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Die Farbe des Universums

Allgemein

Die Farbe des Universums
Das Licht aller Sterne und Galaxien zusammen lässt den Weltraum in einem zarten Beige schimmern.

Es war nicht geplant und bedurfte einer mehrjährigen aufwändigen Himmelsdurchmusterung von fast 250000 Galaxien – aber nun glauben Astronomen, die wahre Farbe des Kosmos erblickt zu haben: Ein blasses Beige, vergleichbar mit verdünnter Kondensmilch. So jedenfalls würde unser Universum erscheinen, wenn unser Auge das Licht aller Sterne auf magische Weise addieren und das Weltall dann gleichsam von außen betrachten könnte. Dieses Ergebnis war kein Ziel der kürzlich abgeschlossenen 2dF-Durchmusterung, sondern ist ein überraschendes und hart erarbeitetes Nebenprodukt der Datenanalyse. 2dF steht für „Two degree Field“ und spielt auf das Blickfeld des Spektrographen an, der am 3,9-Meter-Anglo-Australian Telescope in New South Wales je einen tortenförmigen Ausschnitt des Universums über und unter der Milchstraßenebene vermessen hat. Zwei Grad entspricht dem Vierfachen des Vollmond-Durchmessers. In jeder klaren Nacht nahm der Spektrograph gleichzeitig Spektren von 400 Galaxien auf, insgesamt rund 2000 pro Nacht, um ihre Entfernung zu bestimmen. Das Ergebnis ist die größte dreidimensionale Karte des Kosmos, die es jemals gab. Doch im Datenschatz schlummern noch viele andere Informationen. So haben Karl Glazebrook und Ivan Baldry von der Johns Hopkins University in Baltimore, Maryland, aus den 166000 Einzelspektren ein Kosmisches Spektrum errechnet – eine Kurve, die die Intensität des Lichts aller Galaxien von 370 bis 786 Nanometer wiedergibt, also praktisch in allen Wellenlängen des sichtbaren Bereichs. Diese Intensitätskurve spiegelt sowohl den Anteil der emittierten Frequenzen wider als auch die Absorption durch Atome. Wie bei den bekannten Fraunhofer-Linien im Sonnenspektrum verschlucken die verschiedenen Elemente im Kosmos einen unterschiedlichen Anteil des Lichts. Aus dem Kosmischen Spektrum konnten die Astronomen ablesen, dass die große Mehrzahl der Sterne im Universum älter als fünf Milliarden Jahre ist. Denn ältere Sterne haben niedrigere Oberflächentemperaturen und teilweise andere Absorptionslinien als heiße junge Sterne. All dies prägt die universelle Helligkeitsverteilung in den verschiedenen Wellenlängen. Aus einer Laune heraus kam Glazebrook auf die Idee, mit Hilfe optischer Methoden daraus eine Durchschnittsfarbe zu errechnen, wie sie vom menschlichen Auge wahrgenommen wird. Dass dies möglich ist, hatte niemand gedacht, als das 2dF-Projekt 1997 begann. Im Januar 2002 gaben die Forscher in einer Pressemitteilung bekannt, dass die Farbe des Universums ein blasses helles Grün sei, das irgendwo zwischen Türkis und dem Grünlicht einer Verkehrsampel liegt. Für unser Alltagsverständnis war dies eine überraschende Feststellung: Zwar beweist jeder Blick an den Nachthimmel, dass Sterne Farben besitzen, doch grünlich schimmert keiner. Tatsächlich haben aber sowohl die bläulichen als auch rötlichen Sterne einen leichten, nur für Spektrographen erkennbaren Grünstich. Wird das gesamte Sternenlicht addiert, ist das Ergebnis Weiß mit einem leichten Einschlag von Grünblau. Das jedenfalls dachten die Forscher. Die Berechnung war schwierig, weil sie auf ein „Weiß“ geeicht werden muss, das je nach Kontext unterschiedliche Farbanteile enthält. Was wir abhängig von der Umgebung als weiß wahrnehmen, ist mit wissenschaftlicher Exaktheit betrachtet gar nicht immer dieselbe Farbe. Daher muss ein so genannter Weißpunkt festgelegt werden. Der ist im Licht der Wolframdraht-Glühlampen etwas gelblich, im Schein vieler Computer-Monitore dagegen eher bläulich. „Wir haben die Wissenschaft der Farben nicht ernst genug genommen“, gesteht Glazebrook nun zähneknirschend. „Ich kann es nicht leiden, Fehler zu machen – aber wenn sie passieren, muss man sie berichtigen.