quadrupol, dessen Feld vier Pole hat. Zur Überraschung der Forscher kehrte sich das Modellfeld sogar um – eine Eigenschaft des wirklichen Feldes, für die es bis jetzt nur spekulative Erklärungen gab.

Eine solche Feldumkehr ereignet sich auf der Erde sehr unregelmäßig: alle 10000 bis 20 Millionen Jahre. Dann kippt der magnetische Nordpol zum vormaligen Südpol und umgekehrt. Die Stärke des gesamten Feldes, besonders die des Dipols, sinkt dabei zunächst stark ab – auf etwa ein Zehntel des normalen Wertes. Nach etwa 5000 Jahren erholt sich das Feld wieder und bleibt vorerst konstant. Dieser Ablauf ist detailliert vom „Streifen-Code“ am Meeresgrund (siehe Grafik rechts) abzulesen.

Nach Glatzmaiers Berechnungen ist der innere Kern der Grund, warum das Feld nicht viel häufiger umklappt. „Im äußeren Kern ist das Feld sehr chaotisch. Es versucht ständig, sich umzukehren“, sagt der Wissenschaftler. Doch der feste innere Kern reagiert recht träge auf die hektischen Umkehrversuche. Bis er endlich den Veränderungen nachgeben kann, ist das Feld im äußeren Kern schon wieder umgeklappt – und alles bleibt beim alten.

Eine neue Entdeckung aus der Seismologie stellte Glatzmaiers und Roberts Modell im letzten Jahr auf den Prüfstand: Der innere Kern rotiert demnach ein bis drei Grad pro Jahr schneller als der Erdmantel. Für eine Umdrehung um sich selbst, also für einen „Tag“, braucht der innere Kern zwei Sekunden weniger als der obere Teil des Planeten. Alle 360 beziehungsweise 120 Jahre dreht er sich also einmal mehr um sich selbst. Tatsächlich zeigt sich dieses Phänomen auch in der Simulation – und sie kann es erklären: Der Geschwindigkeitsunterschied tritt nämlich schon im flüssigen Eisen des äußeren Kerns auf. Die Flüssigkeit dreht sich nicht in jeder Tiefe gleich schnell: Oben, an der Grenze zum Mantel, rotiert sie langsamer als unten an der Grenze zum inneren Kern. Magnetische Kräfte koppeln den inneren Kern an die Geschwindigkeit der Eisenschmelze, die an seiner Grenze strömt. Damit der äußere den inneren Kern so antreiben kann, muß die Magnetfeldstärke an ihrer Grenze 200mal so stark sein wie an der Erdoberfläche.

Jetzt, da sein Programm funktioniert, kann Gary Glatzmaier alle möglichen Szenarien damit testen. Zum Beispiel fütterte er sein Modell mit den Daten unseres Nachbarplaneten Venus. Sie ähnelt der Erde wie eine Zwillingsschwester, hat aber – wie Satellitenmessungen zeigen – nur ein Tausendstel so großes Feld. Nach der gängigen Meinung ist die langsame Eigenrotation der Venus dafür verantwortlich. Venus braucht nämlich 243 Erdentage für eine Drehung um sich selbst. Doch daran allein kann es nicht liegen. Denn Glatzmaiers langsam rotierende Modell-Venus zeigte sich widerspenstig: „Statt zu verschwinden, wurde ihr Feld noch stärker als das unseres Erdmodells.“ Möglicherweise hat sich die Venus bisher so wenig abgekühlt, daß sie noch keinen inneren Kern gebildet hat.

Inzwischen paßt Glatzmaier sein Erdmodell weiter an die Realität an. Zur Zeit untersucht er den Einfluß des Erdmantels auf das Magnetfeld, der durch seine Konvektion ständig Wärme aus dem Kern abführt. In Glatzmaiers altem Modell wird der Erdkern überall gleich stark gekühlt. In Wirklichkeit gibt es jedoch heiße und kalte Zonen, verursacht durch die D“-Schicht direkt über dem Kern. Sie ist genauso uneinheitlich wie die Erdkruste mit ihren Kontinenten und Ozeanen – auch, was ihren Wärmehaushalt betrifft: Heißes, pilzartig aufsteigendes Mantelgestein führt viel Wärme aus dem Kern ab, während sie sich unter kalten, herabgesunkenen Brocken der Erdkruste staut. Im Modell bewirken diese Unterschiede Erstaunliches: Das Feld wird instabiler und kehrt sich häufiger um.

