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Die Großmacht Ahhijawa taucht auf

Allgemein

Die Großmacht Ahhijawa taucht auf
Philologen entwerfen die neue politische Geografie im östlichen Mittelmeer der Bronzezeit. Gehörte Troja zum Hethiterreich?

Prof. Frank Starke spricht: „Die Gleichsetzung des spätbronzezeitlichen Troia … mit dem in den zeitgenössischen hethitischen Texten bezeugten Land Wilusa … lässt sich heute nicht mehr bezweifeln.“ „Na ja“, meint Prof. Andreas Müller-Karpe, „das kann man noch nicht als gesicherte Erkenntnis bezeichnen, da gibt es eine ganze Reihe von ungelösten Problemen.“ Starke, Hethitologe und Sprachforscher an der Universität Tübingen, entwirft unter dem Titel „Troia im Machtgefüge des zweiten Jahrtausends vor Christus – die Geschichte des Landes Wilusa“ im Katalog zur jetzt in Bonn zu Ende gehenden Troja-Ausstellung („Troia“ nur in der Fachsprache) eine „ definitive politische Geografie Westkleinasiens“, die die umstrittene Stadt an den Dardanellen „fest in den Geschichtsverlauf des hethitischen Kleinasiens“ einbindet (siehe Karte). Müller-Karpe, Hethitologe und Archäologe an der Universität Marburg, gräbt in Anatolien eine bis vor acht Jahren unbekannte hethitische Stadt aus und ist um einiges skeptischer: „ Die historische Geografie ist noch zu lückenhaft, man operiert mit zu vielen Unbekannten.“ Troja ist, archäologisch gesehen, eine einsame Insel. Das weitere Umland ist nicht erforscht – wie überhaupt der ganze bronzezeitliche Westen Kleinasiens eine archäologische Terra incognita darstellt. „Neben Troja“, so Müller-Karpe, „gibt es durchaus andere Plätze mit gleichem Anspruch, die wir nur noch nicht lokalisiert haben.“ In diesen konträren Meinungen der ausgewiesenen Hethiter-Experten offenbart sich das Dilemma der aktuellen kleinasiatischen Geschichtsbeschreibung: Die Philologen können seit den letzten 30 Jahren durch ständig neue Entzifferungen von hethitischen Keilschrifttafeln und Steininschriften ein ebenso präzises wie überraschendes Bild der frühanatolischen Großmacht zeichnen (siehe erster Beitrag „Hethiter – die vergessene Weltmacht“). Die Archäologen mühen sich bislang in einer Hand voll Grabungen ab, die materielle Kultur des bemerkenswerten Volkes zu fassen (siehe „Der Großkönig zieht aus“). Von den rund 1400 in hethitischen Stätten haben die Vor-Ort-Forscher bislang rund ein halbes Dutzend lokalisieren können – die archäologische Entdeckung der Hethiter steht erst am Anfang. Philologe Frank Starke versteht sich als Kulturwissenschaftler, seine Sprachforschung nutzt er, um ein möglichst weites Panorama der Hethiter zu entwerfen. „Die Erschließung der Texte ist dabei das Wichtigste“, postuliert er. „ Einige Übersetzungen sind inzwischen etwas ältlich, weil Wortbedeutungen neu erkannt werden und neue Texte hinzukommen – das ist ein fortlaufender Prozess.“ So kommt es, dass zum Beispiel Herrschaftsgrenzen im bronzezeitlichen Kleinasien regelmäßig durch neue Felsinschriften verschoben werden oder ein neu auftauchendes Tontafelfragment einen bislang unverständlichen Text klar werden lässt. Aus zahllosen solcher Puzzle-Teile setzt nun Starke sein Bild vom Kleinasien des 13. vorchristlichen Jahrhunderts zusammen: Das Land Hattusa hat seine größte Machtentfaltung erreicht, es dehnt sich mit Bundesgenossen von Ostanatolien bis zur Ägäis und vom Schwarzen Meer bis zum Mittelmeer. Im Osten hat es sich mit dem ehemaligen