“ Tatsächlich war die Farbe des Universums nur eine Fußnote in einem umfangreichen Forschungsbericht zum Kosmischen Spektrum und der Sternentstehungsrate des Universums, den Baldry, Glazebrook und ihre Kollegen beim Astrophysical Journal eingereicht hatten. Keiner der Gutachter hatte nachgerechnet. Doch nach der Pressemitteilung nahm Mark Fairchild vom Munsell Color Science Laboratory am Rochester Institute of Technology in Rochester, New York, mit Glazebrook Kontakt auf. Der Experte – Verfasser des renommierten Fachbuchs „Color Appearance Models“ – half den Astronomen, ihre Software zu überprüfen. „Es gab einen Fehler im Computerprogramm“, sagt Baldry. Mit der richtigen Ausrichtung, einem genaueren Weißpunkt („Illuminant E“) und einer dunklen Umgebung als Betrachtungsumfeld, passend für die finstere Weltraumnacht, machte das Hellgrün nun einem sehr hellen Beige Platz. „Hellgrün ist das Universum schon – aber nur, wenn man es von einem Zimmer mit leicht rötlichem Neonlicht aus betrachtet“, witzelt Baldry. „Doch das ist nicht die Standardperspektive.“ In einer Tageslichtumgebung wäre das Kosmos-Beige leicht rötlich, im künstlichen Bürolicht leicht bläulich. Inzwischen haben die Forscher sogar einen Namen für die Farbe des Universums auserkoren. Via Internet sammelten sie Vorschläge und „Cappuccino Cosmico“ von Peter Drum gewann in einer institutsinternen Abstimmung mit großem Abstand. Andere Namensideen waren „Cosmic Cream“, „Skyvory“, „Univeige“, „Cosmic Latte“ und „Primordial Clam Chowder“ („Ursprüngliche Muschelsuppe“). Allerdings hat 2dF nur fünf Prozent des Himmels kartiert – wie können die Forscher also sicher sein, dass ihre Daten repräsentativ sind? Baldry hegt keine Zweifel. Mit seinen Kollegen hat er das durchmusterte Gesamtvolumen – ungefähr 13 . 1027 Kubiklichtjahre! – in zehn verschiedene Regionen unterteilt und deren jeweiliges Gesamtspektrum ermittelt. Es war überall nahezu identisch. „Das bedeutet, dass unsere Stichprobe repräsentativ ist“, sagt Baldry. „Hätten sich die Spektren der zehn Regionen signifikant unterschieden, hätte unsere Durchmusterung kein hinreichend großes Volumen erfasst.“ Um ihre Resultate zu überprüfen, verwendeten die Forscher auch Daten des Sloan Digital Sky Survey (SDSS). Im Rahmen dieses Projekts vermisst ein eigens dafür gebautes 2,5-Meter-Teleskop in New Mexico seit 1998 ein Viertel des Himmels und wird im Lauf des Jahrzehnts eine Karte von über 100 Millionen Sternen und Galaxien erstellen. Auch die bereits gewonnenen SDSS-Daten ergaben dasselbe Kosmische Spektrum und somit dieselbe Farbe des Universums. Diese Farbe ändert sich im Lauf der Zeit. Das galaktische Glühen war vor sechs Milliarden Jahren blauer als heute, weil junge Sterne bläulicher sind als ältere. Damit hat 2dF einen weiteren Beweis dafür erbracht, dass sich das Universum weiterentwickelt hat, also nicht zu jeder Zeit gleich aussah, wie es die „Steady State Theory“ einst behauptet hatte. Die chemische Evolution – die Veränderung der Elementhäufigkeiten in den Sternen – ist dafür ein wichtiges Indiz. Bis in eine Entfernung von rund zwei Milliarden Lichtjahren, und somit seit etwa zwei Milliarden Jahren, ist die Farbe aber praktisch konstant weiß-beige. Das zeigen die separaten Analysen von 14 Entfernungsabschnitten mit jeweils 12000 Spektren, die wiederum in die zehn erwähnten Regionen unterteilt wurden. Künftig, wenn die Sterne immer älter werden, wird die universelle Farbe röter. Die interstellaren Gas- und Staubwolken – Rohstoffe der Sternbildung – verbrauchen sich mit der Zeit, und in spätestens 100 Billionen (1014) Jahren werden alle Sterne ausgebrannt sein, und neue können sich nicht mehr bilden. Selbst die Materie zerfällt irgendwann und die Schwarzen Löcher verdampfen, sodass in ferner Zukunft, passend zur düsteren Aussicht, die Farbe des Universums tiefschwarz sein wird.

Rüdiger Vaas

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