Ein Zusammenhang zwischen dem Konvektionsmuster im Mantel und dem Magnetfeld könnte erklären, warum sich das Feld heute im Schnitt einmal pro Million Jahre umkehrt, während es in der mittleren Kreidezeit vor 120 Millionen Jahren fast 30 Millionen Jahre lang konstant blieb: In dieser Periode lagen alle Landmassen nahe beieinander auf einer Seite der Erde (siehe Grafik links). Gleichzeitig quollen vor allem im Pazifik Unmengen von Lava aus und bedeckten Tausende Quadratkilometer Meeresboden. Wahrscheinlich stieg damals besonders viel Mantelgestein nach oben – und das über mehrere Jahrmillionen. Auch zwischen Magnetfeld, Klima und Biosphäre scheint es Verbindungen zu geben. Das Magnetfeld gilt als Schutzschild der Erde, weil es zerstörerische kosmische Strahlung abfängt. Während es sich umkehrt, kann das Feld dem kosmischen Bombardement nicht viel entgegenhalten. Tatsächlich sind in der Erdgeschichte nachweislich oft marine Mikroorganismen ausgestorben, als sich das Feld umkehrte. Spektakuläre Massensterben – wie das der Dinosaurier – gehen allerdings wohl nicht auf das Konto einer Feldschwäche.

Prof. Karl-Heinz Glaßmeier, fast namensgleich mit seinem US-Kollegen Glatzmaier, Leiter des Instituts für Geophysik der Universität Braunschweig ergänzt: „Der eigentliche Schutzschild für die Biosphäre ist nicht das Magnetfeld, sondern die Atmosphäre.“ Die könnte allerdings unter einer Feldumkehr stark leiden. Wenn das Feld dabei vorübergehend sehr schwach geworden ist, muß die 600 Kilometer dicke Lufthülle der Erde die ionisierende kosmische Strahlung abfangen, die sonst schon im Magnetfeld hängenbleibt. Hochenergetische Protonen zerschlagen dabei wahrscheinlich massenhaft irdische Stickstoff-Moleküle in 50 bis 60 Kilometern Höhe. Bis zum Erdboden dringen kaum Teilchen durch, aber dafür kann der ionisierte Stickstoff Schaden in der Ozonschicht anrichten – wodurch die Lebewesen auf der Erde einer erhöhten UV-Strahlung ausgesetzt sind.

Andere Forschungsergebnisse deuten an, daß die kosmische Strahlung in der Atmosphäre Kondensationskeime erzeugt, so daß die Bewölkung zunimmt. „Auf diese Weise könnten Magnetfeld-Umkehrungen das Klima verändern“, vermutet Karl-Heinz Glaßmeier. Sedimentgesteine, in denen außer der Magnetisierung auch Klimasignale gespeichert sind, deuten tatsächlich auf eine solche Koppelung hin: Eine Feldumkehr leitete demnach stets eine neue Eiszeit ein. Nördlich und südlich des 65. Breitengrades dringen die kosmischen Teilchen schon jetzt entlang der Feldlinien fast ungehindert in die obere Atmosphäre – sichtbar durch bunte Polarlichter. Diese Löcher des Schutzschildes würden sich bei schwächerem Feld vergrößern.

Möglicherweise steht die nächste Feldumkehr kurz bevor: Das Dipolfeld hat in den letzten 1000 Jahren um ein Drittel abgenommen. Wenn dieser Trend anhält, stehen wir in 2000 Jahren im kosmischen Regen. Doch Gary Glatzmaier ängstigt das kaum: „Das Feld schwankt sehr stark, es könnte sich schon nächstes Jahr wieder erholen. Und in 2000 Jahren – da könnten wir schon fremde Planeten besiedelt haben.“

Ute Kehse

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