Konkurrenten Mitanni Teile aus dem siechenden Assyrerreich einverleibt, im Süden stoßen die Hethiter in Nordsyrien und Palästina direkt an das Herrschaftsgebiet der Ägypter. Dem Vize-Königtum Karkemis, meist besetzt mit einem engen Familienmitglied des Großkönigs in Hattusa, untersteht ein Staatenverbund von besiegten oder per Vertrag angegliederten Kleinkönigtümern wie Alalha, Ugarit und Aleppo. Tarhuntassa wird in der Spätzeit ebenfalls zum Vizekönigreich aufgewertet, als sich die monarchischen Familienmitglieder einmal mehr über die Rechtmäßigkeit einer Thronfolge uneinig waren. Im Westen schließlich rundet sich das Hethiterreich mit dem eroberten oder vertragsgebundenen „ arzawischen Staatenverband“ – Mira, Seha und Wilusa. Die Lokalisierung und Abgrenzung dieser westlichen Bereiche waren lange Zeit völlig unklar, Starkes neue geografische Zuordnungen sind weitgehend, aber nicht von allen Kollegen akzeptiert. Aus den drei Sonderzonen – Karkemis, Tarhuntassa und Mira – entwickelten sich nach dem Niedergang des Zentralreiches um 1200 v.Chr. eigenständige Großkönigtümer, Tarhuntassa dehnte sich dabei erheblich, Karkemis etwas aus, die westlichen Teile wurden von Mira dominiert. In diesen „späthethitischen“ Nachfolgereichen sind bis etwa 800 v.Chr. hethitische Traditionen zu verfolgen. Die in der Bibel (siehe „König Davids Sündenfall“, S. 71) erwähnten „Hethiter“ sind durchweg Bewohner dieser Nachfolgestaaten, das Zentralreich war schon in biblischen Zeiten aus dem kulturellen Gedächtnis gelöscht, als ob es nie existiert hätte. Im Norden des Landes Hattusa waren die räuberischen und ungehobelten Kaskäer-Stämme bis ins 13. Jahrhundert ein Stachel im Hethiter-Selbstverständnis. Im Osten gab es immer wieder Unruhe mit den Assyrern, Babylon spielte zu der Zeit keine Rolle im Machtspiel des Vorderen Orients. Mit Ägypten dagegen stritten sich die Hethiter vehement um die Vorherrschaft über Nordsyrien, denn hier verliefen die profitträchtigen Fernhandelswege. Die Schlacht von Kades bescherte den Ägyptern eine deftige Niederlage – und der Welt den ersten Friedensvertrag. Ganz im Westen lokalisiert Starke nun das Land Ahhijawa. Dessen Bewohner setzt er – im Einklang mit anderen Kollegen – mit den Achäern gleich, die laut Homer den Trojanischen Krieg anzettelten. Aus hethitischen „Briefkopien“ ergibt sich tatsächlich die Existenz einer dritten Großmacht – die „Mykener“ –, die offenbar erheblichen Einfluss in der Ägäis und an der Westküste Kleinasiens hatte. Der hethitische Großkönig redet seinen Korrespondenzpartner mit dem gleichberechtigten Titel „Bruder“ an und versucht, mit ihm einen politischen Handel: Der König von Ahhijawa möge doch bitte dafür sorgen, dass ein gewisser Pijamaradu mit Plünderungen und Menschenraub in den ägäischen Bundesstaaten Hattusas aufhöre. Die griechische Gegenkorrespondenz fehlt – leider nicht nur in diesem Fall: Es gibt keine mykenischen Nachrichten über den großen Nachbarn im Osten. Der diplomatische Versuch des hethitischen Großkönigs jedenfalls schlug fehl. Es kam nicht zu einem Interessenausgleich. Im Gegenteil: Hattusa verleibte sich Milet (Millawanda) ein, den griechischen Brückenkopf in Kleinasien. Ob die Mykener dann mit dem Angriff auf das „hethitische“ Troja antworteten – darüber streiten die Gelehrten. Momentan hat die Fraktion „Der-Trojanische-Krieg-fand-statt“ die Oberhand.

Michael Zick

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