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„Die Kosten sinken“

Allgemein

„Die Kosten sinken“
Im württembergischen Knittlingen proben Forscher eine neuartige Abwasserverwertung. Walter Trösch leitet das Projekt.

Welche Ansätze verfolgen Sie, Herr Professor Trösch?

Zum einen sammeln wir das Regenwasser von Dächern und Nebenstraßen und bereiten es auf. Danach wird es in Trinkwasserqualität an die Haushalte verteilt. Alle Häuser der Siedlung haben dazu einen zweiten Wasseranschluss. Der zweite Ansatz greift bei den Kläranlagen an. Sie sind die größten Stromverbraucher der Kommunen. Wir wollen die Betriebskosten bei der Abwasserreinigung senken. Dazu haben wir auf eine anaerobe, also sauerstofffreie Reinigung umgestellt. In Knittlingen haben wir erstmals gezeigt, dass das funktioniert – auch bei tiefen Temperaturen.

Wie gelingt es, die Kosten der Abwasserreinigung zu senken?

Wir machen den Schmutz zum Energieträger, indem wir ihn in Biogas verwandeln, das über Kraft-Wärme-Kopplung verwertet wird. Dabei entstehen Wärme und elektrischer Strom. Wir gewinnen damit so viel Energie, wie für den Betrieb der Anlage erforderlich ist.

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Was bleibt am Ende übrig?

Zum Beispiel holzige Pflanzenteile. Gegenüber der aeroben biologischen Abwasserreinigung, die normale Kläranlagen anwenden, fallen bei unserem System aber nur ein Zehntel der Reststoffe an. Damit haben wir das Abfallproblem zu 90 Prozent gelöst. Bislang werden die Reststoffe in Baden-Württemberg verbrannt. Künftig wollen wir die Anlage durch eine hydrothermale Vergasung erweitern, die auch die Reststoffe in energetisch nutzbares Biogas verwandelt.

Welchen Vorteil bringt die Technologie den Anwohnern?

Die Abwasserreinigung wird billiger. Zwar kann diese kleine Pilotanlage die Kosten noch nicht deutlich senken. Doch die Anwohner verbrauchen schon jetzt deutlich weniger Wasser. Der Grund ist die Vakuumkanalisation, die zum Spülen der Toilette erheblich weniger Wasser benötigt. Durch den geringeren Wasserdurchsatz können die Abwassergebühren sinken. Und: Die Qualität des Trinkwassers steigt.

Wie viel müssen die Anwohner zunächst investieren?

Die Vakuumtoiletten sind bislang teurer als normale Toiletten, da sie zurzeit nur in kleiner Stückzahl hergestellt werden. Wenn sich diese Technologie weiter verbreitet, wird der Preisunterschied schrumpfen. Längerfristig kompensiert die Einsparung durch den geringeren Wasserverbrauch die höheren Investitionskosten.

Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit der Anlage gesammelt?

Die Identifikation der Anwohner mit der Anlage ist extrem groß. Ein Beleg dafür: Während der gesamten Betriebszeit gab es keine Havarie durch Verunreinigungen oder Gifte, die jemand ins Abwasser geschüttet hätte. Allerdings hatten wir wegen der Kleinheit der Anlage am Anfang gelegentlich Probleme mit Verstopfungen. Doch die konnten wir stets lösen. Unser Anspruch, das Wasserhaus emissionsfrei zu betreiben, ließ sich – aus baulichen Gründen – anfangs nicht immer vollständig erfüllen. Beim alltäglichen Umgang mit Wasser ändert sich für die Anwohner nichts.

Könnte man eine solche Anlage überall errichten?

Im Prinzip ja. Die ökonomischen Bedingungen sind allerdings dort besonders gut, wo es noch keine Kanalisation gibt. Ein großer Vorteil ist, dass sich die Anlage jederzeit wieder abbauen lässt – etwa wenn eine größere benötigt wird.

Wie geht es nun weiter?

In Knittlingen werden am Ende etwa 150 Anwohner an das System angeschlossen sein. Die nächste Größenordnung, die wir angehen, sind rund 5000 Anwohner. Dafür suchen wir Standorte in Brasilien, China und Ägypten. Ein weiteres Projekt ist ein Lehr- und Versuchszentrum in Rumänien. Auch in Knittlingen wird es weitergehen. So starten wir demnächst ein Projekt mit der Firma Henkel, bei dem wir untersuchen werden, wie sich Chemikalien aus Reinigungsmitteln und Kosmetikprodukten aus dem Abwasser entfernen lassen. Das System wollen wir künftig modular gestalten, um dadurch die spezifischen Investitionskosten zu reduzieren.

Welche Zukunft haben solche Anlagen in Deutschland?

Unsere Anlagentypen werden künftig vielerorts die traditionelle Kanalisation ergänzen. Diese bleibt als Regenwasserversickerungsanlage zunächst bestehen, während die Häuser nach und nach über Vakuumsysteme an das neue System angeschlossen werden – um sukzessive eine nachhaltige dezentrale Technik zu installieren. ■

Das Gespräch führte Ralf Butscher

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

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Mon|ta|nist  〈m. 16; Bgb.〉 Sachverständiger in Bergbau u. Hüttenwesen [→ montan … mehr

Halb|lei|ter  〈m. 3; Phys.〉 fester Stoff, der bei sehr tiefen Temperaturen den Strom nicht leitet, bei Erwärmung jedoch eine (oft schnell) mit der Temperatur anwachsende Leitfähigkeit zeigt (Germanium, Silicium, Selen, Zinkoxid)

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